Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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Handwerker darin; das überraschte ihn. Ohne sich über den Grund klarzuwerden, hatte er die Vorstellung gehabt, er werde alles genauso wieder vorfinden, wie er es damals verlassen hatte, vielleicht sogar die Leichname an denselben Stellen auf dem Fußboden. Und was erblickte er nun? Kahle Wände, keine Möbel; seltsam! Er ging an ein Fenster und setzte sich auf das Fensterbrett.

      Es waren nur zwei Handwerker da, beides junge Burschen, der eine jedoch erheblich älter als sein noch sehr junger Genosse. Sie beklebten die Wände mit neuen Tapeten, weiß mit lila Blümchen, an Stelle der alten, die so zerrissen und unsauber gewesen waren. Dies erregte bei Raskolnikow ein seltsames Mißvergnügen; er blickte diese neuen Tapeten unzufrieden an, als täte es ihm leid, daß alles so verändert würde.

      Die Handwerker hatten sich offenbar bei ihrer Arbeit zu lange aufgehalten und rollten jetzt eilig ihre Tapeten zusammen und machten sich fertig, um nach Hause zu gehen. Raskolnikows Erscheinen hatten sie so gut wie gar nicht beachtet. Sie redeten über etwas untereinander. Raskolnikow verschränkte die Arme über der Brust und hörte zu.

      »Nun kam sie am Morgen zu mir«, sagte der ältere zu dem jüngeren, »es war noch ganz früh; sie war im höchsten Staat. ›Na‹, sage ich, ›warum präsentierst du dich denn vor mir so riesig fein?‹ – ›Von jetzt an‹, sagte sie, ›will ich ganz zu Ihrer Verfügung stehen, Tit Wassiljewitsch.‹ Na, das war eine Überraschung! Und geputzt war sie – wie aus dem Modejournal, ganz wie aus dem Modejournal!«

      »Was ist das, Onkelchen, ein Modejournal?« fragte der jüngere; er war augenscheinlich ein gelehriger Schüler dieses »Onkelchens«.

      »Ein Modejournal, Brüderchen, das sind solche Bilder, bunte Bilder, und die kommen jeden Sonnabend mit der Post aus dem Auslande bei den hiesigen Schneidern an; nämlich das ist dazu, damit man weiß, wie man sich anziehen soll, die Männer und ebenso auch die Frauen. Also eine Zeichnung. Die Männer werden meistens in Pekeschen gemalt; für die Frauenzimmer aber gibt es da solche Souffleurs – da ist alles dran!«

      »Nein, was es hier in Petersburg nicht alles gibt!« rief der jüngere ganz begeistert. »Außer Vater und Mutter gibt es hier alles!«

      »Ja, abgesehen davon, gibt es hier alles«, erklärte in belehrendem Tone der ältere.

      Raskolnikow stand auf und ging in das andre Zimmer, wo früher die Truhe, das Bett und die Kommode gestanden hatten; das Zimmer kam ihm jetzt ohne Möbel außerordentlich klein vor. Die Tapeten waren noch die nämlichen; in der einen Ecke hob sich auf der Tapete scharf begrenzt die Stelle ab, wo der Heiligenschrein mit den Heiligenbildern gestanden hatte. Er sah sich nach allen Seiten um, ging dann zu dem Fenster, wo er gesessen hatte, zurück und setzte sich wieder hin. Der ältere Geselle warf ihm einen schrägen Blick zu.

      »Was wünschen Sie?« fragte er ihn.

      Statt zu antworten, stand Raskolnikow auf, ging auf den Flur hinaus, griff nach dem Klingelzuge und zog daran. Dieselbe Glocke, derselbe blecherne Ton! Er zog zum zweiten und zum dritten Male, horchte und rief sich das Geschehene ins Gedächtnis zurück. Das damalige qualvollfurchtbare, gräßliche Gefühl kam ihm immer deutlicher und lebhafter wieder in die Erinnerung; er fuhr bei jedem Anschlagen der Glocke zusammen, und es wurde ihm dabei immer wohler und wohler zumute.

      »Aber was wollen Sie denn eigentlich? Wer sind Sie denn?« rief der Geselle und trat zu ihm hinaus.

      Raskolnikow trat wieder in die Tür.

      »Ich möchte die Wohnung mieten«, sagte er, »und sehe sie mir an.«

      »In der Nacht mietet man keine Wohnung, und außerdem müssen Sie mit dem Hausknecht herkommen.«

      »Der Fußboden ist gescheuert; er soll wohl noch gestrichen werden?« fuhr Raskolnikow fort. »Ist kein Blut mehr zu sehen?«

      »Was für Blut?«

      »Nun, hier ist doch eine alte Frau mit ihrer Schwester ermordet worden. Da stand eine ganze Lache.«

      »Aber wer sind Sie denn eigentlich?« rief der Geselle beunruhigt.

