Im Sonnenwinkel Staffel 1 – Familienroman. Patricia Vandenberg
»Lange wird er es nicht mehr machen, unser guter Gustav. Das Auto, meine ich«, fügte sie rasch hinzu, als er sie befremdet anblickte.
Wenig später trat Frau von Rieding ein. In einem schlichten dunkelblauen Kostüm, schlank, blond und recht jugendlich aussehend, aber auf den ersten Blick durchaus nicht als Mutter dieser bildschönen Tochter zu erkennen.
Verwundert stellte Felix Münster fest, dass er diese junge Dame bildschön fand. »Herr Münster, meine Mutter«, stellte Alexandra vor. Auch Marianne von Rieding konnte ihre Überraschung nicht ganz verbergen.
»Dass wir das Herrenhaus keinesfalls verkaufen, habe ich Herrn Münster schon gesagt«, fuhr Alexandra sachlich und sehr geschäftsmäßig fort. »Jetzt geht es um die Dependance. Herr Münster hat einen kleinen Sohn, der sich für den Besitz begeistert hat.«
»Die Dependance«, meinte Marianne von Rieding nachdenklich. Sie wäre eher bereit gewesen, dort zu wohnen und das Herrenhaus zu verkaufen, aber sie wollte ihrer Tochter jetzt nicht mehr in den Rücken fallen.
»Wenn Sie sie besichtigen wollen, Herr Münster«, schlug sie ein wenig zaghaft vor.
»Sehr gern. Ich bin Ihnen sehr verbunden, gnädige Frau. Es würde mich freuen, wenn wir uns einigen könnten. Wie ich schon zu ihrer Tochter sagte, bin ich bereit, jeden Preis zu zahlen.«
Wie er auf sein Geld pocht, dachte Alexandra aufsässig. Dann gingen sie hinüber. Alles war sehr heruntergekommen, man sah überall, dass an diesem Haus viele Jahre nichts getan worden war. Dick lag der Staub auf den Möbeln. Die Zimmer, acht waren es, waren sehr geräumig, aber die Renovierung würde Unsummen verschlingen, genau wie drüben im Herrenhaus. Manchmal wurde es Alexandra doch angst, wenn sie darüber nachdachte, was sie eigentlich alles investieren müssten.
»Es bedarf nur Ihrer Zustimmung«, erklärte Felix Münster kurz entschlossen. »Dann könnten wir morgen den notariellen Vertrag machen. Die Kaufsumme wird Ihnen sofort angewiesen. Herr Heimberg kann mir einen Kostenvoranschlag für die Renovierung machen, und wenn die Handwerker da sind, können Sie diese ebenfalls gleich in Anspruch nehmen. Ich bin gern bereit, Ihnen in jeder Beziehung entgegenzukommen.«
Nur über die Summe, die er zu zahlen bereit war, hatte er noch nicht gesprochen. Alexandra wusste nicht, was sie verlangen sollte, wenn er sie fragte. Aber er fragte nicht.
»Wären Ihnen vierhunderttausend Euro als Verhandlungsbasis recht?«, bot er an.
Um Alexandra begann sich alles zu drehen, und auch Marianne von Rieding war blass geworden. Vierhunderttausend Euro! Unvorstellbar!
»Aber es muss doch viel Geld hineingesteckt werden«, murmelte sie beklommen.
»Das ist es mir wert«, erwiderte er. »Im Übrigen würde ich nur zeitweise hier wohnen. Meine Schwägerin betreut den Jungen. Unsere Haushälterin würde mit hierher übersiedeln und vielleicht noch ein Hausmädchen. Ich werde selbstverständlich dafür Sorge tragen, dass Sie sich in keiner Weise belästigt fühlen.«
»Aber ich bitte Sie, Herr Münster«, flüsterte Marianne von Rieding befangen.
Alexandra hatte es die Stimme verschlagen. Sie sah ihn an, mitten hinein in seine Augen, in denen etwas wie Spott zu funkeln schien, als wollte er sagen: Nun habe ich es doch erreicht, was ich wollte.
*
Der Notar Dr. Rückert saß mit seiner Familie am Frühstückstisch. Der Collie Charly hatte sich zu seinen Füßen ausgestreckt.
»Schau mich nicht so vorwurfsvoll an«, sagte er zu ihm, »du bekommst nichts mehr, du verwöhnter Bursche. Fehlte noch, dass du auch noch Honigbrötchen frisst.«
Dann blickte er wieder auf die Uhr, deren Zeiger stetig voranrückte. »Was pressiert dir denn so, Heinz?«, fragte seine Frau.
»Um zehn Uhr kommen Münster und Alexandra von Rieding«, entgegnete er.
