Die wichtigsten Dramen von Ödön von Horváth. Ödön von Horváth

Die wichtigsten Dramen von Ödön von Horváth - Ödön von Horváth


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ich lege ihr alles zu Füßen: mich und das Hotel. Er geht hin und her.

      ADA

      ist nahe daran, bewußtlos zu werden: Lüg nicht! Lüg nicht!

      STRASSER

      Geh zu Bett!

      MAX

      Es wird bald sechs.

      STRASSER

      Es wird bald sieben.

      MAX

      Schau, Ada: ich bin jung und du bist alt. Ich spreche sachlich, um uns unnötige Aufregungen zu ersparen. Wir wollen nicht weh tun, wir wollen unsere Bindung, die uns viele reine Freude brachte, sanft lösen, um uns ohne bitteren Geschmack zurückerinnern zu können. Schau, ich bin jung und du bist alt. Ein junger Mann, geleitet von einer erfahrenen Frau, ist derselben immer zu Dank verpflichtet, und auch deshalb befleißige ich mich, sachlich zu sein, objektiv, gerecht. Schau, du darfst und kannst nicht verlangen, daß ein normal immerhin entwickelter junger Mann sich zeitlebens an dich kettet. Ich müßte mich ja zwingen, und das wäre wider die Natur. – Nein! Das täte nicht gut. Lieber nichts! Er tritt zu zwölf a; horcht; klopft. Christine – Christine, Christine!

      STRASSER

      fährt ihn an: Laß das, wenn man bitten darf!

      MAX

      Du bist ein böser Mensch, Strasser. Du könntest ja einen erschlagen, aber das wahre Gefühl ist nicht umzubringen: es kommt immer wieder. Und klopft. Auch als Gespenst. Ab in neun.

      STRASSER

      sieht ihm verdutzt nach: Das wahre Gefühl?

      ADA

      lallt: Hierbleiben – Hierbleiben –

      STRASSER

      Ins Bett! Ins Bett! Ab in zwölf.

       Eine andere Uhr schlägt zwölf.

      ADA

      wimmert; erregt hin und her; immer rascher; sie zählt mit: – drei, vier, fünf – neun, zehn, elf, zwölf –

       Christine tritt aus zwölf a, erblickt Ada; erschrickt.

       Ada hält ruckartig; betrachtet sie scheu.

       Stille.

      Zwölf.

      CHRISTINE

      Ich bin es.

       Stille.

      ADA

      Ich habe Ihre Briefe gelesen – Halt! Bleiben! Bitte, bleiben – um Jesu Christi Willen, ich habe das Gefühl, der ganze Raum steckt voller Leute und ich bin blind!

      CHRISTINE

      Ich dachte, endlich könnte man fort, ohne jemanden wiederzusehen.

      ADA

      Wiedersehen? Wissen Sie, wer ich bin?

      CHRISTINE

      Ja.

      ADA

      Wer bin ich?

      CHRISTINE

      Ich wohnte im Zimmer Nummer elf. Vor einem Jahre.

      ADA

      Wer wohnt jetzt in Zimmer Nummer elf?

      CHRISTINE

      Eine alte Frau.

      ADA

      Tatsächlich?

      CHRISTINE

      Ja.

       Stille.

      ADA

      Wie einfach sich das sagen läßt: eine alte Frau –

      CHRISTINE

      Es ist doch so.

      ADA

      Ja. – Man sollte jung sterben. Mit der Zeit wird alles zwecklos. Nicht?

      CHRISTINE

      Möglich.

      ADA

      Man sagt, jede Mutter meint, ihr Kind sei das schönste. Meine Mutter hat aber darüber nicht nachgedacht – Glauben Sie, daß ich sehr häßlich bin?

      CHRISTINE

      Möglich.

      ADA

      Sie kennen mich nicht.

      CHRISTINE

      Ich kenne diese Stimme. Ich habe hinter dieser Tür gehorcht. Zuvor.

      ADA

      Das war nicht ich!

      CHRISTINE

      Doch!

       Stille.

      ADA

      Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu.

      CHRISTINE

      Warum erzählen Sie mir das?

      ADA

      Seien Sie nicht grausam. Bitte. – Gestatten Sie, daß ich Ihnen helfen darf, damit Sie das Kind ohne Sorgen –

      CHRISTINE

      unterbricht sie: Ich habe keine Sorgen.

      ADA

      Das gibt es nicht.

       Stille.

      CHRISTINE

      gehässig: Ich danke für Ihre Wohltätigkeit. Mir hat nämlich der liebe Gott geholfen. Wissen Sie, was das heißt?

      ADA

      Nein, das weiß ich nicht.

       Stille.

      Das weiß ich wirklich nicht. Lachen Sie mich nur aus – Sie nickt ihr zu; langsam ab in elf.

       Christine starrt ihr nach; will fort, hält jedoch nach einigen Schritten und überlegt; kehrt plötzlich entschlossen um und tritt an Türe elf; klopft; lauscht – nichts.

      MAX

      tritt aus neun; erblickt sie, erhellt sich; unterdrückt: Pst! Sonst kommt nämlich wieder wer, ich habe geklopft und geklopft und war bereits nahe daran zu verzweifeln, aber nun wird alles gut – Halt! Es ist erst halb vier. Zum Bahnhof sind es fünfzehn Minuten. Geht man gemütlich, braucht man zwanzig, wenn Sie sich aber beeilen, nur zehn. Halt! Ich fahre ja auch fünf Uhr sieben. Wir haben noch Zeit.

      CHRISTINE

      Wer ›wir‹?

      MAX

      Wir zwei, Christine. Ich und Sie. Sie und ich. Wir. Ich bin nämlich kein Kellner, sondern Kunstgewerbler. Und dann habe ich das Gefühl, eine unschöpferische Periode hinter mir zu lassen. Ich fahre fünf Uhr sieben. Ob ich wieder zum Plakat finde, hängt lediglich von Ihnen ab.

      CHRISTINE

      Ich verstehe kein Wort.

      MAX

      Sagen Sie das nicht!

      CHRISTINE

      spöttisch: Meint der Herr mich?

      MAX

      Ich kenne nur eine Christine.

      CHRISTINE

      Ist das dieselbe Christine, die sich hier vor ungefähr einem Jahre für den Herrn mit dem Chrysanthemenstrauß interessierte?

      MAX

      Ja. Das heißt: nein. Sicher. Ich habe mich geirrt. Vielleicht. Apropos Irrtum: auf mein


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