Im Sonnenwinkel Staffel 1 – Familienroman. Patricia Vandenberg

Im Sonnenwinkel Staffel 1 – Familienroman - Patricia Vandenberg


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      »Ja, ich freue mich auch, Manuel«, sagte sie wie unter einem Zwang.

      »Werden wir dann auch gemeinsam spazieren gehen?«, fragte er. »Papi bleibt diesmal länger.«

      »Sicher werden wir das.«

      »Darf ich es ihm auch sagen, dass du dich freust?«

      Sie hob ihn empor und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Du darfst, Spatz. Und jetzt gehst du zu Tante Marianne und isst tüchtig Apfelkuchen. Wenn Papi morgen kommt, musst du runde Bäckchen haben, sonst meint er gar, wir sorgen nicht richtig für dich.«

      Seine Arme schlangen sich um ihren Hals. »Ich hab dich so lieb, Sandra. Ich habe solche Angst, dass Herr Heimberg dich uns wegnimmt.«

      »Liebe Güte«, entfuhr es ihr, »das brauchst du weiß Gott nicht zu fürchten. Er sitzt doch nur so gern bei meiner Mutter, bei Tante Marianne!«

      Sie wusste selbst nicht, warum sie das sagte, aber es stimmte sie, trotz ihrer Sorgen, heiter. Gut, dass Mutti es nicht gehört hat, dachte sie vergnügt, und sie musste lachen, als Manuel sagte: »Zu Tante Marianne passt er auch viel besser.«

      Sie lächelte noch immer vor sich hin, als sie vor Auer­bachs Haus hielt. Inge kam heraus und begrüßte sie herzlich, und gleich darauf erschien auch der Hausherr.

      »Na, meine gnädige Frau, ich glaube, wir fahren lieber mit meinem Wagen«, meinte er skeptisch.

      »Sie haben aber auch gar kein Vertrauen zu Gustav«, erwiderte sie, »dabei ist er so zuverlässig, wenn er auch Asthma hat. Wir können uns einfach nicht von ihm trennen.«

      »Ich will Gustav durchaus nicht kränken, aber …«, sie winkte ab. »Ich verstehe schon. Ist ja auch besser, wenn wir mit einem soliden Auto bei Herrn Oberstudiendirektor Lamprecht aufkreuzen.«

      Inge sah ihnen nach, bis die Rücklichter verschwanden. Hoffentlich bringen sie Ulla mit, dachte sie beklommen. Dann schweifte ihr Blick über die Landschaft, die den Zauber des Sommers schon verloren hatte. Wie sehr wir schon miteinander verbunden sind, überlegte sie, wie alle die Sorgen aller mittragen. Wie schön das doch ist. Schnell hatten sie alle Wurzeln geschlagen hier im Sonnenwinkel.

      *

      Für Henrike war dies ein schwerer Schultag. Sie war selbst in der Englischstunde bei Dr. Fabian Rückert zerstreut und unaufmerksam. Ihre Gedanken weilten bei ihrer Freundin Ulla. Jetzt würden ihr Vater und Sandra mit den Lamprechts sprechen und die Entscheidung treffen, ob sie hierbleiben durfte oder ob man etwas anderes mit ihr vorhatte.

      Dr. Rückert beobachtete sie unauffällig. Es fiel ihm heute doppelt schwer, eine unbeteiligte Miene zu zeigen. Am liebsten hätte er sie tröstend in die Arme genommen. Niemand hatte bisher bemerkt, dass zwischen dem jungen, gut aussehenden Lehrer und seiner Schülerin Henrike Auerbach eine tiefe Zuneigung keimte. Sie hüteten ihre Gefühle und verstanden es, sie zu verbergen. Nichts sollte störend in diese junge Liebe eingreifen, von der jedoch beide Eltern wussten. Fabian und Henrike zählten die Wochen und ersehnten den Tag, an dem dieses Versteckspiel ein Ende haben sollte.

      Sie lasen heute Hamlet, und Henrike war die Rolle der Ophelia zugefallen, aber als sie an der Reihe war, brachte sie kein Wort über die Lippen.

      »Ophelia schläft«, sagte Conny von Rosch spöttisch.

      Dr. Rückert warf ihm einen missbilligenden Blick zu. »Henrike«, sagte er dann eindringlich, aber diesmal musste wohl doch ein besonderer Ton in seiner Stimme geschwungen haben, denn einige blickten ihn verwundert an, Conny von Rosch wachsam und mit einem boshaften Ausdruck.

      Henrike zuckte erschrocken zusammen, als sich ein Finger in ihren Rücken bohrte, und plötzlich stürzten Tränen aus ihren Augen. Verwirrt blickte sie sich um, dann stürzte sie aus dem Klassenzimmer.

