Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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geschenkt. Wenn du ihr beispringen wolltest, so hättest du ihr fünfzehn, meinetwegen zwanzig Rubel geben sollen; na, und wenn du nur drei Rubel für dich behalten hättest; aber nein, alle fünfundzwanzig hast du ihr hingegeben.«

      »Vielleicht habe ich irgendwo einen Schatz gefunden, von dem du nichts weißt, und das war dann der Grund für meine Freigebigkeit gestern … Herr Sametow hier weiß, daß ich einen Schatz gefunden habe! … Verzeihen Sie nur«, wandte er sich mit zitternden Lippen an Porfirij, »daß wir Sie mit solchem gleichgültigen Gerede eine halbe Stunde lang belästigen. Sie möchten uns gewiß gern loswerden, nicht wahr?«

      »Aber ich bitte Sie, ganz im Gegenteil, ganz – im – Gegenteil! Wenn Sie wüßten, wie lebhaft ich mich für Sie interessiere! Sie zu sehen und reden zu hören, hat für mich einen ganz besonderen Reiz, … und ich gestehe, es ist mir eine Freude, daß Sie endlich einmal die Güte hatten, zu mir zu kommen …«

      »Na, dann setze uns doch wenigstens Tee vor; die Kehle ist einem ja ganz trocken geworden!« rief Rasumichin.

      »Ein sehr guter Gedanke! Ich hoffe, daß die Herren alle teilnehmen. Willst du aber nicht etwas Substantielleres vor dem Tee haben?«

      »Damit bleib mir vom Leibe!«

      Porfirij Petrowitsch ging hinaus, um Tee zu bestellen.

      In Raskolnikows Kopfe wirbelten die Gedanken wild durcheinander. Er war im höchsten Grade gereizt.

      ›Das großartigste ist, daß sie nicht einmal heimlich tun und nicht einmal die äußere Form wahren mögen! Was hattest du denn für Anlaß, wenn du mich gar nicht kennst, mit Nikodim Fomitsch über mich zu sprechen? Folglich wollen sie es gar nicht mehr verhehlen, daß sie wie eine Hundemeute hinter mir her sind! Sie speien mir ganz offen ins Gesicht!‹ Er zitterte vor Wut. ›Nun, so schlagt doch einfach zu und spielt nicht erst lange mit mir wie die Katze mit der Maus! Das ist doch keine Manier, Porfirij Petrowitsch; das werde ich mir denn doch wohl von dir nicht gefallen lassen! Ich stehe auf und schleudere euch allen die volle Wahrheit ins Gesicht; dann könnt ihr sehen, wie ich euch verachte!‹ Er atmete nur mühsam. ›Wie aber, wenn mir das alles nur so vorkäme? Wenn das lediglich von mir ein Wahngebilde wäre und ich mich ganz und gar im Irrtum befände, mich nur aus Unerfahrenheit ärgerte und es nicht verstände, meine unwürdige Rolle durchzuführen? Vielleicht steckt gar keine Absicht hinter alledem? Alle ihre Worte klingen ganz gewöhnlich; aber es liegt doch noch etwas Besonderes darin … All das kann man in jeder Situation sagen; aber es hat doch einen Beigeschmack. Warum sagte er einfach: »bei ihr«? Warum setzte Sametow hinzu, ich hätte »schlau« geredet? Warum reden sie in einem solchen Tone? Ja, … dieser Ton … Rasumichin hat doch auch mit dabei gesessen; warum ist denn dem nichts auffällig erschienen? Diesem harmlosen Tölpel fällt eben nie etwas auf. Ich fiebere wieder ordentlich! … Hat mir Porfirij vorhin zugezwinkert oder nicht? Es ist gewiß Unsinn; wozu hätte er das tun sollen? Wollen sie meine Nerven reizen oder mich hänseln? Entweder ist alles ein Wahngebilde, oder sie wissen davon! Sogar Sametow ist frech … Ob Sametow wirklich frech ist? Sametow hat die Sache die Nacht über durchdacht. Das habe ich gleich geahnt, daß er das tun würde! Er benimmt sich hier wie zu Hause, und doch ist er zum erstenmal da. Porfirij behandelt ihn gar nicht wie einen Gast, sondern sitzt so, daß er ihm den Rücken zuwendet. Sie haben einander gründlich berochen, wie sich Rasumichin ausdrückt! Gewiß hat meine Angelegenheit dazu den Anlaß gegeben! Sie haben zweifellos, ehe wir kamen, von mir gesprochen! … Ob sie wohl von meinem gestrigen Besuche in der Wohnung wissen? Wenn sich nur alles recht schnell abspielte! … Als ich sagte, ich wäre gestern weggelaufen, um mir eine Wohnung zu mieten, ließ er diese Bemerkung vorbeigehen und knüpfte nicht daran an … Was ich da vom Wohnungssuchen gesagt habe, das war ganz geschickt gemacht: das kann mir später noch zustatten kommen! … Im Fieberzustande, wird es dann heißen! … Ha-ha-ha! Er weiß über den ganzen gestrigen Abend Bescheid! Nur von der Ankunft meiner Mutter wußte er nichts! … Und auch das Datum hat die alte Hexe mit Bleistift daraufgeschrieben! … Aber ihr irrt euch, ich ergebe mich nicht! Das sind ja noch keine Tatsachen; das sind nur leere Vermutungen! Nein, liefert mal erst Tatsachen! Auch mein Besuch in der Wohnung ist keine beweiskräftige Tatsache; der erklärt sich aus dem Fieberzustande; ich weiß schon, was ich ihnen zu sagen habe … Wissen sie das von der Wohnung? Ich gehe nicht fort, ehe ich das nicht erfahren habe! Weshalb bin ich nur hergekommen? Daß ich mich jetzt so ärgere, das könnte möglicherweise als ein tatsächlicher Schuldbeweis dienen! Scheußlich, daß ich so reizbar bin! Vielleicht ist es aber auch gerade gut; ich spiele ja die Rolle eines Kranken … Er tastet an mir herum. Er wird mich noch aus der Fassung bringen. Weshalb bin ich nur hergekommen?‹

