DECEMBER PARK. Ronald Malfi
anfing, sich zu verdunkeln, ein unbestreitbares Gefühl der Beklemmung überkam. Es schien direkt aus der Umgebung selbst auszuströmen. Dieses Gefühl war vielleicht nur Einbildung, geschürt durch meine Vorstellungskraft nach all den Geschichten, die ich gehört hatte, aber wenn es mich packte, war sein Griff unglaublich fest und seine Finger gruben sich tief in mein Fleisch.
Auch die Tatsache, dass man Courtney Coles Leiche dort unten gefunden hatte, beruhigte meine Nerven kein bisschen. Ich ging davon aus, dass sie zu einem weiteren Fragment der Folklore wurde, die sich um den December Park und die nahegelegenen Wälder rankte; nur eine weitere Spukgeschichte, die man sich an frostigen Herbstnächten erzählen würde, wenn der Wind stöhnend durch die Bäume ächzte und tote Blätter über den Asphalt scharrten.
»Himmel«, schnaufte Peter neben mir. Ich war ein wenig langsamer gegangen, um seinem Tempo entgegenzukommen. »Wir hätten die Räder nehmen sollen.«
»In der Teufelsnacht wird nicht mit dem Rad gefahren«, tadelte Michael von der Spitze unseres Trosses. »Wie oft muss ich es euch noch sagen?«
»Wo kommt diese scheiß Regel überhaupt her?«, moserte Peter.
»Puh, keine Ahnung«, gestand Michael. »Steht in der Bibel, glaub ich.«
»Und was, wenn wir schnell abhauen müssen?«
»Wovor denn?«
»Vor … was weiß ich«, überlegte Peter zwar ohne Ergebnis, aber er hatte es ohne Zweifel geschafft, uns ins Grübeln zu bringen.
»Ich habe mein Butterfly-Messer dabei«, ließ Scott wissen.
Peter schien dies für einen Augenblick abzuwägen, dann sagte er: »Okay.«
Während Scotts Butterfly-Messer mich mit seinem tödlichen Aussehen stets beeindruckt hatte, schien es nun plötzlich eher harmlos und unbedeutsam in Anbetracht all dessen, was in unserem Heimatort gerade vor sich ging. Ich sagte jedoch kein Wort.
Oben am Hügel angelangt überquerten wir die Kreuzung weiter in Richtung Norden. Hier standen vereinzelt ein paar Holzplankenhäuser in der Landschaft, die bis zum Highway, der aus der Stadt führte, weitgehend aus Ackerland bestand.
Ein Wasserturm tauchte hinter einer Gruppe kahler Bäume auf und sah wie eine dieser gigantischen außerirdischen Kampfmaschinen in Der Krieg der Welten aus. Direkt hinter dem Wasserturm befand sich unser Ziel: das Ortsschild von Harting Farms, das am südlichsten Rand unserer Stadt aufgestellt war. Einst hatte es mit »Willkommen in Harting Farms« begrüßt, bevor ein heftiger Sturm in den frühen Achtzigern die ersten beiden Worte weggefegt und nur den Ortsnamen selbst am Schild zurückgelassen hatte.
Wir vier traten an das gewaltige handgeschnitzte Schild heran und blickten zu ihm empor. Aus der unmittelbaren Nähe betrachtet war es doch höher über dem Boden, als jeder von uns ursprünglich angenommen hatte – vielleicht knapp fünf Meter. Es wurde von unten durch zwei Halogenlampen angestrahlt, die schroffe Schatten um die dreidimensionalen Holzlettern, die auf der Holztafel festgeschraubt waren, warfen.
»Scheiße, ist das hoch«, staunte Michael nicht schlecht. »Sieht gar nicht so hoch aus, wenn man immer nur daran vorbeifährt, was?«
»Es ist auch wesentlich stärker beleuchtet, als ich gedacht hätte«, fügte Peter hinzu. Er versuchte immer noch, wieder zu Atem zu kommen. »Diese Lichter sind echt verdammt hell.«
»Überlegst du es dir doch noch anders?«, fragte ich Michael. Ich hatte selbst auch nicht an die Halogenstrahler gedacht. Es kam mir idiotisch vor, dort hinaufzuklettern, wenn sie so grell leuchteten. Sollte zufällig ein Auto an diesem Straßenabschnitt vorbeikommen, würden wir angestrahlt werden wie Sträflinge, die gerade aus dem Gefängnis ausbrachen.
»Auf keinen Fall.« Michael schritt um den Sockel eines der zwei wuchtigen Holzpfosten, die das Schild in die Höhe hielten. »Ich muss nur etwas umkalkulieren.«
»Na wunderbar«, brummelte Peter.