      »Ich?«

      »Ja.«

      »Möchtest du das wissen? Komm mit nach dem Polizeibureau; da werde ich es sagen.«

      Die Handwerker sahen ihn verwundert an.

      »Wir müssen fortgehen; wir haben uns sowieso schon verspätet. Komm, Aljoschka. Wir müssen zuschließen«, sagte der ältere Geselle.

      »Na, dann wollen wir gehen«, antwortete Raskolnikow gleichmütig, ging voran und stieg langsam die Treppe hinunter. »He, Hausknecht!« rief er, als er unter den Torweg gekommen war.

      Dicht bei dem Eingange von der Straße nach dem Hause standen mehrere Menschen und blickten nach den Vorübergehenden, nämlich die beiden Hausknechte, eine Frau, ein Kleinbürger im Schlafrocke und noch jemand. Raskolnikow ging gerade auf sie zu.

      »Was wünschen Sie?” fragte der eine Hausknecht.

      »Bist du auf dem Polizeibureau gewesen?«

      »Ja, ich bin ganz vor kurzem da gewesen. Was wünschen Sie?”

      »Sind die Beamten noch da?«

      »Jawohl.«

      »Ist auch der Gehilfe des Revierinspektors da?«

      »Eine Weile war er da. Was wünschen Sie denn?«

      Raskolnikow antwortete nicht und blieb in Gedanken versunken neben ihm stehen.

      »Er ist gekommen, um sich die Wohnung anzusehen«, sagte hinzutretend der ältere Geselle.

      »Welche Wohnung?”

      »Die, wo wir arbeiten. ›Ist das Blut weggescheuert?‹ fragte er. ›Hier ist ein Mord geschehen‹, sagte er, ›und ich bin hergekommen, um die Wohnung zu mieten.‹ Und an der Klingel hat er gezogen; es fehlte nicht viel, daß er sie abgerissen hätte. ›Komm mit aufs Polizeibureau‹, sagte er, ›da werde ich alles erzählen.‹ Er ließ uns keine Ruhe.«

      Der Hausknecht musterte Raskolnikow mit erstaunter, unwilliger Miene.

      »Wer sind Sie denn?« rief er barsch.

      »Mein Name ist Rodion Romanytsch Raskolnikow; ich bin ein gewesener Student und wohne im Schillschen Hause, hier in der Querstraße, nicht weit von hier. Wohnung Nr. 14. Erkundige dich bei dem Hausknecht; er kennt mich.«

      Raskolnikow sagte all dies in lässigem, müdem Tone; er wendete sich dabei nicht um, sondern blickte starr nach der bereits ganz dunkel gewordenen Straße.

      »Warum sind Sie denn in die Wohnung gegangen?«

      »Ich wollte sie mir ansehen.«

      »Was hatten Sie da anzusehen?«

      »Nehmt ihn doch und bringt ihn auf die Polizei!« mischte sich der Kleinbürger ein; dann schwieg er wieder.

      Raskolnikow sah ihn schräg über die Schulter an, musterte ihn aufmerksam und sagte dann ebenso leise und lässig wie vorher:

      »Gehen wir hin!«

      »Ja, man müßte ihn hinbringen!« sagte noch einmal der Kleinbürger, der wieder mutiger geworden war. »Warum hat er sich gerade danach erkundigt? Was hat er nur vor?«

      »Vielleicht ist er betrunken, wer weiß«, murmelte der Geselle.

      »Aber was wollen Sie denn?« rief wieder der Hausknecht, der nun ernstlich ärgerlich wurde. »Warum haben Sie sich hier eingeschlichen?«

      »Es ist dir wohl bange geworden, mit auf das Polizeibureau zu gehen?« fragte Raskolnikow ihn spöttisch.

      »Warum soll mir bange werden? Warum haben Sie sich hier eingeschlichen?«

      »Es ist ein Spitzbube!« rief die Frau.

      »Was sollen wir noch lange mit ihm reden!« rief der andre Hausknecht, ein riesiger Kerl in langem, offenstehendem Schoßrock, mit einer Menge von Schlüsseln am Gürtel. »Scheren Sie sich weg! … Es ist gewiß ein Spitzbube … Scheren Sie sich weg!«

      Er faßte Raskolnikow an der Schulter und stieß ihn auf die Straße. Dieser kam ins Stolpern, fiel jedoch nicht hin, sondern


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