Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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kannte, daß seine Liebe bald vergehen werde. Daß sein Sohn Natascha heiraten könne, dies befürchtete der Fürst fast gar nicht mehr. Was die beiden Liebesleute selbst anlangt, so verschoben sie die Heirat bis zur förmlichen Versöhnung mit dem Vater und überhaupt bis zu einem Umschwung der Verhältnisse. Übrigens sprach Natascha offenbar nicht gern darüber. Aljoscha teilte mir im geheimen mit, daß sein Vater sich über dieses Verhältnis sogar ein bißchen zu freuen scheine: was ihm bei dieser ganzen Sache gefiel, war die Demütigung Ichmenews. Der Form wegen fuhr er jedoch fort, dem Sohn seine Unzufriedenheit zu bezeigen: er verringerte dessen ohnehin schon nicht bedeutendes Taschengeld (er war ihm gegenüber außerordentlich knauserig) und drohte, es ihm ganz zu entziehen. Aber bald darauf reiste er der Gräfin nach Polen nach, wo diese damals geschäftlich zu tun hatte, und suchte dabei immer noch unermüdlich sein Heiratsprojekt zu fördern. Allerdings war Aljoscha eigentlich noch zu jung zum Heiraten; aber das junge Mädchen war doch gar zu reich, und eine so günstige Gelegenheit durfte man sich nicht entgehen lassen. Der Fürst gelangte endlich zum Ziel. Es drangen Gerüchte zu uns, daß die Heiratsangelegenheit endlich in Ordnung komme. Zu der Zeit, bei der meine Erzählung angelangt ist, war der Fürst eben erst nach Petersburg zurückgekehrt. Seinem Sohn begegnete er mit Freundlichkeit, war aber unangenehm davon überrascht, daß dessen Verhältnis mit Natascha so festen Bestand hatte. Er begann Zweifel und Besorgnisse zu hegen. Streng und energisch verlangte er den Abbruch dieser Beziehungen, verfiel aber bald auf ein viel wirksameres Mittel, indem er Aljoscha zur Gräfin führte. Die Stieftochter derselben war teils schon eine schöne junge Dame, teils noch ein Backfisch; sie besaß ein prächtiges Herz, eine reine, makellose Seele und war heiter, verständig und voll Empfindung. Der Fürst rechnete so: das halbe Jahr müsse doch seine Wirkung getan haben; Natascha habe wohl für seinen Sohn nicht mehr den Reiz der Neuheit, und dieser werde seine künftige Braut jetzt schon mit anderen Augen ansehen als vor einem halben Jahr. Er hatte damit das Richtige getroffen, wenn auch nur zum Teil … Aljoscha fühlte sich zu Katerina Fjodorowna in der Tat hingezogen. Ich füge noch hinzu, daß der Vater auf einmal gegen seinen Sohn außerordentlich freundlich geworden war (Geld gab er ihm allerdings darum doch nicht). Aljoscha fühlte, daß sich hinter dieser Freundlichkeit ein unbeugsamer, unabänderlicher Entschluß verbarg, und war betrübt darüber, übrigens nicht so betrübt, wie er es gewesen wäre, wenn er nicht hätte Katerina Fjodorowna alle Tage sehen können. Ich wußte, daß er sich schon seit fünf Tagen bei Natascha nicht hatte blickenlassen. Während ich von Ichmenews zu ihr ging, suchte ich voller Unruhe zu erraten, was sie mir wohl sagen wolle. Schon von weitem bemerkte ich eine Kerze in ihrem Fenster. Wir hatten schon seit geraumer Zeit die Verabredung getroffen, sie solle eine Kerze ins Fenster stellen, wenn sie mich dringend zu sprechen wünsche, so daß ich, wenn ich zufällig vorbeikam (und das geschah fast täglich), an der ungewöhnlichen Helligkeit des Fensters erkennen konnte, daß sie mich erwartete und meiner benötigte. In der letzten Zeit hatte sie die Kerze recht häufig ins Fenster gestellt.

      Fünfzehntes Kapitel

      Ich traf Natascha allein. Sie ging in tiefen Gedanken, die Arme vor der Brust verschränkt, leise im Zimmer auf und ab. Der Samowar stand erloschen auf dem Tisch; er hatte schon lange auf mich gewartet. Ohne zu sprechen streckte sie mir lächelnd die Hand entgegen. Ihr Gesicht war blaß und trug einen schmerzlichen Ausdruck. In ihrem Lächeln lag etwas Leidendes, Sanftes, Geduldiges. Ihre klaren, blauen Augen schienen größer geworden zu sein, als sie vorher gewesen waren, und das Haar dichter – all dies schien so infolge ihrer Abmagerung und Krankheit.

