Heimatkinder Staffel 3 – Heimatroman. Kathrin Singer
maßen einander mit Blicken, die ungleichen Brüder, und es war, als fochten sie einen Kampf aus.
Björn war es schließlich, der als Erster die Lider senkte. Gleichzeitig begann er: »Ich kann dich ja verstehen, Bruderherz. Julia ist ein Prachtmädel, ein echter Schatz. Aber was du getan hast, war nicht fair und anständig.«
Mit einem Ruck beugte sich Matthias weit über den Schreibtisch. Seine Fäuste verkrampften sich, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten, seine Augen sprühten Blitze.
»Ruhig Blut, ruhig Blut«, fuhr Björn rasch fort. »Ich will einmal zu deinen Gunsten annehmen, dass du nicht gewusst hast, wie nahe wir uns schon gekommen waren, Julia und ich.«
»Hör auf!«, knirschte der Forstmeister. »Tu mir einen Gefallen und sei ruhig.«
»Ja, mein Lieber, zwischen Julia und mir hat es gefunkt, vom ersten Augenblick an. Sie ist für mich die richtige Frau, von der ich immer geträumt habe. Und darum gehört sie mir, denn ich habe die älteren Rechte, wenn ich mal so sagen darf.«
Matthias erhob sich halb. Es schien einen Moment lang, als ob er den Schreibtisch umwerfen, gegen seinen Bruder schleudern wollte.
»Du wagst es, von älteren Rechten zu faseln? Ausgerechnet du? Hast du vergessen, wie es mit Isabell war, ich habe sie damals kennen gelernt. Ich habe mich in Isabell verliebt. Erst Monate später bist du ihr zum ersten Mal begegnet. Und dann …« Matthias stockte und schloss für einen Augenblick die Augen. »Damals hast du mir mein Glück gestohlen. Aber ein zweites Mal wird das nicht passieren, das schwöre ich dir! Julia ist meine Frau, und ich gebe sie nicht her!«
Björn hob beschwichtigend die Hand. »Du meine Güte! Was sollen diese Schwüre? Wenn Julia dich verlässt, musst du dich damit abfinden. Übrigens glaube ich, dass es zu keiner Scheidung kommt … Du brauchst gar nicht so erleichtert zu lächeln, Bruderherz. Ich meine, dass man deine Ehe für ungültig erklären wird. Das ist dann so, als habe diese Heirat nie stattgefunden.«
»Bist du von Sinnen?«, stieß Matthias erregt hervor.
»Eine Ehe wird für ungültig erklärt, das habe ich gelesen«, fuhr Björn unbeirrt fort, »wenn der eine Ehepartner hinterlistig getäuscht wurde.«
»Das ist absurd. Ich habe meine Frau nicht getäuscht. Nie, niemals habe ich behauptet, dass ich der Vater der Kinder sei. Auf diese krumme Tour geht es also nicht, mein Lieber.«
»Krumme Tour? Du hast es nötig!« Björn lachte spöttisch auf. »Aber ich bin gekommen, um mich mit dir gütlich zu einigen. Lege Julia keine Steine in den Weg. Lass sie gehen.«
»Ich liebe Julia, und ich werde um sie kämpfen«, gab Matthias erregt zurück.
»Kämpfen? Wie denn?«
»Julia ist mein Leben«, antwortete Matthias dumpf. »Ein zweites Mal lasse ich mir meine Zukunft nicht von dir zerstören. Nein, ein zweites Mal nicht!«
»Was willst du tun?«
»Ich warne dich, Björn. Lass die Finger von meiner Frau. Und mache die Kinder nicht unglücklich.«
»Bei mir werden sich Heidi und Carsten wohlerfühlen als bei dir, denn du hast sie ziemlich streng erzogen«, sagte Björn aufgebracht.
»Vielleicht bin ich manchmal wirklich etwas zu streng gewesen, aber inzwischen hat sich meine Einstellung und mein Verhältnis zu Heidi und Carsten geändert. Das verdanke ich Julia. Und noch viel mehr. Ja, ich verdanke meiner Frau alles. Sie ist der Sinn und Inhalt meines Lebens.«
»Worte, nichts als Worte.«
»Täusche dich nicht in mir, Björn. Den Worten werden notfalls Taten folgen.«
»Deine Drohungen lassen mich kalt.«
»Für mich steht alles auf dem Spiel. Alles – vergiss das nicht.«
Björn erhob sich. »Mach keine Sprüche. Gute Nacht.« Lässig schlenderte er aus dem Arbeitszimmer seines Bruders.
