Im Sonnenwinkel Staffel 1 – Familienroman. Patricia Vandenberg
Herr Doktor, zum Essen einladen?«, fragte er.
»Ich bedauere sehr, Herr Münster, aber wir erwarten heute Familienbesuch«, erwiderte Dr. Rückert. »Alte Damen sind leicht gekränkt, wenn man sie nicht genügend würdigt.«
»Aber Sie geben mir hoffentlich keinen Korb, Frau von Rieding?«
Sie wollte es, aber sie brachte es nicht über die Lippen. »Wir können uns dann auch mal etwas eingehender über die neue Siedlung unterhalten«, fügte er rasch hinzu, als er ihr Zögern bemerkte.
Sie fuhren zu den Tessiner Stuben, wo er mit äußerster Zuvorkommenheit begrüßt wurde.
»Ich wusste nicht, dass Sie hier so bekannt sind«, stellte sie beiläufig fest.
»Ich bin hier geboren. Mein Vater war mit Ihrem Großvater befreundet, sofern man bei diesen beiden dickköpfigen Männern von Freundschaft sprechen kann. Ich war als Kind öfter auf Erlenhof.«
Er unterbrach sich, als der Ober nahte. Es schien ihm ganz willkommen zu sein. Alexandra geriet ins Nachdenken. War es gar eine Kindheitssehnsucht von ihm, dieser romantischen alten Burg nahe zu sein?
Er lenkte rasch auf Erlenried, die neue Siedlung über, als er die Bestellung aufgegeben hatte.
»Die Bauweise wird der schönen Landschaft natürlich so angepasst werden, dass ihr Reiz nicht verloren geht«, stellte er fest. »Ich stelle mir vor, dass vorwiegend Familien mit Kindern dort wohnen werden. Es soll meiner Ansicht nach nicht das Privileg der Besitzenden sein, die schönsten Plätze für sich zu reservieren.«
Hoppla, dachte sie, sollte ich mich in ihm getäuscht haben, oder sind das nur schöne Worte? Aber eigentlich hatte sie ihn ja gar nicht als arrogant eingeschätzt. Wieder wurde sie unsicher.
»Ich hoffe, dass alles sehr schön wird«, sagte sie leise. »Herr Heimberg ist ein ausgezeichneter Architekt.«
»Sie arbeiten mit ihm?«, fragte er.
»Ich bin seine Angestellte. Aber man kann zufrieden mit so einem Chef sein.«
Eine Bemerkung schien ihm auf den Lippen zu liegen, doch schon wieder wechselte er das Thema.
»Manuel ist überglücklich. Ich muss gestehen, dass es mich rührt, wie er sich auf Felsenburg freut. Ich kann zwar nicht erwarten, dass Sie sich mit meiner Schwägerin verstehen, aber vielleicht können Sie dem Kind doch das Gefühl geben, dass es nicht unerwünscht ist.«
Was meinte er wohl damit? Ich kann erwarten, dass Sie sich mit meiner Schwägerin verstehen, hallte es in Alexandras Ohren.
»Ich habe Kinder sehr gern«, erwiderte sie beklommen.
Ein ungläubiger Ausdruck kam in seine Augen. »Sie machen so ganz den Eindruck einer emanzipierten Frau«, stellte er nüchtern fest.
»Schließt das aus, dass man Kinder gernhat?«, fragte sie lächelnd. »Ich war sehr traurig, dass ich keine Geschwister hatte. Mein Vater ist leider sehr früh gestorben.«
»Aber Sie werden doch sicher einmal Kinder haben.«
»Vielleicht. Sie müssen den richtigen Vater haben«, entfuhr es ihr unvermittelt. »Platz dafür wäre ja jetzt genug«, fuhr sie dann in leichtem Ton fort.
»Es liegt nicht am Platz.« Seine Stimme war ganz heiser geworden. »Es liegt an der Einstellung. Ich weiß nicht, ob meine Schwägerin die richtige Erzieherin für meinen Sohn ist, aber …« Der Ober kam mit dem Essen. Wieder wurde er unterbrochen und knöpfte den verlorenen Faden nicht mehr weiter.
Alexandra konnte noch lange, nachdem sie sich verabschiedet hatten, darüber rätseln, was er hatte sagen wollen.
Noch mehr Rätsel gab jedoch er selbst ihr auf. Er war plötzlich wieder sehr reserviert gewesen, als bedauere er es, seine persönlichen Probleme angeschnitten zu haben.
