Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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er seine letzten dreihundert Seelen durchgebracht habe, und wenn der Vater nicht selbst Geld erworben hätte, so würden seine Enkel vielleicht eigenhändig den Acker pflügen müssen, wie es denn solche Fürsten wirklich gebe. Mithin hätten wir keinen Grund, hochmütig zu sein. Kurz, ich sprach alles aus, was in mir kochte, alles, mit Feuer und Offenherzigkeit; ich fügte sogar noch dies und das hinzu. Er entgegnete mir nichts darauf, sondern machte mir nur Vorwürfe, daß ich den Verkehr in dem Haus des Grafen Nainski eingestellt hätte, und sagte dann, ich müsse mich um die Gunst der Fürstin K., meiner Patin, bemühen; wenn diese mich gut aufnehme, so würde ich überall Zutritt haben, und meine Karriere sei gemacht, was er mir dann näher ausmalte! Das sind alles Anspielungen darauf, daß ich seit der Verbindung mit dir, Natascha, alle anderen Beziehungen abgebrochen habe; er führt das auf deinen Einfluß zurück. Aber geradezu hat er bisher noch nicht von dir gesprochen; er vermeidet es sogar offenbar. Wir sind beide schlau, wir warten ab und belauern einander; aber du kannst überzeugt sein, daß auch für uns der Tag des Glücks kommen wird.«

      »Nun, schon gut; wie endete die Sache? Was hat er beschlossen? Das ist doch die Hauptsache. Du bist ein Schwätzer, Aljoscha …«

      »Meines Vaters Sinn und Gedanken kennt nur Gott; es ist gar nicht daraus klug zu werden, was er eigentlich vorhat. Ein Schwätzer aber bin ich ganz und gar nicht; ich sage nur, was zur Sache gehört. Er hat nichts Bestimmtes gesagt, sondern auf alle meine Darlegungen nur mit einem Lächeln geantwortet, als ob er mich bemitleide. Ich fühle ja, daß das für mich demütigend ist; aber ich schäme mich nicht. Er sagte: ›Ich bin mit dir vollkommen einer Ansicht; aber wir wollen zum Grafen Nainski fahren. Sprich aber dort nichts von dieser Art; ich für meine Person verstehe dich ja; aber die dort würden dich nicht verstehen.‹ Es scheint, daß auch er selbst dort nicht besonders gut aufgenommen wird; man ist aus irgendwelchem Grund auf ihn erzürnt. Überhaupt ist mein Vater in der vornehmen Welt jetzt nicht beliebt. Der Graf behandelte mich zunächst sehr hochmütig und von oben herab, als ob er ganz vergessen hätte, daß ich in seinem Haus aufgewachsen bin. Er zürnt mir wegen Undankbarkeit; aber wahrhaftig, es liegt von meiner Seite keine Undankbarkeit vor; es ist eben in seinem Haus schrecklich langweilig; na, und da bin ich nicht mehr hingegangen. Er empfing auch meinen Vater in sehr nachlässiger Manier, so nachlässig, daß ich gar nicht verstehe, warum mein Vater den Verkehr fortsetzt. Das alles versetzte mich in Empörung. Mein armer Vater krümmte sozusagen den Rücken vor ihm; ich verstehe ja, daß er das alles in meinem Interesse tut; aber ich brauche nichts. Ich wollte nachher meinem Vater schon alle meine Empfindungen aussprechen; aber ich beherrschte mich und schwieg. Wozu auch? Seine Anschauungen würde ich doch nicht umändern; ich würde ihn nur ärgern, und er hat ohnehin schon genug Sorgen. ›Na‹, dachte ich, ›ich will es mit Schlauheit versuchen; ich werde sie alle überlisten; ich werde den Grafen zwingen, mich zu achten!‹ Und was geschah? Ich habe sofort alles erreicht; an einem einzigen Tag hat sich die ganze Lage geändert! Graf Nainski weiß jetzt gar nicht, was er mir für einen Ehrenplatz anweisen soll. Und all das habe ich bewirkt, ich allein, durch meine eigene Schlauheit, so daß mein Vater vor Erstaunen die Hände über dem Kopf zusammenschlug! …«

      »Hör mal, Aljoscha, du solltest doch lieber zur Sache kommen!« rief Natascha ungeduldig. »Ich hatte geglaubt, du würdest uns etwas über unsere eigene Angelegenheit mitteilen; aber dir macht es nur Spaß, zu erzählen, wie vortrefflich du dich bei dem Grafen Nainski benommen hast. Was geht mich dein Graf an!«

      »Was dich der Graf angeht! Hören Sie wohl, Iwan Petrowitsch, sie fragt, was sie der Graf angeht! Aber darin steckt ja gerade der Kern der Sache. Das wirst du selbst sehen; das wird alles am Ende meiner Erzählung klarwerden. Laßt mich nur erzählen … Nun ja (denn warum soll ich nicht offen reden?), ihr wißt ja, sowohl du, Natascha, als auch Sie, Iwan Petrowitsch, ich bin vielleicht wirklich manchmal sehr, sehr urteilslos, na, meinetwegen auch einfach dumm (auch das ist ja mitunter vorgekommen). Aber in diesem Fall, das kann ich euch versichern, habe ich viel Schlauheit bewiesen … na … ich kann wohl sagen, sogar Verstand; ich glaubte daher, ihr würdet euch selbst darüber freuen, daß ich nicht immer … unverständig bin.«