*
Die folgenden Tage waren für Julia eine Marter. Sie lebte in einer Spannung, die ihr körperliche Pein bereitete. Die junge Frau hatte sich vorgenommen abzuwarten, bis sich die Wogen der Erregung glätteten. Sie wollte Björn nicht in eine übereilte Entscheidung drängen.
Die Kinder hatten zum Glück bald vergessen, dass schwarze Wolken am Himmel ihrer kleinen heilen Welt aufgezogen waren. Julia gelang es, alle Streitigkeiten von Heidi und Carsten fernzuhalten, die beiden wenigstens sollten nicht leiden.
Sobald sie mit Björn einmal für ein paar Minuten allein war, begann der Abenteurer sie zu überreden, ihm zu folgen, ihren Ehemann zu verlassen. Eingedenk ihres Vorhabens, die Zeit für sich arbeiten zu lassen, wich sie Björn immer wieder aus. Sie flüchtete sich zu den Kindern.
Ihr fiel auf, dass Matthias – ganz gegen seine sonstige Art – seinen Dienst vernachlässigte. Wann immer es ihm möglich war, hielt er sich im Forsthaus auf. Er konnte seinem Bruder nicht die Tür weisen, ohne die Kinderherzen in Bedrängnis zu bringen, doch er vermied offensichtlich, Björn und Julia allzu lange allein zu lassen.
Eines Tages geschah dann das Unglück.
Björn war mit seinem Landrover davongefahren, um etwas in der Stadt zu erledigen. Schon nach einer Viertelstunde kehrte er zurück.
Julia erschrak bei seinem Anblick. Ihr Schwager hinkte und hatte blutige Schrammen im Gesicht.
»Um Himmels willen, Björn, was ist denn passiert?«
Er antwortete nicht, sondern schritt düster und drohend an ihr vorbei. Als sie sich umdrehte, sah sie, dass Matthias aus dem Försterhaus getreten war. Björn näherte sich seinem Bruder, als ob er ihn anspringen wollte.
»So«, stieß er heiser hervor, »auf diese Weise wolltest du das Problem also lösen.«
Der Forstmeister musterte seinen Bruder verständnislos.
»Ich verstehe kein Wort.«
»Du Feigling, du erbärmlicher Feigling!« Mit einem Ruck fuhr Björn herum und starrte Julia aus flackernden Augen an. »Ich fahre nichtsahnend durch den Wald. Nicht weit von hier führt die Straße steil bergab. Dahinter liegt eine Schlucht. Ich trete aufs Bremspedal – nichts …«
»Was willst du damit sagen?«, flüsterte Julia entsetzt.
»Ich will damit sagen, dass mein feiner Herr Bruder mich ins Jenseits befördern wollte!«
»Nein!«, schrie Julia auf. »Nein!«
»Meine Bremsen haben noch nie versagt. Zufall? Ich glaube nicht daran!«
»Du bist verrückt!«, keuchte die junge Frau. »Das ist gemein, ganz infam!«
»Ja«, rief er aufgebracht, »von Matthias, dem Unschuldslamm. Gemein und hinterhältig. Für das Hinterlistige hat er offenbar eine besondere Vorliebe!«
»Du bist wahnsinnig vor Eifersucht. Sonst könntest du so etwas Gemeines nie behaupten!«
»Matthias und ich hatten neulich ein Gespräch unter vier Augen. Da hat er mir gedroht und mir klipp und klar zu verstehen gegeben, dass er um dich kämpfen will – mit allen Mitteln. Dass er dabei an Mord dachte, dass er mich umbringen wollte, habe ich natürlich nicht für möglich gehalten. Jetzt weiß ich es besser.«
»Du Schuft!«, rief Julia außer sich. »Dass du deinem Bruder so etwas zutraust! So etwas könnte Matthias nicht tun – niemals!«
Sie lief zu ihrem Mann, schlang beide Arme um ihn und musterte Björn mit einem Blick voll flammender Empörung.
Ihr Schwager lief dunkelrot an. »Ich werde es beweisen. Ich lasse den Wagen untersuchen. Dann wird sich sehr schnell herausstellen, dass jemand daran herumgebastelt hat!«
»Aber nicht Matthias!««
»Woher willst du das denn so genau wissen?«, lächelte Björn spöttisch. »Das erkläre mir doch mal bitte.«
»Das