Butler Parker Staffel 3 – Kriminalroman. Günter Dönges
»Ich suche Leutnant Custer«, sagte Parker, höflich für den Gruß dankend.
»Er ist unten im Tresorraum, Mr. Parker. Wenn ich Sie vielleicht führen darf?«
»Sehr freundlich, wirklich …!« murmelte der Butler.
Zwei Mitglieder der Kriminalabteilung, die Montis Grobheit nur zu gut kannten, wunderten sich über ihren Sergeanten, der vor Freundlichkeit förmlich zerfloß. Doch Monti wußte, weshalb er Parker so behandelte. Nur zu oft schon hatte der Butler ihm einen entscheidenden Hinweis gegeben. Monti wollte auch in Zukunft nicht auf Parkers Hilfe verzichten.
Leutnant Custer wunderte sich nicht, den Butler zu sehen. Entgegen den üblichen Regeln, daß ein Privatmann einer Amtshandlung nicht beiwohnen darf, sagte auch Custer kein Wort. Ganz im Gegenteil, er nickte lächelnd und wies auf die immer noch geschlossene Panzertür.
»Schön, daß Sie da sind, Parker«, sagte er dann. »Vielleicht können Sie mit der ›Rotnase‹ mal reden. Er will nicht rauskommen.«
»Selbstverständlich werde ich mit ihm reden«, erklärte Josuah Parker. »Wenn Sie mich bitte einmal vorbeilassen wollen. Ich denke, auf die Tränengasbomben können wir verzichten.«
»Passen Sie auf, der Kerl schießt!«
Parker trat an die Tür und ließ sie spaltbreit öffnen.
»Mein Name ist Parker, Josuah Parker«, stellte der Butler sich mit normaler Stimme vor. Im Keller wurde es totenstill. Alle Mitglieder der Mordkommission hingen an Parkers Lippen. »Ich möchte Sie höflichst bitten, Ihren sinnlosen Widerstand aufzugeben.«
»Hauen Sie ab, Parker …!« brüllte die »Rotnase« aufgebracht.
»Ich bemerke mit Genugtuung, daß Sie mit meinem Namen etwas anfangen können. Sie sollten sich meine Argumente also anhören, «
»Sie können mich nicht einwickeln«, antwortete eine rauhe und aufgeregte Stimme.
»Ganz sicher nicht, denn ich halte Sie durchaus für einen halbwegs intelligenten Menschen. Sie wissen, daß die Polizei Sie auf dem Umweg durch die Entlüftung mit Tränengas ausräuchern kann. Aber wollen Sie Ihre Augen wirklich reizen und vielleicht ruinieren lassen?«
»Hauen Sie endlich ab …!«
»Sie haben noch eine zweite Möglichkeit«, fuhr Josuah Parker mit ruhiger Stimme fort. »Sie können sich natürlich umbringen, um nicht lebend in die Hand der Polizei zu fallen. Damit würden Sie dann Ihren treulosen Partnern einen erfreulichen Dienst erweisen. Ich kann dann allerdings nicht verstehen, warum Sie sich nicht gleich erschießen ließen? Das hätte das Verfahren doch nur abgekürzt.«
Hinter der Panzertür wurde es still.
»Selbstverständlich wird man Sie unter Anklage stellen«, erklärte Parker weiter. »Wenn alles gut für Sie ausgeht, dürfen Sie mit einigen Jahrzehnten Zuchthaus rechnen. Sie hören, ich mache Ihnen nichts vor, doch Sie werden leben! Wie Ihre Partner, die sich in Sicherheit befinden und sich nicht die Zeit nahmen, Sie mitzunehmen! Ich möchte jetzt jedoch sehr bitten, daß Sie die Waffe in den Vorraum werfen und herauskommen.«
Leutnant Custer schüttelte den Kopf. Nein, so hätte er mit dem Gangster niemals geredet. Parker verdarb alles. Seiner Meinung nach hätte man die »Rotnasen« herauslocken müssen, sogar unter der Zusicherung, als Kronzeuge auftreten zu dürfen. Parker hingegen nahm kein Blatt vor den Mund und zählte dem Gangster glasklar auf, was ihn vor Gericht erwartete.
Die »Rotnase« verhielt sich still. Josuah Parker griff nach dem Rad des Tresors und zog die schwere Panzertür mühelos auf. Dabei offenbarte sich ein Teil seiner Körperkraft, die er sonst nie unaufgefordert zeigte.
Parker ging sogar noch einen Schritt weiter. Ungeniert, als habe er nichts, aber auch gar nichts zu befürchten, stellte er sich auf, daß der Gangster ihn unbedingt sehen mußte.