      Alles das fuhr ihm wie ein Blitz durch den Kopf.

      Porfirij Petrowitsch kam in einem Augenblick wieder zurück. Er schien auf einmal ganz vergnügt geworden zu sein.

      »Den gestrigen Abend bei dir spüre ich noch im Kopfe, Bruder, … das hat mich völlig kaputt gemacht!« sagte er in ganz anderm Tone als vorher zu Rasumichin.

      »Nun, war es interessant? Ich verließ euch ja gestern gerade bei dem interessantesten Punkte. Wer hat denn gesiegt?« fragte dieser.

      »Selbstverständlich niemand. Wir gerieten auf die uralten Streitfragen und schwebten in den Wolken.«

      »Stelle dir mal vor, Rodja, auf was für ein Thema die gestern zu sprechen kamen: gibt es Verbrechen oder nicht? Ich sagte ihnen, sie wären verrückt geworden mit ihrem Debattieren!«

      »Was ist dabei Verwunderliches? Das ist ja eine ganz gewöhnliche soziale Streitfrage«, antwortete Raskolnikow zerstreut.

      »Die Frage war nicht in dieser Weise formuliert«, bemerkte Porfirij.

      »Nicht ganz so, das ist richtig«, bestätigte ihm Rasumichin schnell, der nach seiner Gewohnheit in Eifer und Hitze geriet. »Höre mal zu, Rodja, und sage mir deine Meinung; du tust mir einen Gefallen damit. Ich wollte gestern bei dem Gerede der Kerle aus der Haut fahren und wartete ungeduldig auf dich; ich hatte ihnen gesagt, daß du kommen würdest … Zuerst wurde die Ansicht der Sozialisten vorgebracht. Diese Ansicht ist ja bekannt: das Verbrechen ist ein Protest gegen die Abnormität der sozialen Einrichtungen – basta, weiter nichts; andre Ursachen werden nicht anerkannt, basta! …«

      »Das stellst du doch ganz falsch dar!« rief Porfirij Petrowitsch. Er wurde sichtlich lebhafter und lachte fortwährend bei Rasumichins Anblicke, wodurch dieser immer noch mehr in Rage geriet.

      »Andre Ursachen werden von ihnen nicht anerkannt!« unterbrach ihn Rasumichin erregt. »Ich stelle es nicht falsch dar! Ich will dir Bücher zeigen, die sie darüber geschrieben haben; immer heißt es bei ihnen: ›die Gesellschaft ist daran schuld‹, weiter nichts. Das ist ihr beliebtes Schlagwort! Daraus folgt dann ohne weiteres, daß, wenn es gelingt, die Gesellschaft normal einzurichten, mit dem Wegfall jedes Anlasses zu einem Proteste sofort auch alle Verbrechen verschwinden und alle Menschen im Nu gerecht werden. Aber die Natur wird von ihnen nicht in Betracht gezogen; die wird in diesen Erwägungen ignoriert, die wird nicht als Faktor in die Rechnung eingesetzt. Nach ihrer Ansicht verhält es sich nicht so, daß die Menschheit auf historischem, organischem Wege sich weiterentwickelt und schließlich zum Normalzustande gelangt, sondern ein soziales System, das Produkt eines mathematischen Kopfes, wird sofort die ganze Menschheit in Ordnung bringen und sie im Nu gerecht und sündlos machen, schneller als jeder organische Prozeß, ohne jede historische und organische Entwicklung! Daher haben sie auch eine solche instinktive Abneigung gegen die Geschichte; ›die Geschichte‹, sagen sie, ›ist ein Gemenge von Schändlichkeiten und Dummheiten‹, und erklären alles nur aus der Dummheit. Darum haben sie auch eine solche Abneigung gegen den organischen Lebensprozeß: eine lebendige Seele brauchen sie nicht! Eine lebendige Seele verlangt zu leben; eine lebendige Seele fügt sich nicht in einen Mechanismus; eine lebendige Seele ist mißtrauisch; eine lebendige Seele opponiert! Aber den Menschen, der in ihr System paßt, den kann man aus Kautschuk machen; und wenn er auch einen Kadavergeruch hat – dafür ist er auch nicht lebendig, dafür ist er auch willenlos, dafür ist er auch sklavisch und rebelliert nicht. Kurz, sie denken an nichts als an die Aufführung der Mauern und die Anordnung der Korridore und Zimmer in ihrer großen Phalanstère. Die Phalanstère ist fertig; aber die menschliche Natur dafür passend zu machen, damit sind sie noch nicht fertig. Die menschliche Natur will leben; sie hat ihren organischen


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