Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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dem Großvater wegging, da behielt er Asorka bei sich und ging immer mit ihm, so daß Mama, als sie damals auf der Straße Asorka erblickte, auch sogleich wußte, daß der Großvater da sein müsse …«

      Der Alte hatte offenbar etwas anderes über Asorka zu hören erwartet und machte ein immer finstereres Gesicht. Er stellte von nun an keine Fragen mehr.

      »Und seitdem habt ihr also den Großvater nicht mehr zu sehen bekommen?« fragte Anna Andrejewna.

      »Doch; als Mama in der Genesung war, da traf ich den Großvater wieder. Ich ging zum Bäcker, um Brot zu holen: auf einmal sah ich einen Mann mit Asorka; ich sah näher hin und erkannte den Großvater. Ich trat zur Seite und drückte mich an ein Haus. Der Großvater blickte mich an, betrachtete mich lange und sah so schrecklich aus, daß ich große Angst vor ihm hatte; dann ging er vorbei; Asorka aber erinnerte sich meiner und begann, neben mir umherzuspringen und mir die Hände zu lecken. Ich lief, so schnell ich nur konnte, nach Hause; dabei blickte ich mich noch einmal um und sah, daß der Großvater in den Bäckerladen ging. Da dachte ich: gewiß erkundigt er sich nach mir, und ich bekam noch mehr Angst, und als ich nach Hause kam, sagte ich Mama nichts davon, damit Mama nicht wieder krank würde. Ich selbst aber ging am anderen Tag nicht zum Bäcker, sondern sagte, ich hätte Kopfschmerzen; und als ich am darauffolgenden Tag hinging, da begegnete ich niemandem und fürchtete mich schrecklich, so daß ich den ganzen Weg lief. Und wieder einen Tag später ging ich hin, und sowie ich um die Ecke herumkam, stand da der Großvater mit Asorka vor mir. Ich lief weg, bog in eine andere Straße ein und näherte mich dem Bäckerladen von der anderen Seite: da stieß ich plötzlich wieder gerade auf den Großvater und bekam einen solchen Schreck, daß ich auf dem Fleck stehenblieb und nicht weitergehen konnte. Der Großvater stellte sich vor mich hin und sah mich wieder lange an, und dann streichelte er mir den Kopf, nahm mich bei der Hand und führte mich, und Asorka folgte uns und wedelte mit dem Schwanz. Da sah ich erst, daß der Großvater gar nicht mehr gerade gehen konnte und sich immer auf den Stock stützte und daß ihm die Hände fortwährend zitterten. Er führte mich zu einem Straßenhändler, der an der Ecke saß und Pfefferkuchen und Äpfel feilhielt. Der Großvater kaufte einen Hahn und einen Fisch von Pfefferkuchen und ein Stück Zuckerwerk und einen Apfel, und als er das Geld aus dem Lederbeutelchen nahm, da zitterten seine Hände sehr, und es fiel ihm ein Fünfkopekenstück hin, und ich hob es ihm auf. Er schenkte mir dieses Fünfkopekenstück und gab mir den Pfefferkuchen und das andere, und streichelte mir den Kopf; aber er sagte wieder nichts, sondern ging von mir weg nach Hause.

      Als ich dann zu Mama kam, erzählte ich ihr alles von dem Großvater und wie ich zuerst vor ihm Angst gehabt und mich vor ihm versteckt hatte. Mama glaubte mir zuerst nicht; aber dann freute sie sich so, daß sie mich den ganzen Abend über ausfragte, mich küßte und weinte; und als ich ihr alles erzählt hatte, da befahl sie mir im voraus, ich solle mich nie vor dem Großvater fürchten; der Großvater habe mich offenbar lieb, wenn er so absichtlich komme, um mich zu sehen. Und sie hieß mich freundlich gegen den Großvater sein und mit ihm sprechen. Und am nächsten Tag schickte sie mich am Vormittag mehrmals aus, obgleich ich ihr sagte, daß der Großvater immer erst gegen Abend komme. Sie selbst aber folgte mir in einiger Entfernung und versteckte sich hinter einer Ecke, und am anderen Tag ebenso; aber der Großvater kam nicht. Aber an diesen Tagen regnete es, und Mama erkältete sich sehr, weil sie immer mit mir auf die Straße gegangen war, und sie mußte sich wieder hinlegen.

