Die wichtigsten Dramen von Ödön von Horváth. Ödön von Horváth
ohne Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, nicht wahr, Sie Galauniform?
KARL
ohne Grimm: Was willst du denn von mir?
Strasser grinst herausfordernd aus plötzlicher Unsicherheit. Karl nickt ihm zu. Lach mich nur aus. Er nähert sich langsam Christine; dumpf. Fräulein. Es ist gut. Ich bin ein Zuchthäusler. Ich saß sechs Jahr, weil ich einen erschlagen habe. Nicht Mord. Totschlag. Aber es wurden mir keine mildernden Umstände zugebilligt, das heißt: nur ganz geringe, und die zählen kaum vor Gericht und sind doch sehr ausschlaggebend. Sie sollen keine Angst vor mir haben, Fräulein. Bitte. Es gibt ja nichts, was einem nicht zustoßen könnte. Man kann sich auch selbst erschlagen, und doch umhergehen, Fräulein. Und dastehen: in Galauniform.
Stille.
CHRISTINE
leise: Ist das wahr?
KARL
Es ist wahr, Fräulein.
STRASSER
Es ist gelogen, Christine. Von A bis Z.
CHRISTINE
Kusch!
Stille.
STRASSER
zu Christine: Du hast recht: was ich dir antat, ist ein perfideres Verbrechen als Mord.
MÜLLER
Wieso kommen Sie zu dieser Behauptung?
MAX
Jeder von uns trägt die gleiche Schuld.
MÜLLER
Na klar!
EMANUEL
Pardon! Es war mein Plan.
STRASSER
Quatsch!
MÜLLER
Wir haben ihn alle unterschrieben! Wir alle fühlen uns verantwortlich!
MAX
Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen.
KARL
Das haben wir alle nicht.
CHRISTINE
Still! Würden die werten Herren Reue spüren, hätte mir nicht der liebe Gott geholfen?
MÜLLER
Jawohl!
EMANUEL
Jederzeit.
KARL
Das war niedrig, Fräulein.
Stille.
MAX
Warum glaubst du mir das nicht, das mit den tausend Jahren?
Stille.
STRASSER
Ich hätte nichts bereut, hätte dir nicht der liebe Gott geholfen.
EMANUEL
Charakterlump!
MAX
Er kann nicht lieben.
KARL
Er ist überhaupt kein Mensch.
MÜLLER
Wo bleiben die Ideale?
STRASSER
Das weiß ich nicht! Ich weiß nur, daß ich dich nun liebe, weil du zehntausend Mark hast. Ohne diese Summe hätte ich auch keine Reue empfunden. Du kannst doch nicht verlangen, daß einer, der wirtschaftlich zu Grunde gerichtet worden ist, sich in eine Bettelprinzessin verliebt.
CHRISTINE
Und das Kind?
STRASSER
Du kannst doch nicht verlangen, daß ich dich ewig liebe, nur weil du ein Kind von mir hast.
Stille.
CHRISTINE
Ja, das ist wahr. Aber ich wäre fast zugrunde gegangen –
STRASSER
Ich hätte dir nicht helfen können.
CHRISTINE
Das weiß ich noch immer nicht.
STRASSER
Glaub es!
MÜLLER
Nach dem bürgerlichen Gesetzbuche ist der Vater verpflichtet –
STRASSER
unterbricht ihn: Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren!
CHRISTINE
Man müßte ein anderes Gesetzbuch schreiben.
MÜLLER
Das wäre das Ende der Familie.
CHRISTINE
Wenn schon.
EMANUEL
Und das Ende des Staates.
CHRISTINE
Wenn schon!
Stille.
Es gibt einen lieben Gott, aber auf den ist kein Verlaß. Er hilft nur ab und zu, die meisten dürfen verrecken. Man müßte den lieben Gott besser organisieren. Man könnte ihn zwingen. Und dann auf ihn verzichten.
KARL
Man soll nicht an ihn glauben.
CHRISTINE
Man muß.
Stille.
STRASSER
zu Christine: Bleib bei mir.
CHRISTINE
sieht Strasser groß an: Der Zug fährt in einer halben Stunde und wer sich beeilt, ist in zehn Minuten am Bahnhof, aber mir ist es noch immer, als müßte ich den Zug versäumen –
MAX
sieht Christine groß an: Dreizehn ist meine Glückszahl. Und Christine wohnt zwölf a.
STRASSER
Du wirst den Zug versäumen.
CHRISTINE
Nein. – Nein. Nein, ich werde nichts versäumen – Laß mich fort, bitte – Wenn mich das Kind nicht mehr braucht, so komme ich dich besuchen – sollte dies Haus dann noch stehen – Ab.
DIE BERGBAHN
PERSONEN
KARL
SCHULZ
VERONIKA
XAVER
SLIWINSKI
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