Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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stand in der Tür und sah uns mit ernstlicher Empörung an; sie ärgerte sich darüber, daß diesem Aljoscha nicht durch Natascha eine gehörige Kopfwäsche zuteil wurde, wie sie es diese ganzen fünf Tage her mit Genuß erwartet hatte, und daß wir statt dessen alle so vergnügt waren.

      Endlich hörte Natascha auf zu lachen, da sie sah, daß Aljoscha sich durch unser Lachen gekränkt fühlte.

      »Nun, was willst du also erzählen?« fragte sie.

      »Soll ich den Samowar zurechtmachen?« fragte Mawra, indem sie ohne den geringsten Respekt Aljoscha das Wort nahm.

      »Geh nur, Mawra, geh nur!« sagte er und scheuchte sie durch eifrige Bewegungen beider Arme eilig fort. »Ich werde alles erzählen, was war und was ist und was sein wird; denn ich weiß es alles. Ich sehe, meine Teuren, ihr möchtet gern wissen, wo ich diese fünf Tage über gewesen bin; und gerade das will ich euch ja auch erzählen; aber ihr laßt mich nicht dazu kommen. Na, also erstens, ich habe dich diese ganze Zeit über getäuscht, Natascha, diese ganze Zeit über; schon lange, lange Zeit habe ich dich getäuscht, und das ist die Hauptsache.«

      »Du hast mich getäuscht?«

      »Ja, ich habe dich getäuscht, schon einen ganzen Monat lang; schon vor der Ankunft meines Vaters habe ich damit angefangen; aber jetzt ist die Zeit für vollständige Aufrichtigkeit gekommen. Vor einem Monat, als mein Vater noch nicht angekommen war, erhielt ich auf einmal von ihm einen gewaltig langen Brief und verheimlichte ihn euch beiden. In dem Brief erklärte er mir geradezu (und wohlgemerkt in so ernstem Ton, daß ich ganz erschrocken war), die Angelegenheit meiner Brautwerbung sei nun zum Ende geführt; die mir bestimmte Braut sei der Gipfel der Vollkommenheit; ich sei ihrer selbstverständlich nicht würdig, müsse sie aber doch unbedingt heiraten. Deshalb solle ich mich darauf vorbereiten und mir alle Dummheiten aus dem Kopf schlagen; na, ihr könnt euch schon denken, was er mit den ›Dummheiten‹ meinte. Diesen Brief also habe ich euch verheimlicht.«

      »Du hast ihn uns ganz und gar nicht verheimlicht!« unterbrach ihn Natascha. »Solche Prahlerei! Die Wahrheit ist, daß du uns alles sofort erzählt hast. Ich erinnere mich noch, wie du auf einmal so fügsam und zärtlich wurdest und gar nicht von mir weggehen wolltest, als ob du dir einer Schuld bewußt wärest, und wie du uns den ganzen Inhalt des Briefes stückweise erzählt hast.«

      »Das ist nicht möglich; die Hauptsache habe ich bestimmt nicht erzählt. Vielleicht habt ihr beide etwas erraten; das ist dann eure Sache; aber erzählt habe ich es nicht. Ich verheimlichte es euch und litt darunter schrecklich.«

      »Ich erinnere mich, Aljoscha, daß Sie mich damals fortwährend um Rat fragten und mir alles erzählten, allerdings nur bruchstückweise und als handle es sich nur um Vermutungen«, fügte ich hinzu, indem ich Natascha anblickte.

      »Du hast alles erzählt! Bitte, prahle nur nicht!« fiel sie ein. »Was kannst du denn überhaupt verbergen? Kannst du jemanden betrügen? Sogar Mawra hat alles erfahren. Hast du es gewußt, Mawra?«

      »Na, wie werde ich es nicht gewußt haben!« versetzte Mawra, die vor der Tür stand und den Kopf zu uns hereinsteckte. »Gleich in den drei ersten Tagen haben Sie alles erzählt. Auf Listen verstehen Sie sich nicht!«

      »Ach, wenn man mit euch redet, muß man sich auch immer ärgern! Du tust das alles aus Böswilligkeit, Natascha! Und du, Mawra, irrst dich ebenfalls. Ich erinnere mich, ich war damals wie ein Unsinniger; besinnst du dich wohl noch darauf, Mawra?«

      »Wie sollte ich mich nicht darauf besinnen? Sie sind auch jetzt wie ein Unsinniger.«

      »Nein, nein, was ich da eben sagte, gehört nicht hierher. Aber du erinnerst dich: wir hatten damals gerade kein Geld, und du gingst, mein silbernes Zigarrenetui zu versetzen; aber was die Hauptsache ist: gestatte mir, Mawra, dich darauf aufmerksam zu machen, daß du dich mir gegenüber in einer schrecklichen Weise vergißt. Das hat dich alles Natascha gelehrt. Na also, gesetzt auch, daß ich euch wirklich gleich damals alles bruchstückweise erzählt habe (jetzt besinne ich mich darauf), so kennt ihr doch den Ton des Briefes nicht, den Ton; und gerade der Ton ist bei einem Brief die Hauptsache. Und davon eben spreche ich.«

      »Nun, was war es denn für ein Ton?« fragte Natascha.