»Eigentlich ein Jammer, dass unser Eldorado des Friedens zerstört wird«, seufzte seine Frau.
»Was will Münster eigentlich?«, mischte sich Fabian ein.
»Die Dependance von Felsenburg hat er gekauft«, antwortete Dr. Rückert. »Eigentlich schade. Seit 1495 sind die Riedings dort ansässig gewesen.«
»Die Dependance ist erst vor fünfzig Jahren gebaut worden«, warf Fabian ein.
»Unser Herr Studienassessor spricht«, meinte Stella neckend. »Aber was soll’s. Die Zeit treibt voran, wir müssen Schritt halten. Wer kann sich das heute schon leisten, einen solchen Besitz nur als Hobby zu unterhalten. Jammert nicht, Leute, ein neues Leben blüht aus den Ruinen.«
»Du hast überhaupt keinen Sinn für Romantik«, kritisierte Rosemarie Rückert.
»Das überlasse ich meinem Bruder«, konterte Stella.
Fabian blickte verlegen auf seinen Teller. Hoffentlich verriet sie jetzt nichts. Aber Stella bewahrte Schweigen, und er atmete erleichtert auf.
»Na, ich weiß nicht, ob ein Lehrer heutzutage noch romantisch sein kann«, stellte Dr. Rückert fest. »Sich mit diesen aufgezäumten Dingern herumärgern zu müssen, ist doch wohl nicht das reine Vergnügen. Aber er wollte es ja nicht anders.«
»Mit äußerst charmanten jungen Damen, Papachen«, spottete Stella. »Wenigstens zum Teil.« Sie warf ihrem Bruder einen schrägen Blick zu.
»Mir wäre es lieber gewesen, er hätte Jura studiert«, erklärte Dr. Rückert brummig.
»Du sagst es, Papa«, nickte Fabian.
Sein Vater sah ihn misstrauisch an. »Kommt schon die Reue? Nun, sie kommt zu spät, mein Lieber. Steckt der Idealist auf, der den Schülern nicht nur Vorbild, sondern Freund sein wollte?«
»Es kommt ganz darauf an, wessen Freund man sein möchte«, meinte Stella vorwitzig.
»Was machst du eigentlich dauernd für Anspielungen?«, fragte ihre Mutter wachsam.
»Ach, ich denke nur, dass Fabian jetzt vielleicht meint, Arzt zu sein wäre einträglicher gewesen, wenn es draußen im Sonnenwinkel Arbeit gibt«, meinte sie anzüglich.
»Die neue Siedlung soll Erlenried heißen«, stellte Fabian betont fest.
»Für mich bleibt’s der Sonnenwinkel«, widersprach Stella.
»Ich muss jetzt gehen«, ließ Dr. Rückert sich vernehmen. »Sonnenwinkel, Erlenried oder Felsenburg – es gehört doch alles zusammen. Übrigens ist Professor Auerbach ein ganz bekannter Entwicklungsingenieur. Mal sehen, was er da draußen ausbrütet.«
»Vielleicht eine Schnellbahn zwischen Hohenborn und Sonnenwinkel«, meinte Stella augenzwinkernd. »Erstklassige Verbindung, in höchstens zwei Minuten zu erreichen, damit die Sehnsucht frisch bleibt.«
Sie sprang auf und begleitete ihren Vater zur Tür, während Rosemarie Rückert ihren Sohn konsterniert anschaute.
»Sie spinnt«, sagte er.
»Als Lehrer solltest du das nicht sagen. Aber mit siebzehn spinnen sie ja alle.«
»Und mit achtzehn?«, fragte er.
»Da werden sie schon langsam wieder vernünftig.«
Bezaubernd ist diese Henrike Auerbach, dachte er. Mein Gott, wie soll ich das bloß durchhalten, Tag für Tag Französisch und Englisch zu unterrichten, wenn sie ständig vor mir sitzt?
*
Alexandra von Riedings Hand zitterte leicht, als sie ihre Unterschrift unter den Kaufvertrag setzte. Ihre Mutter hatte sie mit allen Vollmachten versehen, und sie war gewiss sonst nicht leicht aus der Ruhe zu bringen. Schon früh hatte Alexandra sich auf eigene Füße stellen müssen. Das kleine Einkommen ihrer Mutter hatte gerade dazu gereicht, dass sie eine gute Ausbildung bekommen konnte, denn der vermögende Großvater hatte sich in keiner Weise ihrer angenommen.
Nun hatte sie einen Teil des Besitzes dieses Großvaters an Felix Münster verkauft, den Mann, der sie zunehmend beunruhigte.