Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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Sie Schnaps?« fragte der Kellner.

      »Nein, bring mir Tee. Und bring mir ein paar Zeitungen, alte, so etwa von vor fünf Tagen; du bekommst ein Trinkgeld.«

      »Sehr wohl. Hier sind die heutigen. Befehlen Sie auch Schnaps?«

      Die alten Zeitungen und der Tee wurden gebracht. Raskolnikow setzte sich hin und fing an zu suchen: ›Isler – Isler – Azteken – Azteken – Isler – Bartola – Massimo – Azteken – Isler … Donnerwetter! Na, endlich die Lokalnachrichten: eine Frau von der Treppe gefallen – ein Kleinbürger infolge von Trunksucht bankerott geworden – Feuer auf den Peski – Feuer in der Peterburgskaja – nochmal Feuer in der Peterburgskaja – nochmal Feuer in der Peterburgskaja – Isler – Isler – Isler – Isler – Massimo … Ah, da ist es …‹

      Endlich hatte er gefunden, was er suchte, und fing an zu lesen. Die Zeilen hüpften ihm vor den Augen; trotzdem las er den ganzen Bericht bis zu Ende und suchte dann gierig in den folgenden Nummern nach weiteren ergänzenden Mitteilungen. Die Hände zitterten ihm beim Umwenden der Zeitungsblätter vor krampfhafter Ungeduld. Plötzlich setzte sich jemand neben ihn an seinen Tisch. Er sah auf – es war Sametow, derselbe Sametow von neulich und mit demselben äußeren Habitus, mit den Ringen, der Uhrkette, mit dem Nackenscheitel in dem schwarzen, gekräuselten, pomadisierten Haare, mit der eleganten Weste und dem etwas abgescheuerten Rocke und der nicht ganz reinen Wäsche. Er war sehr guter Laune; wenigstens lächelte er vergnügt und gutmütig. Sein bräunliches Gesicht war von dem getrunkenen Champagner etwas erhitzt.

      »Ei, sieh da, Sie sind hier?« sagte er erstaunt und in einem Tone, als wäre er mit Raskolnikow schon wer weiß wie lange bekannt. »Und noch gestern, hat mir Rasumichin erzählt, daß Sie noch immer nicht wieder bei Besinnung wären. Das ist ja wunderbar! Ich bin nämlich bei Ihnen gewesen…«

      Raskolnikow hatte es sich gleich gedacht, daß Sametow wohl zu ihm herantreten werde. Er legte die Zeitungen weg und wandte sich zu ihm. Auf seinen Lippen lag ein spöttisches Lächeln, und in diesem Lächeln gab sich ein neues Gefühl ungeduldiger Reizbarkeit zu erkennen.

      »Das weiß ich, daß Sie da waren«, antwortete er, »ich habe es gehört. Sie haben meinen Strumpf gesucht… Wissen Sie wohl, Rasumichin ist von Ihnen ganz entzückt; er erzählt. Sie wären mit ihm bei Lawisa Iwanowna gewesen, der Dame, für die Sie sich damals so ins Zeug legten; Sie blinzelten noch dem Leutnant Schießpulver so eifrig zu; aber es dauerte lange, bis er begriff; erinnern Sie sich nicht? Und es war doch nicht schwer zu begreifen – eine so klare Sache,… nicht wahr?«

      »Ja, überall muß der seine Hände im Spiel haben.«

      »Der Leutnant Schießpulver?«

      »Nein, Ihr Freund Rasumichin.«

      »Aber was führen Sie für ein schönes Leben, Herr Sametow; zu den vergnüglichsten Lokalen haben Sie Zutritt, ohne eine Kopeke zu zahlen! Und wer hat Sie denn da eben mit Champagner traktiert?«

      »Ach, wir haben da… ein Gläschen getrunken… Traktieren kann man das nicht nennen!«

      »Eine kleine Vergütung! Sie verstehen eben aus allem Vorteil zu ziehen!« Raskolnikow lachte. »Nun, nichts für ungut, Sie braver junger Mann, nichts für ungut!« fügte er hinzu und klopfte Sametow auf die Schulter. »Ich sage das ja, nicht im Ernst, sondern in aller Freundschaft, aus Spaß’, wie Ihr Malergeselle sagte, als er Mitjka prügelte, Sie wissen wohl, in der Geschichte mit der alten Frau.«

      »Aber woher wissen Sie denn das?«

      »Ich weiß vielleicht mehr als Sie.«

      »Was Sie komisch sind!… Sie sind gewiß noch recht krank. Sie haben nicht gut daran getan, auszugehen.«

      »Also ich komme Ihnen komisch vor?«

      »Allerdings. Was haben Sie denn da? Lesen Sie Zeitungen?«

      »Ja.«

      »Es steht viel von Feuersbrünsten darin.«

      »Von Feuersbrünsten lese ich nicht.« Hier blickte er Sametow geheimnisvoll an; das spöttische Lächeln erschien wieder auf seinen Lippen. »Nein, von Feuersbrünsten lese ich nicht«, wiederholte er und blinzelte Sarnetow zu. »Aber gestehen Sie nur, lieber junger Mann, daß Sie schrecklich gern wissen möchten, was ich gelesen habe!«

