Im Sonnenwinkel Staffel 1 – Familienroman. Patricia Vandenberg

Im Sonnenwinkel Staffel 1 – Familienroman - Patricia Vandenberg


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solche Angst, dass Fabian Schwierigkeiten bekommt«, brach es dann aus ihr hervor.

      Es war das erste Mal, dass sie ihn in Gegenwart seiner Mutter beim Vornamen genannt hatte, und nun wurde ihre Verwirrung gleich noch größer.

      Inzwischen waren sie bei dem hübschen Einfamilienhaus der Rückerts angekommen. Frau Rückert sparte sich ihre Fragen auf, bis sie sich im Wohnzimmer gegenübersaßen.

      Henrike war noch nie hiergewesen. Obgleich sie auch mit Stella, Fabians jüngerer Schwester, befreundet war, hatte sie es vermieden, ihre Einladungen anzunehmen, um Fabian nur ja nicht dem Gerede der Nachbarn auszusetzen.

      Stockend erzählte Henrike, was vorgefallen war. Frau Rückert unterbrach sie nicht.

      »So schlimm ist das doch nun auch wieder nicht«, erklärte sie beruhigend. »Ich kenne doch meinen Jungen. Er weiß genau, was er seiner Stellung und auch Ihnen schuldig ist, Ricky. Wir brauchen gar nicht drumherum zu reden. Wichtig für mich ist eigentlich nur, dass Sie ihn so gern haben, dass er nicht umsonst wartet. Es wäre sehr hart für Fabian.«

      »Die Tage können zur Ewigkeit werden«, meinte Hen­rike bekümmert.

      »Jeder hat vierundzwanzig Stunden, und daran wird sich auch kaum etwas ändern«, meinte Frau Rückert nachsichtig.

      »Ich würde viel lieber auf eine Haushaltsschule gehen«, murmelte Henrike.

      »So kurz vor dem Ziel aufgeben? Damit tun Sie sich und auch Fabian keinen Gefallen und Ihren Eltern schon gar nicht.«

      »Dem Rosch traue ich alles zu«, stellte Henrike niedergeschlagen fest.

      »Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Es gab mal eine Zeit, wo alle vor den Roschs gedienert haben, aber die ist längst vorbei. Kopf hoch, Ricky. Warten wir erst ab, was Fabian zu berichten hat. Und machen Sie sich nicht so viel Gedanken um Ulla.«

      *

      Zu dieser Zeit hatte es noch nicht den Anschein, als ob es so wäre. Oberstudiendirektor Lamprecht hatte seine unnahbarste Miene aufgesetzt, als Alexandra von Rieding in Begleitung Professor Auerbachs erschienen war. Seine Frau schien gewohnt zu sein, zu allem, was ihr Mann anordnete, ja und amen zu sagen. Er hatte den Entschluss gefasst, Ulla in ein Internat zu geben.

      Alexandra musste ihr Temperament zügeln. Harte Worte lagen ihr auf den Lippen, aber damit würde sie Ulla eher schaden als nutzen.

      »Ihre Tochter hat sich gut eingelebt bei uns«, sagte sie leise. »Wir haben sie gern, und auch in der Schule hat sie gute Fortschritte gemacht. Sie hat endlich eine Freundin, und das ist für ein so sensibles Mädchen doch sehr wichtig.«

      »Sensibel, wenn ich das schon höre!«, brauste Herr Lamprecht auf. »Ulla war immer eigensinnig, um nicht zu sagen aggressiv. Wir haben genügend mitgemacht.«

      »Vielleicht haben Sie nicht die richtige Einstellung zu ihr gefunden«, mischte sich Werner Auerbach ein. »Wir haben sie doch als ein sehr einsichtiges Mädchen kennengelernt. Ich hoffe sehr, Sie davon überzeugen zu können, dass Ulla sich hier nicht in schlechter Gesellschaft befindet.«

      Aber so viel sie auch redeten, Oberstudiendirektor Lamprecht war nicht umzustimmen. Seine Frau holte Ulla herein, damit er ihr seinen Entschluss vor Professor Auerbach und Alexandra von Rieding eröffnen konnte.

      Mit theatralischen Worten verkündete er, dass er nur das Beste für sie dabei im Auge habe und ihre Einsicht voraussetze.

      In den Augen des Mädchens war tiefste Verzweiflung zu lesen. Kein Wort kam über ihre Lippen. Werner Auerbach und Sandra waren erschüttert.