Scott stach mit seinem Butterfly-Messer in die Luft, als simulierte er eine Attacke gegen einen unsichtbaren Angreifer. Als er meinen Blick bemerkte, sah er kurz verlegen drein, lächelte aber dann und zuckte mit den Schultern, als wollte er sagen: He, was will man machen?
»Hier«, rief Michael. Er stand jetzt auf der anderen Seite des Schilds im hohen Unkraut. »Seht euch das mal an.«
Wir folgten seinem Ruf zur Rückseite des Schilds. Gewaltige Schrauben waren von hinten durch die Pfosten bis zur Rückseite des Schilds gebohrt worden. Jeder Schraubenkopf hatte fast die Größe einer Kinderfaust. Michael wies uns extra darauf hin, obwohl sie einem sofort ins Auge sprangen.
»Wir können sie als Handgriffe benutzen, wie Leitersprossen, und daran hochklettern«, meinte er. »Wenn wir ganz oben auf dem Pfosten sind, können wir dort stehen und uns über den oberen Rand des Schilds nach vorne beugen. So sind wir teilweise aus dem Blickfeld vorbeifahrender Autos und können uns bei Bedarf rasch ducken.«
»Was soll dieses ganze Wir-Gerede?«, nörgelte ich.
»Du bist so ein Weichei, Mazzone«, gab er zurück. »Du selbst musst nicht einen Finger krumm machen, okay? Wie klingt das?«
»Klingt ziemlich gut, muss ich sagen.«
Die Hände auf seine schmalen Hüften gestemmt und den für ihn viel zu großen Tropenhelm schief auf dem Kopf, tat Michael ein paar Schritte rückwärts, während er den Blick weiterhin auf die Rückseite des Schilds und die zwei Pfosten gerichtet hielt. Er kaute auf seiner Unterlippe herum und sah aus, als hätte er sich in seiner ihm eigenen Art schelmischer, brütender Nachdenklichkeit verloren.
»Wie dem auch sei«, ergriff er schließlich wieder das Wort, »es braucht im Grunde sowieso nur einen von uns für die Durchführung.«
»Ich nicht!«, bellte Peter.
»Ich nicht!«, rief ich.
»Ich nicht!«, schloss Scott sich an, gerade als Michael seinen Kiefer bewegt hatte, um sich möglicherweise selbst von seinem eigenen Plan auszunehmen.
Schadenfroh prustete Peter los und zeigte mit dem Finger auf Michael.
»Schon gut, schon gut«, fügte sich Michael schließlich, ließ seinen Tropenhelm zu Boden plumpsen und bedeutete Scott, ihm den Rucksack zu reichen. »Ich hätte es sowieso gemacht. So etwas Wichtiges kann man nicht solchen Dumpfbacken wie euch überlassen.« Er holte einen Schraubendreher aus dem Rucksack.
Im grellen Licht der Halogenstrahler sah das Werkzeug riesig und lächerlich aus – wie eine Gummirequisite aus einem Horrorfilm. Würden wir in dieser Nacht von einem gesichtslosen Kindermörder angegriffen, würde ich wohl eher den Schraubendreher zur Verteidigung wählen als Scotts Butterfly-Messer.
Michael marschierte hinüber zu einem der zwei Pfosten und stützte einen Sneaker auf den untersten Schraubenkopf. »Hebt mich hoch, Jungs.«
Peter und ich traten hinter ihn und schoben seinen knochigen Arsch an. Michael hievte sich nach oben, wobei er die Schraubenköpfe als Haltgriffe benutzte. Dann, ohne jede Vorwarnung, ließ er einen gewaltigen, deftigen Furz losdröhnen.
»Oh Gott, du dämlicher Penner!«, fluchte ich, taumelte rückwärts und verzog das Gesicht.
Peter, der noch in derselben Sekunde, als der Arschdonner losgrollte, in schallendes Gelächter ausgebrochen war, wedelte mit einer Hand vor seiner Nase herum und versuchte verzweifelt etwas zu sagen, schaffte es aber nicht. Tränen liefen ihm in Strömen über das Gesicht.
Scott steckte seinen Kopf unter dem Schild hervor und amüsierte sich köstlich über uns, dann sah er nach oben zu Michael, der auf einer Querleiste der Schildrückseite entlangkletterte.
Ich eilte herum zur Vorderseite des Schilds, als Michaels Kopf auch schon über der Oberkante zum Vorschein kam.
Er grinste wie ein Honigkuchenpferd. Im Licht der Halogenlampen trug er den wild-grimmigen Blick und ungezähmten Gesichtsausdruck des Teufels höchstpersönlich. Er streckte die Arme vornüber und tastete nach den Buchstaben unter ihm. »Die