Gesammelte Werke. Oskar Panizza

Gesammelte Werke - Oskar Panizza


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vom Himmel auf die Erde geschleudert zu werden, möglicherweise sicher; die Tür war ja dicht neben dran! – Oder weiß einer von den Lesern, ob die Leute auf dem Mond einem muskelstarken Schlag angehören? Ich weiß es nicht. – Doch ich hatte Glück! Der Mondmann schnarchte nicht, aber er schlief; seine langsamen regelmäßigen Atemzüge bekundeten mir dies auf’s Unwiderleglichste. Ich kroch unter mein Bett zurück und verließ dann am Fußende desselben mein schwarzes Gefängnis, dessen Aufenthalt mir während der letzten Viertelstunde noch der reichlich gefüllte Nachttopf der Mondfrau etwas vergällt hatte. Mein erster Gang war zum Fenster: Alles lag in schwindelhafter Ferne; kein Baum, kein Strauch, keine Wolke, nicht einmal ein Nebel, weder Ton noch Geräusch, kein Vogel, kein Sonnenstrahl, nur in weiter Ferne einige scharf blitzende Gestirne auf einer dunkel-violetten Wand. Gott! – sagte ich zu mir – welch’ ein Leichtsinn, sich auf eine so unberechenbare Bahn begeben zu haben. Ebensogut konnte man sich ja von einem Lämmergeier in die Lüfte entführen lassen. Ich dachte an meine Hausfrau in Leyden. Sie erschien mir in den süßesten Farben. Welch’ ein edles Herz, sagte ich zu mir, trotz aller langen Zähne, trotz allen Gekeifes, aller giftigen Blicke und teuflischen Gewohnheiten. – Eines war sicher, – dies lehrten mich die Sternbilder, von denen ich einige erkannte, – ich befand mich im Weltall. Ich befand mich auch noch im Bereich der Anziehungskraft der Erde, oder sonst eines respektablen Weltkörpers; denn sonst wäre ja unsere kleine Mondbaracke längst zerschellt an der Oberfläche irgend eines streunenden Gestirns angekommen, während hier im Inneren alles auf stabile und geordnete Verhältnisse hinwies: einige Bettladen waren aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts, dies ließ sich trotz ihrer Ärmlichkeit an einigem Schnörkelwerk in den Füllungen feststellen; ebenso war die gewölbten Konstruktion der Decke ein verunglücktes Ingenieur-Stück von hohem Alter; also mußte diese kleine, in verdünnter Luft schwimmende Holz-Bude sich doch, was man sagt, eine gewisse astronomische Existenz im Himmel verschafft haben.