      »Die liebe Henrike scheint Liebeskummer zu haben«, sagte Conny von Rosch anzüglich.

      »Mäßigen Sie sich, Rosch«, fuhr ihn Fabian Rückert an.

      »Sie macht sich Sorgen wegen Ulla«, sagten mehrere gleichzeitig.

      »Setzen Sie die Lektüre fort«, erklärte Dr. Rückert beherrscht. Dann ging er zur Tür.

      Conny von Rosch lachte höhnisch auf, als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte.

      »Jetzt wird er sie tröstend in die Arme nehmen«, stellte er zynisch fest.

      »Du spinnst ja – sei nicht so gemein – du hast immer Hintergedanken«, schwirrte es durch die Klasse.

      »Ihr seid ja alle blöd«, erwiderte er arrogant. »Merkt ihr denn nicht, dass zwischen den beiden etwas ist? Man müsste es mal dem Direx stecken. Der untadelige Dr. Rückert poussiert mit einer Schülerin.«

      Manfred Fiedler, der Mecki genannt wurde und sonst ein überaus gutmütiger Bursche war, sprang auf und packte ihn am Kragen.

      »Halt die Luft an!«, stieß er, hochrot vor Zorn hervor. »Ich schlage dir deine blasierte Visage zusammen!«

      »Geh heim, Henrike«, sagte draußen Fabian Rückert leise zu dem Mädchen, als der Lärm in der Klasse immer lauter wurde. Man konnte deutlich hören, was Conny von Rosch sagte und noch deutlicher, was Manfred Fiedler nun schrie.

      »Nun bereite ich dir auch noch Ärger«, flüsterte Hen­rike. »Bitte, geh.«

      »Ich werde sie schon zur Räson bringen«, brummte er. »Es geht alles vorüber, Henrike. Ich komme heute Abend hinaus.«

      Er warf ihr noch einen aufmunternden Blick zu, dann verschwand er wieder im Klassenzimmer.

      Der Streit verstummte, sie saßen alle wieder auf ihren Plätzen. »Hat jemand etwas an mir auszusetzen?«, fragte er. Es kam keine Antwort.

      »Nun, Rosch, sag’s doch noch mal!«, zischte Manfred Fiedler.

      »Zu gegebener Zeit«, sagte dieser herablassend.

      »Wir setzen nun den Unterricht fort«, erklärte Dr. Rückert ruhig.

      Mit wild klopfendem Herzen hatte Henrike die Schule verlassen.

      Warum musste sie sich auch so gehenlassen! Nun musste sie das fürchten, was sie immer hatte vermeiden wollen. Und was sollte sie jetzt mit der Zeit anfangen, bis Hannes Schulschluss hatte? Deprimiert überquerte sie die Straße, blind und taub für das, was um sie vor sich ging. ­Eine feuchte Schnauze stupste plötzlich ihre Hand.

      »Charly«, sagte sie überrascht, und da sah sie auch schon Dr. Rückerts Mutter, die eben aus einem Geschäft trat.

      »Schon fertig mit der Schule, Ricky?«, fragte diese erstaunt.

      Henrike schüttelte den Kopf. Wieder drängten sich Tränen in ihre Augen. Mütterlich nahm Rosemarie Rückert ihren Arm.

      »Was ist denn, Ricky, schütten Sie Ihr Herz aus«, sagte sie liebevoll.

      »Es ist alles so schwierig«, flüsterte Henrike.

      »Nichts ist so schwierig, dass man nicht darüber sprechen könnte«, stellte Frau Rückert fest. »Kommen Sie mit zu uns, da stört uns niemand.«

      »Ich hole meinen Wagen«, murmelte Ricky, aber dann fiel ihr plötzlich ein, dass sie ihre Sachen in der Schule gelassen hatte. Auch den Wagenschlüssel.

      »Das Stück können wir auch zu Fuß gehen. Ich bin es ja gewohnt«, lächelte Rosemarie Rückert. »Wann hat Hannes aus? Sie müssen doch sicher auf ihn warten.«

      »Es sind ja noch zwei Stunden«, erwiderte das Mädchen geistesabwesend.

      Als sie am Café Fenstergucker vorbeikamen, trat Harry von Rosch heraus, Connys älterer Bruder. Er grüßte mit einem impertinenten Lächeln.

      »Den sieht man aber auch überall und zu jeder Stunde«, flüsterte Henrike erbittert.

      »Er hat ja nichts anderes zu tun«, spottete Frau Rückert. »Jetzt müssen sie das Geld unter die Leute bringen, das Herr Münster ihnen für die Fabrik gezahlt hat.


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