      »Es liegt mir gar nichts daran, das zu wissen. Ich habe nur so ganz ohne Absicht gefragt. Eine solche Frage ist doch wohl erlaubt. Was wollen Sie denn nur immer?…«

      »Hören Sie mal, Sie sind doch ein gebildeter Mann und haben viele Bücher gelesen, nicht wahr?«

      »Ich bin aus der sechsten Klasse des Gymnasiums abgegangen«, antwortete Sametow nicht ohne Selbstbewußtsein.

      »Aus der sechsten Klasse! Ach, du mein Spätzchen! Und was hat er für einen schönen Scheitel und für Ringe und ist ein reicher Mann! Ei, was für ein liebes Jüngelchen!«

      Hier brach Raskolnikow in ein nervöses Lachen aus und lachte Sametow gerade ins Gesicht. Dieser fuhr zurück, nicht sosehr gekränkt als vielmehr im höchsten Grade erstaunt.

      »Nein, was sind Sie für ein komischer Mensch!« sagte Sametow noch einmal sehr ernst. »Mich dünkt, Sie phantasieren immer noch.«

      »Ich phantasiere? Da irrst du dich, mein Spätzchen… Also komisch bin ich? Nun, interessant bin ich Ihnen wohl auch, nicht wahr? Bin ich Ihnen interessant?«

      »Freilich, freilich!«

      »Soll ich Ihnen also sagen, was ich gesucht habe, was ich gelesen habe? Sehen Sie nur, wieviel Nummern ich mir habe geben lassen! Das ist doch verdächtig, nicht wahr?«

      »Nun, dann sagen Sie es.«

      »Passen Sie auch auf wie ein Schießhund?«

      »Was ist denn da groß aufzupassen?«

      »Das will ich Ihnen nachher sagen. Jetzt aber, lieber Freund, erkläre ich Ihnen … nein, besser: ›ich gestehe‹ … Nein, auch das ist nicht der richtige Ausdruck … ›Ich gebe eine Aussage ab, und Sie nehmen sie entgegen‹, so stimmt es. Also ich gebe die Aussage ab, daß ich mich interessiert, gesucht, gelesen habe …« Raskolnikow kniff die Augen zusammen und machte eine Pause. »Ich habe nach den Berichten über die Ermordung der alten Beamtenwitwe gesucht und bin nur zu diesem Zwecke hierhergekommen«, sagte er endlich beinahe flüsternd und brachte dabei sein Gesicht dem Gesichte Sametows ganz nahe.

      Sametow blickte ihn gerade und unverwandt an, ohne sich zu rühren und ohne sein Gesicht von dem des andern zu entfernen. Besonders seltsam erschien es ihm nachher, daß ihr Schweigen eine volle Minute gedauert hatte und sie einander eine volle Minute so angesehen hatten.

      »Nun, was ist denn dabei, daß Sie das gelesen haben?« rief er endlich verwundert und ungeduldig. »Was kümmert das mich? Was ist denn dabei?«

      »Das ist dasselbe alte Weib«, fuhr Raskolnikow, der sich bei Sametows letzten Worten gar nicht gerührt hatte, in demselben Flüstertone fort, »das ist dasselbe alte Weib, von dem neulich im Polizeibureau gesprochen wurde; Sie erinnern sich wohl, daß ich dabei in Ohnmacht fiel. Nun, verstehen Sie jetzt?«

      »Aber was meinen Sie denn eigentlich? Was soll ich denn verstehen?« erwiderte Sametow beunruhigt.

      Raskolnikows unbewegliches, ernsthaftes Gesicht verwandelte sich in einem Augenblicke, und er brach auf einmal wieder in dasselbe nervöse Lachen aus wie vorhin, wie wenn er völlig unfähig wäre, sich zu beherrschen. Und auf einmal stand ihm in größter Deutlichkeit jener noch nicht so weit zurückliegende Moment vor Augen, wo er mit dem Beile hinter der Tür stand, der Riegel hin und her sprang, die beiden vor der Tür schimpften und an der Klinke rüttelten und ihn selbst die Lust anwandelte, sie anzurufen, sie zu schimpfen, ihnen die Zunge herauszustrecken, sie zu höhnen und zu lachen, zu lachen, zu lachen!

      »Entweder sind Sie verrückt oder…«, sagte Sametow und stockte, als hätte ihn ein plötzlich in seinem Kopfe aufblitzender Gedanke überrascht.

      »Oder? Was meinen Sie mit Ihrem ›oder‹? Nun, was? Reden Sie!«

      »Ach was!« antwortete Sametow ärgerlich. »Es ist ja alles dummes Zeug!«

      Beide


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