Leutnant Custer schwitzte vor Erregung, Wenn Parker jetzt angeschossen wurde, dann trug er, Custer, die ganze Verantwortung. Der Leutnant war drauf und dran, sich auf Parker zu werfen und ihn in Sicherheit zu bringen.
In diesem Augenblick warf der Gangster seine Waffe in den Vorraum. Wenig später schob er sich vorsichtig in das Licht. Er blinzelte und hob die Arme hoch.
»Darf ich jetzt bitten, Bart und Pappnase abzunehmen?« sagte der Butler höflich. Der Gangster zögerte einige Sekunden, dann entfernte er die Vermummung.
Parkers Hoffnung, ein bekanntes Gesicht zu sehen, fiel in sich zusammen. Nein, dieser Mann hatte noch nie seinen Weg gekreuzt.
»Abführen«, kommandierte Custer erleichtert. »Alles weitere erledigen wir im Büro.«
»Sir, darf ich darauf aufmerksam machen, daß die ›Rotnasen‹ noch durchaus in der Nähe sein können?« warnte Parker den Leutnant.
»Richtig, Parker, wir werden den Mann durch den Hinterausgang wegschaffen.«.
»Damit könnten die ›Rotnasen‹ rechnen, Sir.«
»Also durch den Hauptausgang?« Custer sah den Butler verdutzt an.
»Am besten wohl auf einer Bahre, nachdem Sie hier im Keller einige Schüsse abfeuern.«
»Aha, ich verstehe!« Custer grinste. »Wer schießt schon auf einen angeblich toten Mann?«
»Die ›Rotnasen‹ wie ich mit Sicherheit unterstelle.«
»Jetzt verstehe ich Sie nicht mehr, Parker! Sie sagten doch gerade, daß wir den Gangster auf hier Bahre als angeblich Toten wegschaffen sollen …«
»Ich dachte eigentlich mehr an eine Täuschung, Sir. Man könnte einige zusammengerollte Decken mit einem Leinentuch bedecken. Den Decken werden einige Einschüsse nicht schaden. Sollte gemäß meinen Erfahrungen eine gewisse Unruhe vor der Bank entstehen, könnte dieser Mann dort leicht durch den Hinterausgang weggeschafft werden. Fallen die ersten Schüsse, werden die ›Rotnasen‹, die sich auf der Rückseite des Gebäudes aufgebaut haben, das Feld räumen.«
»Im Vergleich mit Ihnen ist ein Fuchs naiv«, grinste Leutnant Custer und gab seine Anweisungen weiter. Er war mit Parkers Vorschlägen einverstanden.
Die drei »Rotnasen« aber lauerten tatsächlich vor der Bank. Wie harmlose, neugierige Zuschauer standen sie in der Menge und warteten auf ihr Opfer. Sie waren fest entschlossen, ihren Partner zu beseitigen …!
*
Parkers Rechnung ging genau auf.
Nach einer Viertelstunde – die vereinbarte Schießerei hatte längst unten im Keller stattgefunden – erschien ein Krankenwagen. Zwei Träger schafften die Bahre in die Bankfiliale. Leutnant Custer und sein Assistent, Sergeant Monti, bauten aus einigen Decken eine Art Puppe und zogen darüber das weiße Laken. Als die beiden Träger hinaufgehen wollten, schüttelte Custer den Kopf.
»Lassen Sie mich das machen«, sagte er zu den beiden verdutzten Krankenträgern. »Ziehen Sie Ihre weißen Kittel aus, dann brauche ich noch eure Mützen.«
Custer und Sergeant Monti kostümierten sich, während Josuah Parker beifällig nickte. Der Gangster, der alle diese Vorbereitungen sah, verhielt sich vollkommen ruhig. Er wußte inzwischen, daß sein Leben gerettet werden sollte. Daß sich seine Bereitschaft, ein umfassendes Geständnis abzulegen, dadurch wesentlich steigerte, war eine erfreuliche Randerscheinung.
»Dann wollen wir mal«, sagte Custer burschikos, »hoffentlich beschränken sich die ›Rotnasen‹ darauf, nur die Bahre zu treffen.«
Er und Monti nahmen die Trage hoch und verließen den Tresorraum. Josuah Parker – jetzt nur an der angeschossenen ›Rotnase‹ interessiert, blieb unten im Keller.
»Wollen Sie warten, bis draußen die Schüsse fallen?« fragte er. »Sie sollten mir sagen, wer Ihre drei Begleiter sind.«
»So schnell gebe ich meine Karten nicht aus der Hand«, antwortete der Gangster. »Erst muß ich fest wissen, daß ich als Kronzeuge auftreten kann.«