Gesammelte Werke. Джек Лондон
gewandert war. Saxon wusste jetzt erst, warum sie sie so sehr an ihre eigene Mutter erinnerte.
Das Gespräch entglitt Billy ganz, der nur immer die Einzelheiten der Tischlerarbeit am Zedernholzpult bewunderte. Saxon erzählte, wie sie Klara und Jack Hastings auf ihrer Jacht und auf der Fahrt in Oregon getroffen hätten. Sie seien immer noch auf der Reise, sagte Frau Hale, hätten ihre Pferde von Vancouver heimgeschickt und wären mit einem Dampfer der Kanada-Pazifik-Linie nach England gefahren. Frau Hale kannte Saxons Mutter oder vielmehr ihre Gedichte und zeigte ihr nicht nur die »Geschichte der Reihen«, sondern auch ein dickes Buch mit vielen aus Zeitungen ausgeschnittenen Gedichten, die Saxon nie gesehen hatte. Sie sei eine gute Sängerin gewesen, sagte Frau Hale, aber so viele hätten in jenen goldenen Tagen gesungen und seien seither vergessen worden. Es hatte damals noch nicht ein ganzes Heer von Magazinen gegeben, und die Gedichte waren mit den verschiedenen lokalen Zeitungen verloren gegangen.
Jack Hastings hatte sich in Klara verliebt, wie sie weiter erzählte; bei einem Besuch in »Trillium Zuflucht« hatte er sich in das Sonomatal verliebt und einen prachtvollen Hof gekauft, von dem er jedoch nicht viel Freude hatte, da er die meiste Zeit auf Reisen in allen Weltteilen verbrachte. Frau Hale erzählte von ihrer eigenen Wanderung über die Prärie gegen Ende der fünfziger Jahre, als sie noch ein kleines Mädchen war, und wie Frau Mortimer wusste sie sehr gut Bescheid über den Kampf bei Little Meadow und die Vernichtung des Emigrantenzuges, dessen einziger Überlebender Billys Vater gewesen war.
»Und so«, schloss Saxon eine Stunde später, »haben wir drei Jahre lang unser Mondtal gesucht, und jetzt haben wir es gefunden.«
»Mondtal?« fragte Frau Hale. »Da habt ihr es also die ganze Zeit gewusst? Aber warum habt ihr denn so lange gewartet?«
»Nein, wir haben es nicht gewusst, wir zogen nur aus, um es zu suchen, ohne das geringste davon zu wissen. Mark Hall nannte es eine Pilgerfahrt und neckte uns immer, dass wir lieber lange Stäbe mitbringen sollten. Er sagte, wenn wir den Ort fänden, würden wir es daran erkennen, dass die Stäbe ausschlügen. Er lachte über all die Herrlichkeiten, die wir in unserm Tal zu finden erwarteten, und eines Tages zog er mich auf die Veranda hinaus und zeigte mir durch ein Glas den Mond. Er sagte, das sei die einzige Stelle, wo wir ein solches Wundertal finden könnten. Er meinte natürlich, es sei nur ein Traum, und wir nannten es schon selber so und suchten weiter danach.«
»Das ist doch ein merkwürdiger Zufall«, rief Frau Hale. »Denn dies ist ja eben das Mondtal.«
»Das weiß ich sehr gut«, sagte Saxon ruhig und zuversichtlich, »denn hier ist alles, was wir uns gewünscht haben.«
»Aber Sie verstehen mich nicht, Kind. Dies ist wirklich das Mondtal – das Sonomatal. Sonoma ist ein altes Indianerwort, das Mondtal bedeutet. So nannten die Indianer es vor vielen Generationen, ehe die ersten Weißen hierherkamen. Und wir, die es lieben, nennen es immer noch so.«
Und da erinnerte sich Saxon der geheimnisvollen Andeutungen, die Hastings und seine Frau gemacht hatten, und die Unterhaltung zwischen den beiden Frauen wurde fortgesetzt, bis Billy ungeduldig wurde. Er räusperte sich und ergriff selbst das Wort: »Wir möchten gern etwas über den Bauernhof auf der anderen Seite des Baches erfahren – wem er gehört, ob er zu verkaufen ist, wo wir den Besitzer finden und so weiter.«
Frau Hale stand auf.
