Gesammelte Werke. Джек Лондон
sie. »Ich … ich habe ja nicht einmal ein Taschentuch zum Wechseln.«
Noch ehe er antwortete, hob er wieder die Hand. Dann sagte er:
»In Sacramento kannst du kaufen, was du brauchst. Dort heiraten wir und fahren noch mit dem Abendzug nach dem Norden. Ich ordne alles telegrafisch vom Zuge aus.«
Als das Auto am Bürgersteig vorfuhr, warf sie einen Blick auf die vertraute Straße und das Menschengewimmel, dann wandte sie sich plötzlich erschrocken zu Glendon, sah ihm ins Gesicht.
»Ich kenne Sie ja gar nicht«, sagte sie.
»Wir wissen alles voneinander«, antwortete er.
Sie fühlte, wie sein Arm sie stützte und sie gleichzeitig zwang, den Fuß auf das Trittbrett zu setzen.
Im nächsten Augenblick wurde die Tür zugeschlagen; dann fuhr der Wagen die Market Street hinunter. Er schlang seinen Arm um sie, presste sie an sich und küsste sie. Und als sie den Mut fasste, ihm ins Gesicht zu sehen, war sie sicher, dass es leise gerötet war.
»Ich … ich habe gehört, dass Küssen eine Kunst sei«, stotterte er. »Ich selber verstehe nichts davon, aber ich will es lernen. Weißt du, du bist die erste Frau, die ich geküsst habe.«
IX
An einer Stelle, wo sich eine zackige Felsspitze über den ungeheuren Urwald erhob, ruhten ein Mann und eine Frau.
Unter ihnen, am Waldessaum, waren zwei Pferde angebunden. Hinter jedem Sattel hing eine kleine Satteltasche. Die Bäume waren von einförmiger Mächtigkeit. Sie ragten Hunderte von Fuß hoch empor und hatten einen Durchmesser von zehn bis zwölf Fuß, ja, viele waren noch bedeutend größer.
Den ganzen Morgen hatten sie sich durch diesen unermesslichen Wald bis zur Wasserscheide hindurchgearbeitet, und diese Felsspitze hatte ihnen die erste Möglichkeit gegeben, aus dem Walde herauszugelangen, um sich umzuschauen.
Unter ihnen und rings, soweit sie sehen konnten, lag Reihe auf Reihe von Bergen, die in purpurnen Dunst gehüllt waren. Es gab keine Lichtungen in diesen Wäldern; im Norden, Süden, Osten und Westen bedeckten sie unberührt, ununterbrochen das Land mit ihrer mächtigen Wildnis.
Sie lagen da und starrten in die Ferne, ihre Hand in der seinen, denn es waren ihre Flitterwochen, und dies waren die Riesentannenwälder von Mendocino. Von Shasta waren sie mit Pferden und Gepäck durch das wildeste Küstengelände hierher gekommen und hatten keinen anderen Plan als den, die Reise fortzusetzen, bis sie einen neuen Einfall bekamen. Sie trugen derbe Kleidung, sie von der Reise stark mitgenommenen Khaki, er Wollhemd und Overall. Das Hemd ließ den sonnengebräunten Hals frei. Seine Größe machte ihn zum geeigneten Bewohner der riesigen Wälder, während sie, die sie mit ihm bewohnte, ein Abbild des Glücks war.
»Ja, du starker Mann«, sagte sie und stützte sich auf den einen Ellbogen, um ihn anzusehen, »das ist noch herrlicher, als du es mir versprochen hattest. Und alles werden wir miteinander sehen.«
»Und noch ein ganz Teil von der übrigen Welt dazu«, antwortete er und änderte seine Lage, um ihre Hand zwischen seine beiden zu nehmen.
»Aber erst, wenn wir hiervon genug haben«, meinte sie. »Ich glaube, dass ich der großen Wälder nie müde werde … und deiner auch nicht.«
Er setzte sich ohne Anstrengung auf und schloss sie in seine Arme.
»Oh, du Lieber«, flüsterte sie. »Und ich hatte schon alle Hoffnung aufgegeben, einen Mann wie dich zu finden.«
»Und ich hatte nicht einmal gehofft. Ich muss wohl immer schon gewusst haben, dass ich dich einmal finden würde. Bist du froh?«
Ihre Antwort war ein sanfter Druck der Hand, die auf seinem Nacken lag, und dann schauten sie lange über die großen Wälder hinaus und träumten.
»Erinnerst du dich, dass ich dir erzählte, wie ich vor der rothaarigen Lehrerin flüchtete? Damals sah ich dieses Land zum ersten Mal. Und ich kam zu Fuß hierher, aber vierzig bis fünfzig Meilen täglich waren ein Kinderspiel für mich. Ich war der reine Indianer. Damals wusste ich noch nichts von dir. Jagd gab es nicht viel in diesen Wäldern, aber viele Forellen. Damals rastete ich auch auf diesen Felsen. Aber ich ließ mir nicht träumen, dass ich eines Tages wieder hierherkommen sollte, und mit dir, mit dir.«
»Und dass du Meisterschaftsboxer werden solltest, davon ließest du dir auch nichts träumen«, meinte sie.
»Nein, darüber dachte ich überhaupt nicht nach. Vater hatte mir stets gesagt, dass ich es werden würde, und da nahm ich es als gegeben hin. Du siehst, er war sehr klug. Er war ein großer Mensch.«
»Aber er sah nicht, dass du dem Ring einmal den Rücken kehren würdest.«
»Ich weiß nicht recht. Er gab sich soviel Mühe, die Verderbtheit des Ringes vor mir zu verheimlichen, dass ich fast glaube, er fürchtete es. Ich habe dir ja erzählt, wie er den Kontrakt mit Stubener machte. Vater fügte die Klausel bezüglich der Unredlichkeit ein. Die erste Schiebung, deren mein Manager sich schuldig machte, sollte den Kontrakt ungültig machen.«
»Und doch willst du mit diesem Tom Cannam kämpfen. Ist das der Mühe wert?«
Er warf ihr einen schnellen Blick zu.
»Möchtest du, dass ich es nicht täte?«
»Liebster, ich möchte, dass du alles tust, was du tun möchtest.«
So sprach sie, und während die Worte noch nicht in ihren Ohren verklungen waren, wunderte sie sich, dass sie, eine der eigenwilligsten und unabhängigsten aus dem Geschlecht der Sangster, so gesprochen hatte. Es war die Wahrheit gewesen, und sie freute sich darüber.
»Es wird sehr spaßig werden«, sagte er.
»Aber ich verstehe nicht, was daran spaßig sein kann.«
»Ich habe noch nicht näher darüber nachgedacht. Du könntest mir vielleicht helfen. Erstens möchte ich Stubener und das ganze Wettsyndikat gründlich anführen. Das wird schon ein Spaß sein. Ich werde Cannam in der ersten Runde erledigen. Zum ersten Mal in meinem Leben werde ich wirklich böse sein, wenn ich kämpfe. Der arme Tom Cannam muss daran glauben, obgleich er nicht schlimmer als die anderen ist.
Weißt du, ich werde eine kleine Rede im Ring halten. Das ist zwar nicht üblich, aber ich werde trotzdem Erfolg damit haben, denn ich will dem Publikum erzählen, wie es in Amerika mit dem Sport hinter den Kulissen aussieht.
An dem Sport ist an sich gar nichts auszusetzen, aber sie machen ein Geschäft daraus, und das verdirbt ihn!«
»Aber, Liebster, du hast doch nie im Leben eine Rede gehalten«, warf