      Der Großvater aber kam erst nach einer Woche wieder und kaufte mir wieder einen Fisch und einen Apfel und sagte wieder kein Wort. Aber als er von mir fortgegangen war, ging ich ihm heimlich nach, denn das hatte ich mir im voraus so ausgedacht, um zu erfahren, wo er wohnte, und es Mama zu sagen. Ich ging in ziemlicher Entfernung auf der anderen Seite der Straße, so daß der Großvater mich nicht sah. Er wohnte aber sehr weit, nicht dort, wo er nachher gewohnt hat und gestorben ist, sondern in der Gorochowaja, ebenfalls in einem großen Haus, im vierten Stock. Ich brachte alles in Erfahrung und kehrte erst spät nach Hause zurück. Mama war in großer Angst, weil sie nicht gewußt hatte, wo ich war. Als ich ihr aber alles erzählte, da freute Mama sich wieder sehr und wollte sogleich zum Großvater gehen, gleich am nächsten Tag; aber am nächsten Tag kamen ihr Angst und Bedenken, und sie fürchtete sich ganze drei Tage lang und ging nicht hin. Aber dann rief sie mich zu sich und sagte: ›Höre, Nelly, ich bin jetzt krank und kann nicht hingehen; aber ich habe einen Brief an deinen Großvater geschrieben; geh zu ihm und gib ihm den Brief! Und gib acht, Nelly, was er für ein Gesicht macht, wenn er ihn liest, und was er sagt, und was er tut; und falle vor ihm auf die Knie, küsse ihm die Hand und bitte ihn, er möchte deiner Mama verzeihen …‹ Und Mama weinte sehr und küßte mich immer und bekreuzte mich für den Weg und betete, und ich mußte mit ihr vor dem Heiligenbild niederknien, und obgleich sie sehr krank war, begleitete sie mich doch bis an das Tor unseres Hauses, und als ich mich umwandte, stand sie immer noch da und sah mir nach, wie ich hinging … Ich kam zum Großvater und öffnete die Tür, die keinen Vorlegehaken hatte. Der Großvater saß am Tisch und aß Brot mit Kartoffeln, und Asorka stand vor ihm, sah zu, wie er aß, und wedelte mit dem Schwanz. Auch in jener Wohnung des Großvaters waren die Fenster klein und trüb, und im Zimmer standen nur ein Tisch und ein Stuhl. Da wohnte er ganz allein. Als ich eintrat, erschrak er so, daß er blaß wurde und anfing zu zittern. Ich erschrak ebenfalls und sagte nichts, sondern trat nur an den Tisch heran und legte den Brief darauf. Sowie der Großvater den Brief erblickte, wurde er so zornig, daß er aufsprang, den Stock ergriff und gegen mich ausholte; aber er schlug mich nicht, sondern führte mich nur auf den Flur hinaus und stieß mich weg. Ich war noch nicht die erste Treppe hinuntergestiegen, als er die Tür noch einmal aufmachte und mir den Brief ungeöffnet nachwarf. Ich ging nach Hause und erzählte alles. Da mußte Mama sich wieder ins Bett legen …«

      Achtes Kapitel

      In diesem Augenblick erscholl ein starker Donnerschlag, und der Regen schlug in kräftigem Guß gegen die Scheiben; im Zimmer wurde es dunkel. Die alte Frau hatte einen argen Schreck bekommen und bekreuzigte sich. Wir alle schwiegen auf einmal.

      »Es wird gleich vorübergehen«, sagte der Alte, indem er nach dem Fenster blickte; dann stand er auf und ging im Zimmer auf und ab.

      Nelly verfolgte ihn mit schrägen Blicken. Sie befand sich in einer außerordentlichen, krankhaften Aufregung. Ich sah das; aber sie vermied es, mich anzusehen. »Nun, und was geschah dann weiter?« fragte der Alte, indem er sich wieder in seinen Lehnstuhl setzte. Nelly blickte ängstlich um sich.

      »Also hast du deinen Großvater dann nicht wieder gesehen?«

      »Doch, ich habe ihn gesehen…«

      »Ja, ja, erzähle, mein liebes Kind, erzähle!« fiel Anna Andrejewna ein.

      »Ich sah ihn drei Wochen lang nicht wieder«, begann Nelly, »bis zum Anfang des Winters. Da wurde es kalt und schneite. Als ich den Großvater an der früheren Stelle wiedertraf, freute ich mich sehr; denn Mama grämte sich darüber, daß er nicht mehr kam. Sobald ich ihn erblickte, lief ich absichtlich auf die andere Seite der Straße, damit er sehen sollte, daß ich vor ihm wegliefe. Aber ich blickte mich um, und da sah ich, daß der Großvater zuerst mir schnell nachging und dann sogar zu laufen anfing, um mich einzuholen, und immer rief: ›Nelly, Nelly!‹ Und Asorka lief hinter ihm her. Er dauerte mich, und ich blieb stehen. Der Großvater kam heran und nahm mich bei der Hand und ging neben mir her, und als er sah, daß ich weinte, blieb er stehen, sah mich an, beugte sich zu mir herab und küßte mich. Da sah er, daß ich schlechte Schuhe anhatte, und fragte mich, ob ich keine anderen hätte. Da sagte ich ihm sogleich, daß Mama gar kein Geld hätte und daß unsere Wirtsleute uns nur aus Mitleid etwas zu essen gäben. Der Großvater sagte nichts dazu; aber er führte mich auf den Markt und kaufte mir ein Paar Schuhe und befahl mir, sie gleich da anzuziehen, und dann führte er mich in seine Wohnung nach der Gorochowaja; vorher aber ging er noch in einen Laden und kaufte eine Pastete und zwei Stücke Zuckerwerk, und als wir zu ihm nach Hause kamen, sagte er, ich solle die Pastete essen, und sah mir zu, während ich aß; und dann gab er mir das Zuckerwerk. Asorka aber hatte die Pfoten auf den Tisch gelegt und bat auch um ein Stückchen Pastete, und ich gab ihm etwas ab, und der Großvater lachte. Dann nahm er mich, stellte mich vor sich hin, streichelte mir den Kopf und fragte, ob ich etwas gelernt hätte und was ich wüßte. Ich sagte es ihm, und er befahl mir, ich solle, wenn es mir irgend möglich wäre, täglich um drei Uhr zu ihm kommen; er wolle


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