      »Ach, was redest du nur, Aljoscha; hör doch auf damit, Liebster!«

      Natascha konnte es nicht ertragen, wenn Aljoscha für unverständig gehalten wurde. Wie oft war sie, ohne es mit Worten auszusprechen, böse auf mich gewesen, wenn ich, ohne viele Umstände zu machen, ihrem Aljoscha bewies, daß er irgendeine Dummheit begangen habe; dies war ein wunder Punkt in ihrem Herzen. Sie konnte eine Herabsetzung Aljoschas nicht ertragen, und wahrscheinlich um so weniger, da sie seine geistigen Fähigkeiten im stillen selbst nur für beschränkt hielt. Aber sie brachte diese ihre Meinung ihm gegenüber nicht zum Ausdruck und scheute sich, sein Ehrgefühl zu verletzen. Er seinerseits bewies in solchen Fällen einen besonderen Scharfsinn und erriet immer ihre geheimen Gedanken. Natascha merkte dies, betrübte sich sehr darüber und überschüttete ihn sofort mit Schmeichelworten und Liebkosungen. Dies war der Grund, warum sie jetzt seine Worte schmerzlich berührten.

      »Rede nicht so, Aljoscha; du bist nur leichtsinnig, aber gar nicht von solcher Art«, fügte sie hinzu. »Warum machst du dich selbst schlecht?«

      »Nun gut; dann laßt mich also zu Ende erzählen! Nach dem Besuch bei dem Grafen war mein Vater ordentlich böse auf mich. Ich dachte: ›Warte du nur!‹ Wir fuhren darauf zur Fürstin; ich hatte schon lange gehört, daß sie infolge ihres hohen Alters geistesschwach geworden sei, außerdem sehr schwer höre und eine große Freundin von Stubenhunden sei. Sie hält sich ein ganzes Rudel dieser Tiere und ist in sie ganz vernarrt. Trotz alledem besitzt sie in der vornehmen Welt großen Einfluß, so daß sogar Graf Nainski, le superbe, bei ihr antichambriert. Unterwegs entwarf ich mir einen Plan für alle meine weiteren Aktionen, und was meint ihr wohl, worauf ich dabei baute? Auf den Umstand, daß mich alle Hunde gern haben, bei Gott! Ich habe das beobachtet. Entweder steckt in mir eine Art Magnetismus, oder es kommt daher, daß ich selbst alle Tiere sehr gern habe; ich weiß es nicht; aber die Hunde lieben mich, das ist Tatsache! Apropos, Magnetismus: ich habe dir noch nicht erzählt, Natascha, wir haben neulich Geister zitiert; ich war bei einem Geisterbeschwörer; es war höchst interessant, Iwan Petrowitsch; es hat mich sehr in Erstaunen versetzt. Ich habe Julius Cäsar zitiert.«

      »Ach mein Gott! Was wolltest du denn mit Julius Cäsar?« rief Natascha, die sich vor Lachen ausschütten wollte. »Das ist köstlich!«

      »Aber wieso denn? … Als wäre ich ein … Warum soll ich nicht das Recht haben, Julius Cäsar zu zitieren? Was ist denn dabei? Nun sehe bloß einer, wie sie lacht!«

      »Natürlich ist gar nichts dabei … ach, mein liebster Aljoscha! Nun also, was sagte denn Julius Cäsar zu dir?«

      »Gesagt hat er nichts. Ich hielt nur einen Bleistift in der Hand, und der Bleistift fuhr von selbst über das Papier und schrieb. Es wurde gesagt, da schriebe Julius Cäsar. Ich glaube nicht daran.«

      »Was hat er denn geschrieben?«

      »Er schrieb etwas, das sah aus wie ›Werde naß!‹, wie es bei Gogol heißt … Aber so hör doch auf zu lachen!«

      »Nun, dann erzähle von der Fürstin!«

      »Na ja, aber ihr unterbrecht mich ja immer. Wir kamen also zu der Fürstin, und ich begann damit, ihrer Mimi den Hof zu machen. Diese Mimi ist eine alte, häßliche, greuliche Hündin, dazu noch eigensinnig und bissig. Die Fürstin ist ganz in das Tier vernarrt; ich glaube, die beiden sind Altersgenossinnen. Zuerst fütterte ich Mimi mit Konfekt und brachte ihr in zehn Minuten bei, die Pfote zu geben, was man ihr in ihrem ganzen Leben nicht hatte beibringen können. Die Fürstin geriet geradezu in Entzücken, sie weinte beinahe vor Freude: ›Mimi! Mimi! Mimi gibt das Pfötchen!‹ Wenn ein Besucher kam, so hieß es: ›Mimi gibt das Pfötchen! Hier, mein Patenkind hat es sie gelehrt!‹ Graf Nainski kam; sofort mußte er hören: ›Mimi gibt das Pfötchen.‹ Mich blickte die alte Dame beinahe mit Tränen der Rührung an. Sie ist ein seelengutes Wesen; sie tat mir ordentlich leid. Nach diesem glücklichen Erfolg griff ich zur Schmeichelei: auf ihrer Tabaksdose ist ihr eigenes Bild gemalt, als sie noch ein junges Mädchen war, vor sechzig Jahren. Diese Tabaksdose fiel ihr auf den Fußboden. Ich hob sie auf und sagte, als ob ich nicht erkenne, wen das Bild vorstellt: ›Quelle charmante peinture! Ein ideal schönes Gesicht!‹ Na, da war sie ganz hin; sie redete mit mir von diesem und jenem, und wo ich studiert


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