      »Es tut mir leid, Ulla«, flüsterte Sandra, »entsetzlich leid.«

      Da hob Ulla den Kopf und warf ihrem Vater einen anklagenden Blick zu. »Vielleicht wird es ihm eines Tages leidtun«, murmelte sie tonlos. –

      »Dieser Despot«, stellte Sandra aufgebracht fest, als sie mit Werner Auerbach zum Wagen ging. »Wie kann man nur so hart sein, wenn man nur ein Kind hat.«

      »Keiner kann aus seiner Haut«, brummte er. »Wahrscheinlich ist er auch so despotisch erzogen worden. Es ist ein Jammer, dass man diesem armen Ding nicht helfen kann. Machen wir eigentlich einen so unseriösen Eindruck, Frau von Rieding?«

      »Vielleicht ist es auch nur Eifersucht, weil sie uns so gern mag«, meinte Sandra. »Manche Eltern haben ihre eigene Art, ihre Kinder zu lieben.«

      »Aber Liebe setzt immer und in jedem Fall Verständnis voraus«, stellte Werner Auerbach fest.

      Immer und in jedem Fall, dachte Sandra. Nicht nur die Liebe zu den Kindern. Die Auerbachs konnten jedem ein leuchtendes Vorbild sein.

      Hoffentlich hatten sie es nun Ulla nicht noch schwerer gemacht. Es bedrückte sie sehr, dass sie ihr nicht hatten helfen können.

      »Wie spät ist es denn?«, überlegte Werner Auerbach laut. »Eigentlich müssten die Kinder doch bald aus der Schule kommen. Es ist wohl am besten, wenn ich es Ricky gleich sage. Vielleicht könnte auch Dr. Rückert noch mal mit den Eltern von Ulla sprechen.«

      »Fabian Rückert?«, meinte Sandra gedehnt. »Du lieber Himmel, wenn sie den sehen, werden sie eher sagen, dass Ulla seinetwegen hierbleiben will. Wenn es auch nicht stimmt. So ein fescher junger Lehrer muss doch ein rotes Tuch für den pedantischen Herrn Oberstudiendirektor sein. Ich finde es einfach großartig, dass Sie mit Ihren Kindern so viel Verständnis haben und mit ihnen verbunden sind, Herr Auerbach. Sie werden es Ihnen bestimmt danken.«

      »O Gott, wer will denn Dank? Es ist schon schön, wenn man sie nie ganz verliert. Aber wem sage ich das, wo Sie doch selbst eine so wundervolle Mutter haben. Meine Güte, da ist ja Ricky. Wo kommt sie denn her?«

      Man sah ihm an, dass es ihm Sorge bereitete, dass sie nicht aus der Schule kam. »Sie hatte sicher früher aus«, sagte Sandra rasch.

      Henrikes blasses Gesicht war in Glut getaucht, als sie ihren Vater und Sandra bemerkte. Schnell kam sie ihnen entgegen.

      »Ich war bei Frau Rückert«, stotterte sie. »Wir haben uns zufällig getroffen. Mir war nämlich nicht gut, und da – da hat Dr. Rückert mich heimgeschickt. Ich musste so sehr an Ulla denken. Papi …«, alles, was sie noch sagen wollte, erstickte in einem trockenen Schluchzen, als sie seine ernste Miene bemerkte. »Was werden sie mit Ulla machen? Sie darf nicht hier bei uns bleiben, nicht wahr?«

      Als er verneinte, fuhr sie gequält fort: »Ich habe es ja geahnt.« Sie griff nach seinem Arm und lehnte sich an ihn. Beruhigend legte er den anderen Arm um sie.

      »Es war nichts zu machen, Ricky, aber deswegen darfst du nun nicht auch die Flügel hängen lassen.«

      »Sie wird sich etwas antun, Papi. Ich muss zu ihr. Oh, ich werde ihnen sagen, wie Eltern sein müssen. damit ihre Kinder Vertrauen haben. Einmal muss es ihnen doch jemand sagen.«

      Und schon lief sie davon. Sandra wollte ihr nach, aber Professor Auerbach hielt sie zurück.

      »Lassen wir sie. Vielleicht ist es in diesem Fall gut, wenn ein junger impulsiver Mensch sich äußert. Vielleicht rüttelt sie das doch auf. Ich werde Hannes gleich mitnehmen, damit er sie nachher nicht mit Fragen plagt.«

      Später sollte er jedoch sehr bereuen, dass er nicht auch auf Ricky gewartet hatte. Schon längst waren sie daheim, als sie noch einen zweiten Schrecken erleben sollten.

      *

      Die Lamprechts waren völlig überrascht, als das aufgeregte junge Mädchen ihnen all das sagte, was sie so gar nicht hören wollten. Die Angst um Ulla legte Ricky die genau richtigen Worte in den Mund, obgleich sie gern noch viel Härteres gesagt hätte.

      »Wir alle mögen Ulla, und das hat ihr in diesen Wochen geholfen«, sagte sie mit bebender Stimme. »Sie war so bemüht, ihre Leistungen zu steigern und ein gutes Abitur zu machen, damit Sie mit ihr zufrieden sind. Es ist doch schlimm genug, dass man sich auf diese Weise die Zuneigung seiner Eltern erkaufen muss. Aber Ulla wollte es, und sie hat auch so sehr gehofft, dass ihre Oma es noch erlebt. Und nun soll alles aus sein. Ich weiß,


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