      »Ich dachte schon, du würdest nicht kommen«, sagte sie, indem sie mir die Hand gab; »ich wollte sogar schon Mawra zu dir schicken, um mich zu erkundigen; ich dachte, du wärest vielleicht wieder krank geworden.«

      »Nein, das nicht; ich wurde aufgehalten; ich werde es dir gleich erzählen. Aber wie geht es dir, Natascha? Was ist vorgefallen?«

      »Vorgefallen ist nichts«, antwortete sie, als ob sie sich über die Frage wundere. »Wieso?«

      »Du schriebst mir… schriebst mir schon gestern, ich möchte kommen, und bestimmtest sogar die Stunde, nicht früher, nicht später; das ist doch etwas ungewöhnlich.«

      »Ach ja! Ich hatte ihn gestern erwartet.«

      »Nun? Ist er immer noch nicht dagewesen?«

      »Nein. Ich dachte: wenn er nicht kommt, dann werde ich mich mit dir besprechen müssen«, fügte sie nach kurzem Stillschweigen hinzu.

      »Hast du ihn heute abend erwartet?«

      »Nein, heute habe ich ihn nicht erwartet: heute abend ist er dort.«

      »Was meinst du, Natascha, wird er überhaupt nie mehr kommen?«

      »Selbstverständlich wird er kommen«, antwortete sie und blickte mich mit ganz besonderem Ernste an.

      Meine raschen Fragen gefielen ihr nicht. Wir verstummten und fuhren fort, im Zimmer auf und ab zu gehen.

      »Ich habe schon lange auf dich gewartet, Wanja«, begann sie lächelnd von neuem; »und weißt du, was ich gemacht habe? Ich bin hier auf und ab gegangen und habe mir Verse auswendig hergesagt. Erinnerst du dich: ›Das Glöckchen, eine Winterreise‹: ›Auf dem eichnen Tische brodelt dienstbereit und blank und rein schon mein Samowar‹ … wir haben es noch zusammen gelesen:

      Aufgehört hat nun der Schneesturm: hell ward wieder unsre Bahn,

      Und aus tausend trüben Augen blickt die stille Nacht mich an – –

      Und dann:

      An des braven Trabers Joche hell und klar das Glöckchen klingt,

      Und mir ist’s, als ob dazwischen eine frohe Stimme singt:

      Ach, wann kommt mein trauter Buhle, um an meiner treuen Brust

      Alle Sorgen zu vergessen in der Liebe selger Lust?

      Ist bei mir nicht wahres Leben? Wenn das prächtge Abendbrot

      Purpurn schimmernd durch der Fenster eisbedeckte Scheiben lohnt,

      Brodelt auf dem eichnen Tische dienstbereit und blank und rein

      Schon mein Samowar; der Ofen knistert, und sein Flackerschein

      Spielt auf dem geblümten Vorhang vor dem weißen Bette mein.«

      Wie schön das ist! Was für Verse voll schmerzlicher Sehnsucht, Wanja, und was für ein phantasievolles Bild! Es ist gleichsam ein bloßer Kanevas; auf dem nur das Muster markiert ist; nun kann man hineinsticken, was man will! Da sind zwei Empfindungen: eine frühere und eine spätere. Dieser Samowar, dieser baumwollene Vorhang, das ist einem alles so vertraut! Das ist ganz wie in den kleinbürgerlichen Häusern in unserem Kreisstädtchen; mir ist, als ob ich das Haus mit meinen eigenen Augen sähe: es ist neu, aus Balken gebaut, noch nicht mit Brettern verschalt … Und dann das andere Bild:

      Plötzlich scheint mir, daß das Glöckchen gar so matt und traurig klingt,

      Und dazu dieselbe Stimme voller Wehmut also singt:

      Wo mein alter Freund wohl weilet? Ach, ich Arme! fürchten muß

      Jetzt ich, daß zur Tür er eintritt, mich begrüßt mit Scherz und Kuß.

      Traurig schlepp ich hin mein Leben. Drückend ist die Luft und schwer

      Hier in meinem dunklen Zimmer; kalt, ach, weht’s vom Fenster her.

      Von des Gartens Bäumen allen blieb ein einzger Kirschbaum stehn;

      Doch durch die befrornen Scheiben kann mein Aug auch ihn nicht sehn;

      In des Winter scharfem Froste wird auch er wohl bald vergehn.

      Welch ein Leben! Auch der Vorhang, der geblümte, bleichte aus;

      Krank und unstet zieh umher ich, darf nicht heim ins Elternhaus.

      Hier ist niemand, der mich liebhat, niemand selbst, der auf mich schilt;

      Nur die Magd brummt, die bejahrte.«

      Dieses ›Krank und unstet zieh umher ich‹, wie schön ist das gesagt! ›Niemand selbst, der auf mich schilt‹, wieviel zarte, feine Empfindung liegt in diesem Verse, wieviel Pein,


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