      »Höre einmal, Natascha, du fragst, wie wenn du darüber scherztest. Aber scherze nicht! Ich versichere dich: die Sache ist sehr ernst. Es war ein solcher Ton, daß mir die Arme schlaff herabsanken. Noch nie hatte mein Vater so mit mir gesprochen. Es klang, wie wenn eher der Himmel einstürzen als sein Wille nicht in Erfüllung gehen sollte, so ein Ton war das!«

      »Nun, so erzähle doch: warum wolltest du denn den Brief vor mir verheimlichen?«

      »Ach du mein Gott, um dich nicht zu erschrecken. Ich hoffte, ich würde alles selbst in Ordnung bringen können. Na also, zuerst erhielt ich diesen Brief, und als dann mein Vater selbst angekommen war, da begannen meine Leiden. Ich hatte mich darauf vorbereitet, ihm eine feste, klare, ernste Antwort zu geben; aber merkwürdigerweise wollte mir das gar nicht gelingen. Der Schlaufuchs fragte mich überhaupt gar nicht! Er benahm sich im Gegenteil so, als ob die ganze Sache schon entschieden sei und es zwischen uns gar keinen Streit und gar keine Mißhelligkeiten geben könne. Hörst du wohl: als ob es das gar nicht geben könne; ein solches Selbstvertrauen! Gegen mich aber wurde er überaus freundlich und liebenswürdig. Ich war geradezu erstaunt. Wenn Sie wüßten, wie klug er ist, Iwan Petrowitsch! Alles hat er gelesen, alles weiß er, und wenn er jemanden nur ein einziges Mal anblickt, so kennt er all dessen Gedanken so gut wie seine eigenen. Darum hat man ihn auch gewiß einen Jesuiten genannt. Natascha hat es nicht gern, wenn ich ihn lobe. Werde nicht böse, Natascha! Nun also … aber apropos: anfangs hat er mir kein Geld gegeben; aber jetzt hat er es getan, gestern. Natascha, mein Engel! Jetzt hat unsere Armut ein Ende! Da, sieh! Alles, was er mir in diesem halben Jahr zur Strafe zuwenig gegeben hatte, das hat er alles gestern nachgezahlt; seht mal, wieviel es ist; ich habe es noch nicht gezählt. Mawra, sieh mal, wieviel Geld! Jetzt brauchen wir keine Löffel und Hemdknöpfe mehr zu versetzen!«

      Er zog ein ziemlich dickes Päckchen Banknoten, etwa tausendfünfhundert Rubel, aus der Tasche und legte es auf den Tisch. Mawra betrachtete es erstaunt und lobte Aljoscha. Natascha drängte auf schnelle Fortsetzung der Erzählung.

      »Na also …«, fuhr Aljoscha fort, »ich dachte: ›Was soll ich tun? Wie soll ich mich seinem Willen widersetzen?‹ Das heißt, ich schwöre euch beiden: wäre er schroff gegen mich gewesen und nicht so gutherzig, so hätte ich mich nicht lange besonnen. Ich hätte ihm geradezu gesagt, daß ich nicht wolle, daß ich bereits selbst ein erwachsener Mensch sei, und damit basta! Und ihr könnt mir glauben, daß ich meinen Willen durchgesetzt hätte. So jedoch, was sollte ich ihm sagen? Aber brecht nicht den Stab über mich! Ich sehe, du machst ein unzufriedenes Gesicht, Natascha. Warum wechselt ihr beide miteinander Blicke? Ihr denkt gewiß: er hat sich gleich einwickeln lassen und besitzt nicht die Spur von Charakterfestigkeit. Aber ich besitze Charakterfestigkeit, wirklich, und mehr als ihr denkt! Und der Beweis dafür ist, daß ich trotz meiner mißlichen Lage mir sogleich sagte: »Es ist meine Pflicht; ich muß meinem Vater alles sagen, alles!« Und so fing ich denn an zu reden und sprach mich aus, und er hörte mich an.«

      »Aber was hast du ihm denn gesagt, was?« fragte Natascha beunruhigt.

      »Daß ich keine andere Braut will, sondern bereits eine habe, nämlich dich. Das heißt, so geradezu habe ich ihm das bisher noch nicht gesagt; aber ich habe ihn darauf vorbereitet, und morgen werde ich es ihm sagen; dazu bin ich fest entschlossen. Ich begann damit, ihm zu sagen, nach Geld zu heiraten sei unanständig und zeuge von unvornehmer Gesinnung; wenn wir uns für Aristokraten hielten, so sei das einfach eine Dummheit (ich rede mit ihm völlig offenherzig, als ob er mein Bruder wäre). Dann erklärte ich ihm sofort, ich sei ein Angehöriger des tiers-état, und der tiers-état c’est l’essentiel; ich sei stolz darauf, allen ähnlich zu sein, und wolle mich vor niemand auszeichnen … kurz, ich setzte ihm alle diese vernünftigen Ideen auseinander. Ich sprach mit Eifer und Enthusiasmus. Ich wunderte mich über mich selbst. Ich bewies es ihm schließlich auch von seinem eigenen Gesichtspunkt aus; ich sagte geradezu: was seien wir denn für Fürsten? Doch nur der Geburt nach; was hätten wir aber in Wirklichkeit Fürstliches an uns? Erstens, besonderen Reichtum besäßen wir nicht, und Reichtum sei doch die Hauptsache. Heutzutage sei der größte Fürst Rothschild.


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