Sie war sehr gespannt, seinen Sohn kennenzulernen, aber darüber würden wohl noch viele Wochen vergehen.
»1493 wurde die Felsenburg fertiggestellt«, begann Professor Auerbach seinen Vortrag.
»Stimmt nicht, Paps«, mischte sich Jörg ein, »es war 1495. Ich habe es im Archiv nachgelesen.«
»Im Archiv?«, staunte sein Vater. »Wieso das?«
»Nun, ich wollte doch wissen, ob ihr euch wenigstens in einer interessanten Gegend ansiedelt.«
»Du gehörst auch dazu«, warf Inge ein.
»Natürlich, Mamuschka«, lächelte er. »Es ist eine sehr interessante Gegend, und die Felsenburg hat eine noch interessantere Geschichte.«
»Hört, hört«, ließ Henrike sich vernehmen, »mein Bruder doziert.«
»Unser Bruder«, konterte Hannes. »Mein und dein gibt’s bei uns nicht.«
»Recht hat er«, nickte der Hausherr. »Fahre fort, Jörg, ich überlasse es dir gern.«
»Die Riedings herrschten einmal über dieses Land. Sie waren zwar nur Barone, aber gefürchtete. Allerdings verstanden sie es auch, diese querköpfige Bevölkerung im Zaum zu halten. Sie vertrauten ihnen.«
»Darum haben sie auch all ihre Schätze in der Burg versteckt, als der Dreißigjährige Krieg war«, warf Hannes ein.
»Ich habe nicht von Schätzen geredet, sondern von ihrem Hab und Gut, das sie sicherstellen wollten«, widersprach sein Vater.
»Na, meinetwegen«, meinte Hannes. »Und was war, als der Krieg kam?«
»Viele flüchteten, viele fielen im Kampf gegen den Feind. Als wieder Frieden wurde, entstand Hohenborn«, fuhr Jörg fort.
»So alt sieht es aber gar nicht aus«, meinte Hannes.
»Die Schule schon gar nicht«, mischte sich Bambi schüchtern ein. Werner und Inge tauschten einen verständnisinnigen Blick.
»Es hat sich mittlerweile manches gewandelt«, sagte er. »Es wurde größer und natürlich auch moderner.«
»Aber die historische Vergangenheit geht viel weiter zurück«, erklärte Jörg. »Die Funde beweisen, dass die Römer hier durchgezogen sind auf dem Weg zum Rhein.«
»Oje!«, ächzte Werner Auerbach. »Auch das noch! Studierst du eigentlich Technik oder antike Geschichte?«
»Es ist toll, wenn man sich damit erst mal befasst, Paps«, stellte Jörg begeistert fest. »Wir sollten uns viel mehr informieren, wie weit sie damals schon waren. Ich meine fast, sie haben auch schon mal das Weltall ergründet.«
»Das wollen wir jetzt aber nicht hören. Uns interessiert die Felsenburg«, ließ Hannes sich wieder vernehmen. »Meinst du nicht, dass man da noch Schätze finden könnte?«
»Was ist nicht möglich zwischen Himmel und Erde?«, erwiderte Jörg philosophisch, ohne zu ahnen, wie sehr er die Fantasie seines jüngeren Bruders damit beflügelte.
»Nehmt es mir nicht übel, Kinder, aber mich interessieren Gegenwart und Zukunft mehr als die Vergangenheit«, meldete sich nun mal wieder Inge zu Wort. »Ich bin halt nicht so schrecklich intellektuell wie ihr.«
Henrike sagte überhaupt nichts. Sie lehnte im Sessel und träumte vor sich hin. Die Felsenburg, die Römer und der Dreißigjährige Krieg waren ihr völlig gleichgültig. Sie dachte nur darüber nach, ob Fabian Rückert jetzt wieder mit dem hübschen blonden Mädchen beisammen war oder ob sie ihn doch einmal wiedersehen würde.
»Ob es da auch spukt in der Burg?«, wisperte Bambi. »Ich möchte so gern mal einen Geist sehen.«
»Geister sind böse, Bambi«, warnte Hannes.
»Wenn man lieb ist, ist keiner böse«, entgegnete sie im Brustton vollster Überzeugung.
Es war ein herrliches Wochenende geworden, das sie so recht genossen hatten. Aber nun begann der Alltag wieder. Jörg war nach München gefahren, und Henrike und Hannes mussten zur Schule. Es war unabwendbar.
»Dann