Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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Ausdünstungen verpestete Luft … Aber da – o Freude! – donnerte es irgendwo in der Ferne; allmählich verdunkelte sich der Himmel; der Wind erhob sich und trieb ganze Wolken von Straßenstaub vor sich her. Einzelne dicke Regentropfen klatschten schwer auf die Erde nieder, und dann war es, als ob der ganze Himmel berste, und ein wahrer Strom von Wasser ergoß sich über die Stadt. Als nach einer halben Stunde wieder die Sonne schien, öffnete ich das Fenster meiner Dachstube und sog begierig die frische Luft in meine müde Brust tief ein. In meinem Freudenrausch wollte ich schon die Feder hinwerfen, meine ganze Arbeit und den Verleger selbst im Stich lassen und zu ›meinen Leuten‹ nach der Wassili-Insel laufen. Aber obgleich die Versuchung groß war, überwand ich sie doch und machte mich mit einer Art von Wut erneut an meine Schreiberei: ich mußte unter allen Umständen fertig werden! Der Verleger befahl, und sonst gab er mir kein Geld. Man erwartete mich allerdings dort auf der Wassili-Insel jetzt vergebens; aber dafür war ich dann am Abend frei, völlig frei, wie der Vogel in der Luft, und ich sagte mir, der heutige Abend werde mich für diese letzten zwei Tage und zwei Nächte entschädigen, in denen ich drei und einen halben Druckbogen geschrieben hatte.

      Und nun war die Arbeit endlich fertig; ich warf die Feder hin und erhob mich; ich fühlte einen Schmerz im Rücken und in der Brust und eine Benommenheit im Kopf. Ich wußte, daß in diesem Augenblick mein Nervensystem aufs äußerste angegriffen war, und glaubte noch die letzten Worte zu hören, die mein alter Arzt zu mir gesagt hatte: »Nein, solche Anstrengungen kann auch die beste Konstitution nicht aushalten; das ist ein Ding der Unmöglichkeit!« Indessen, vorläufig war es noch möglich! Der Kopf war mir schwindlig, und ich konnte kaum auf den Beinen stehen; aber Freude, eine grenzenlose Freude erfüllte mein Herz. Meine Novelle war vollständig fertig, und ich sagte mir, daß der Verleger, obwohl ich ihm viel schuldete, mir doch wenigstens etwas geben werde, wenn er die Beute in seinen Händen sehe, wenigstens fünfzig Rubel, und ich hatte seit langer, langer Zeit nicht so viel Geld besessen. Freiheit und Geld! … Voller Entzücken griff ich nach meinem Hut, nahm das Manuskript unter den Arm und lief Hals über Kopf, um unseren verehrten Alexander Petrowitsch noch zu Hause zu finden.

      Ich traf ihn noch an, wiewohl er eben im Fortgehen war. Er hatte seinerseits soeben eine nicht literarische, aber dafür sehr profitable Spekulation zum Abschluß gebracht, begleitete einen brünetten kleinen Juden, mit dem er ganze zwei Stunden lang in seinem Arbeitszimmer gesessen hatte, endlich hinaus, reichte mir nun höflich die Hand und erkundigte sich mit seiner weichen, liebenswürdigen Baßstimme nach meinem Befinden. Er war ein herzensguter Mensch, und ich war ihm, ohne Scherz gesagt, sehr zu Dank verpflichtet. Was konnte er dafür, daß er in der Literatur sein ganzes Leben lang ›nur‹ Verleger gewesen war? Er hatte begriffen, daß die Literatur einen Verleger nötig hatte, und er hatte das sehr zur rechten Zeit begriffen; dafür sei ihm Ehre und Ruhm – natürlich von der Art, wie es einem Verleger zukommt.

      Er hörte mit einem Lächeln der Befriedigung, daß die Novelle fertig und die nächste Nummer seiner Zeitschrift auf diese Art in ihrem Hauptbestandteil sichergestellt sei, sprach seine Verwunderung darüber aus, wie ich es angefangen hätte, etwas rechtzeitig fertigzustellen, und machte dabei einige sehr liebenswürdige Witze. Darauf ging er an seinen eisernen Geldschrank, um mir die versprochenen fünfzig Rubel zu geben, reichte mir unterdessen ein dickes Heft eines anderen, gegnerischen Journals hin und machte mich auf einige Zeilen in der Abteilung für Kritik aufmerksam, wo auch über meine letzte Novelle ein paar Worte gesagt waren.

      Ich sah hinein: es war ein Artikel des ›Merkers‹. Ich wurde darin nicht eigentlich gescholten, aber auch nicht eigentlich gelobt. Aber der ›Merker‹ sagte unter anderem, meine Schriften pflegten ›nach Schweiß zu riechen‹, das heißt, ich vergösse bei ihrer Abfassung so viel Schweiß, mühte mich so lange ab, nähme so viele Umarbeitungen und Überarbeitungen vor, daß das abstoßend wirke.

      Der Verleger und ich mußten beide laut lachen. Ich teilte ihm mit, daß meine vorige Novelle in zwei Nächten verfaßt sei und daß ich jetzt in zwei Tagen und zwei Nächten drei und einen halben Druckbogen geschrieben hätte; wenn das der ›Merker‹ wüßte, der mir übermäßige Sorgfalt und pedantische Langsamkeit beim Arbeiten zum Vorwurf machte!