      Aber wo war die Sonne? Dieser Quell alles Lichts, alles Lebens und aller Bewegung! – Ich hätte zu gerne das Fenster aufgemacht, aber was konnte da nicht alles passieren! Vielleicht hatten wir hierin verdünnte Luft, und beim Öffnen wäre die äußere mit der Vehemenz einer Explosion hereingestürzt und hätte alles drunter und drüber gebracht. Was mir auffiel: ich fror nicht. Draußen auf der Strickleiter hatte ich heftig gefroren. Da nirgends ein Feuer, ein Licht oder ein Ofen war, so mußte die Wärme von wo anders herkommen, ich blickte um mich: »dreißig Kinder,« sagte ich mir, »in einem so engen Raum zusammengepfercht, – die zwei Mondleute und ich macht dreiunddreißig, – das gibt schon aus; und so lange Nahrung vorhanden, ist eine gegenseitige Erwärmung nicht ausgeschlossen; aber es genügt nicht, um die äußere Abkühlung des Mondhauses in dieser verdünnten Region, und was außerdem durch die Ritzen der schlechtschließenden Türen und Fenster hereindringt, zu kompensieren.« Ich machte einen Gang durch den Innen-Bettraum des Zimmers; meine Stiefeln hatte ich unter dem Bett der Mondfrau zurückgelassen: es fiel mir auf, daß die drübere Seite, die Bettreihe gegenüber dem Fenster, schon in der Luft wärmer war als die Fensterseite; auch schliefen dort die kleineren Kinder; ich zwängte mich durch zwei dieser Bettladen durch und fühlte an die Holzwand, wo das gestohlene astronomische Bild hing; sie war badwarm. »Ich laß mich hängen, » rief ich leise vor mich hin, »wenn auf dieser Seite nicht die Sonne steht!« Ich versuchte durch eine Ritze zu spähen, aber da war alles dicht vermacht, es schienen noch dicke Lagen von Werg und sonstigem schlechtleitendem Füllmaterial im Inneren zu kommen, auch roch die ganze Wand stark nach Teer. – Nun, wenn dort die Sonne steht, – sagte ich zu mir, – wird sie schon hervorkommen, oder der Mond wird sich zu ihr hinüberdrehen. – Beim Zurückgehen aus meiner Bettladen-Enge fiel mein Blick auf eines der schlafenden Kinder. Mich frappierte die Gesichtsbildung, die insofern eine sehr tiefe Entwicklungsstufe aufwies, als gerade die äußeren Sinnesorgane wie Ohren, Augen, Nase, nur durch minimale Läppchen oder Erhebungen sich anzeigten, im Übrigen aber der Schädel mitsamt dem Gesicht eine kreisrunde Kugelform einhielt; und da die meisten Kinder, in tiefem Schlaf versunken, mit hochgeröteten Backen dalagen, so machte es den Eindruck, als wären von den runden, holländischen Käsen welche mit kleinen Einschnitten versehen oben am Anfang des Plümeaus gelegt worden. Ich konnte mir nicht versagen, die Rundtour um diese Betten zu machen, um bis zu den erwachseneren Mädchen zu kommen; überall die gleichen Pfannkuchengesichter, der Mund meist ein nach oben gekrümmter Halbkreiseinschnitt, die Nase eine plattgedrückte Zwetsche mit rechts und links einem kleinen Loch, die Augen zwei Schlitzchen, die Ohren zwei Läppchen. Dagegen machte man sich auf der Erde keinen Begriff von dem wunderschönen Goldglanz dieser Kinderhaare, und ebenso war ihre Haut von seltener Reinheit und Glätte. – Inzwischen machte sich aber mein Hungergefühl in immer heftigerer Weise bemerkbar; ich habe wohl oben nicht erwähnt, daß ich schon, als ich vom Fenster wegging, auf meinem Weg zur gegenüberliegenden Seite den Tisch befühlte, um die unangenehme Entdeckung zu machen, daß die Mondfrau sämtliche Speisereste bis auf die letzte Käsrinde zusammengescharrt hatte; was tun? – Ich wußte wohl, wo Käse waren; drunten im Keller; aber war es nicht im höchsten Grade riskant einen Raum in der Dunkelheit zu betreten, von dem ich weiter nichts wußte, als das er den Hohlraum eines Kugelabschnitts darstelle, mit anderen Worten muldenförmig sich vertiefe, und dies nur vermutungsweise?! – Stärker jedoch als diese Erwägung erwies sich mein Hunger. Die Klappe, das ist die Kellertür, wußte ich, lag gerade vor dem Fußende des Mondmann-Bettes; ich begab mich auf allen Vieren in diese gefährliche Gegend; nach langem Tasten in der Dunkelheit fand ich einen eisernen Ring; ich hielt ihn für den Griff und zog; ich hatte mich nicht getäuscht: auch war die Türe nicht verschlossen; natürlich! für wen denn? – Aber in dem Moment, da ich die Türe etwas hob, – mit gespreizten Beinen über ihr stehend, – kam aus der Ecke das halb hingezischte Wort »Scheußlich!«. Vor Schrecken ließ ich die Türe fallen; ein dumpfer Schlag!« – Dann lautlose Stille. Mein erster Gedanke war, eine weitere Person sei auf dem Mond und habe Alles, – vielleicht vom Dach aus, – mit angesehen. Dann erinnerte ich mich, daß das ja das Wort war, mit dem der Mondmann zu Bett gegangen. – Zum Glück blieb alles still. Bald hörte ich wieder von allen Seiten regelmäßige Schnarch-und Atem-Züge, und, indem ich mir sagte: der Mondmann ist noch bei seinen Einschlaf-Gedanken, machte ich mich neuerdings an die Arbeit. Es gelang mir, die Falltür bis zur rechtwinkligen Lage emporzuheben, hätte aber beinahe wieder Malheur gehabt, da das eine Scharnier losgerissen war. Ein schwarzes Loch gähnte mir entgegen, ohne die Spur einer Beleuchtung. Ich lehnte die Tür vorsichtig an die nächste Kinderbettstatt, die fast bis ganz heranreichte, und stieg mit größter Vorsicht hinunter; um nicht mit dem Podex an einen unerwarteten Gegenstand zu stoßen, mit dem Gesicht voran; ein süßlich-bitterer Geruch aus Käs und Teer gemischt empfing mich; unten angelangt ging ich aber wohl im Glauben, daß das Schwierigste vorüber, etwas zu eilfertig, wiewohl tappend, nach vorwärts, und plötzlich fühlte ich einen heftigen Schlag vor der Stirn; ungewiß, ob er geführt, oder passiv erteilt, griff ich in die Luft, und faßte ein Querholz, welches, wie es schien, als Handgriff mit einem Triebrad, ähnlich wie bei einem Ziehbrunnen, in Verbindung war. Obwohl ich fast betäubt vor Schmerz war, lauschte ich doch erst, ob die Kollision nicht oben im Mondzimmer vernommen worden, um dann, da dies nicht der Fall zu sein schien, unbekümmert um die abenteuerliche Windmaschine, vom Geruch geleitet, meinen Weg zu den Käsen fortzusetzen. – Richtig! Da lagen etwa ein viertel oder halbes Hundert von den bekannten roten kugelrunden Käsen; wie eine Braut umarmte ich diesen kostbaren Haufen; waren sie doch das Einzige, das noch vor zwölf Stunden mit mir auf der Erde weilend, den fürchterlichen Anstieg da herauf in Gemeinschaft mit mir zurückgelegt hatte. Ich zog aber sofort mein Taschenmesser heraus um den, der nur gerade im Weg war anzuschneiden. Neue Enttäuschung! Mein Messer war, magnetisch vermute ich, festgefroren, das heißt: die Klinge im Heft eingekeilt und unbeweglich. So machte ich mich denn nach Art der Ratten an meine Mahlzeit und verspeiste mit großem Behagen etwa ein Drittel eines Käses. Es fiel mir auf, daß ich weder das Brot vermißte, noch auch durstig war. Wer von den Lesern so gelehrt ist, mag es mit meteorologischen Verhältnissen erklären, ich kann es nicht. Ich hatte den Rest meines Käses schon zum Haufen geworfen, und den Rückweg angetreten, der mir, wie überhaupt jede Bewegung in diesem Mondkeller, sehr erleichtert wurde, da der überall abschüssige Boden mit einem eigentümlich weichen Stoff belegt war, als mir ein neuer Gedanke kam: wenn die Mondfrau morgen oder eines Tages den angebissenen Käse findet, werde ich sie nicht unnötigerweise auf die Spur meiner Anwesenheit lenken, es sei denn, daß Ratten heroben sind, was ich nicht weiß, und die nebenbei der


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