»Lassen Sie uns hineingehen und mit Edmund sprechen«, sagte sie, ergriff Saxons Hand und ging mit ihr voraus.
»Sieh einmal«, sagte Billy, der sie hoch überragte. »Ich habe immer gedacht, dass Saxon klein war, aber es könnten doch zwei wie Sie aus ihr gemacht werden.«
»Sie sind auch ein großer Mann«, lächelte die kleine Frau, »aber Edmund ist noch größer als Sie und breitschultriger.«
Sie gingen durch das helle Vorzimmer und trafen den großen, schönen Mann in seinem Zimmer, wo er in seinem bequemen Schaukelstuhl saß und las. Neben dem Schaukelstuhl stand wieder ein kleiner rotlackierter Kinderschaukelstuhl aus spanischem Rohr. Auf den Knien des Mannes lag eine ungewöhnlich große gestreifte Katze, die den Blick auf ein Stück Brennholz im Kamin richtete. Wie ihr Herr, wandte sie den Eintretenden den Kopf zu, um sie willkommen zu heißen. Saxon fühlte wieder die Liebe und den Segen, die ihr entgegenströmten aus dem Gesicht dieses Mannes, seinen Augen und von seinen Händen, die ihr Blick ganz unwillkürlich suchte. Die Zartheit dieser Hände bezauberte sie direkt. Es waren zärtliche Hände. Es waren Hände, die von einem Männertyp erzählten, von dem sie sich nie etwas hatte träumen lassen. Niemand in der heiteren Schar in Carmel hatte sie ahnen lassen, dass ein solcher Mann existierte. Das dort waren Künstler gewesen. Hier war der Wissenschaftler, der Philosoph. Statt dem leidenschaftlichen Aufruhrdrang der Jugend stand sie hier dem in Weisheit begründeten Wohlwollen gegenüber. Diese zarten Hände hatten alle Bitternis des Lebens von sich gestoßen und nur seine Süße behalten. So gern sie auch die heitere Schar in Carmel hatte, schauderte ihr doch bei dem Gedanken, wie einige von ihnen wohl im Alter sein würden – namentlich der Theaterkritiker und der Eisenmann.
»Hier hast du die beiden lieben Kinder, Edmund«, sagte Frau Hale. »Und kannst du dir denken – sie wollen die Madronjoranch kaufen. Sie haben drei Jahre lang danach gesucht – aber ich habe übrigens vergessen zu erzählen, dass wir zehn Jahre lang nach ›Trillium Zuflucht‹ gesucht haben. Erzähl ihnen jetzt alles, was du weißt. Herr Naismith will wohl immer noch verkaufen?«
Sie setzten sich auf die großen einfachen Stühle; Frau Hale in den winzigen Schaukelstuhl neben dem großen, und ihre feine Hand lag wie eine Ranke in der Edmunds. Und während Saxon zuhörte, erfasste ihr Blick alle Einzelheiten des strengen Raumes mit den hohen Bücherregalen. Ihr begann aufzugehen, dass ein Gebäude aus Holz und Stein sehr wohl dem Geist des Mannes, der es sich erdacht und erschaffen hat, Ausdruck verleihen kann. Die zarten Hände hatten alles dies geschaffen – selbst die Möbel – wie sie sich sagte, während ihr Blick vom Pult zum Stuhl, vom Arbeitstisch zum Lesetisch neben dem Bett in dem anderen Zimmer schweifte, wo eine Lampe mit grünem Schirm stand und große geordnete Stapel von Zeitschriften und Büchern lagen.
Mit der Madronjoranch, sagte er, sei es sehr einfach. Naismith wolle verkaufen. Er wolle schon seit fünf Jahren verkaufen, seit er angefangen habe, die Mineralquellen weiter abwärts im Tal zu erschließen. Es sei ein Glück, dass er der Besitzer sei, denn fast der ganze Boden in der Gegend gehöre einem Franzosen – einem Ansiedler aus der frühesten Zeit – der auch nicht einen Fußbreit verkaufen wolle.