      »Aber an Ihrem, hastigen Arbeiten sind Sie doch selbst schuld, Iwan Petrowitsch. Warum trödeln Sie so lange, daß Sie zuletzt die Nächte hindurch arbeiten müssen?« Alexander Petrowitsch war gewiß ein sehr liebenswürdiger Mensch, wiewohl er eine besondere Schwäche hatte: nämlich mit seinem literarischen Urteil gerade denjenigen gegenüber großzutun, von denen er selbst vermutete, daß sie ihn völlig durchschauten. Aber ich hatte keine Lust, mit ihm über Literatur zu disputieren, sondern nahm das Geld hin und griff nach meinem Hut. Alexander Petrowitsch beabsichtigte, nach den Inseln zu fahren, wo er eine Sommerwohnung hatte, und als er hörte, daß ich nach der Wassili-Insel wolle, bot er mir großmütig an, mich in seinem Wagen hinzubringen.

      »Ich habe nämlich ein neues Wägelchen; haben Sie es noch nicht gesehen? Ein allerliebstes Ding!«

      Wir gingen zur Haustür. Der Wagen war wirklich sehr hübsch, und Alexander Petrowitsch hatte in der ersten Zeit seines Besitzes eine außerordentliche Freude an ihm und empfand sogar das seelische Bedürfnis, seine Bekannten darin mitfahren zu lassen.

      Während der Fahrt erging sich Alexander Petrowitsch wieder mehrmals in Betrachtungen über die moderne Literatur. Vor mir genierte er sich nicht und wiederholte mit der größten Seelenruhe verschiedene fremde Gedanken, die er neuerdings von dem einen oder dem anderen der Literaten gehört hatte, zu denen er Vertrauen hatte und deren Urteil er hochschätzte. Dabei begegnete es ihm manchmal, recht wunderliche Dinge hochzuschätzen. Es passierte ihm auch, daß er eine fremde Ansicht unrichtig wiedergab oder sie an eine falsche Stelle brachte, so daß Unsinn herauskam. Ich saß da, hörte schweigend zu und wunderte mich über die Mannigfaltigkeit und Launenhaftigkeit der menschlichen Leidenschaften. »Da ist nun ein Mensch«, dachte ich im stillen, »der weiter nichts tun sollte, als immer nur Geld zusammenzuscharren; aber nein, es verlangt ihn noch nach Ruhm, nach literarischem Ruhm, nach dem Ruhm eines guten Herausgebers und Kritikers.«

      In diesem Augenblick bemühte er sich, mir eingehend einen literarischen Gedanken auseinanderzusetzen, den er drei Tage vorher von mir selbst gehört, dessen Richtigkeit er damals mir selbst gegenüber heftig bestritten hatte, den er aber jetzt für seinen eigenen ausgab. Aber dem guten Alexander Petrowitsch begegnete eine solche Vergeßlichkeit alle Augenblicke, und er war wegen dieser harmlosen Schwäche bei all seinen Bekannten berühmt. Wie vergnügt war er jetzt, wo er in seinem eigenen Wagen sich selbst reden hören konnte, wie zufrieden mit seinem Schicksal, wie großmütig! Er führte ein wissenschaftliches Gespräch über Literatur, und sogar seine weiche, freundliche Baßstimme bekam dabei einen wissenschaftlichen Klang. Allmählich ging er zu einer scharfen Kritik über und sprach seine naive skeptische Überzeugung aus, daß weder in unserer Literatur noch in irgendeiner anderen bei jemandem Ehrlichkeit und Bescheidenheit zu finden seien; es gäbe nur ein »Sich-gegenseitig-in-die-Fresse-Schlagen‹, besonders bei Beginn der Subskription. Ich dachte bei mir, daß Alexander Petrowitsch wohl auch geneigt sei, jeden ehrlichen, aufrichtigen Schriftsteller wegen dieser seiner Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, wenn nicht für einen kompletten Schafskopf, so doch mindestens für töricht zu halten. Selbstverständlich entsprang dieses Urteil unmittelbar der außerordentlichen Herzensreinheit Alexander Petrowitschs.

      Aber ich hörte ihm nicht mehr zu. Auf der Wassili-Insel ließ er mich aussteigen, und ich lief zu unseren Leuten. Da war schon die Dreizehnte Linie, und da war ihr Haus. Als Anna Andrejewna mich erblickte, drohte sie mir mit dem Finger und gab mir durch Armbewegungen zu verstehen, daß ich keinen Lärm machen solle.

      »Nelly ist eben eingeschlafen, das arme Kind!« flüsterte sie mir eilig zu. »Um Gottes willen, weck sie nicht auf! Gar zu schwach ist sie, die liebe Kleine! Wir sind in großer Sorge um sie. Der Arzt sagt, ihr Zustand sei vorläufig nicht bedenklich; aber aus dem ist ja nichts Gescheites herauszubekommen, aus deinem Arzt. Und schämst du dich denn gar nicht, Iwan Petrowitsch? Wir haben dich erwartet; zum Mittagessen haben wir dich erwartet… du hast dich ja zwei Tage lang nicht blicken lassen!…«

      »Aber ich habe ja noch vorgestern gesagt, daß ich zwei Tage lang nicht kommen würde«, flüsterte ich Anna Andrejewna zu. »Ich mußte eine Arbeit fertigmachen…«

      »Aber du hattest doch versprochen,


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