DECEMBER PARK. Ronald Malfi
erklärte Michael. »Die Roten sind die Hotspots mit oberster Priorität. Die müssen wir uns vornehmen. Wenn danach noch genügend Zeit ist, statten wir den Grünen einen Besuch ab.«
»He! Du hast mein Haus auch mit markiert, du Arsch!«, beschwerte sich Peter entrüstet.
Michael nickte. »Das wollte ich dir noch sagen … Mir sind, was dich betrifft, das Jahr über so ein paar Dinge leicht gegen den Strich gegangen. Sorry.«
»Ich geb dir gleich ›gegen den Strich gegangen‹.« Peter leckte seinen Daumen an und rubbelte damit über eine der roten Markierungen auf der Karte.
»Okay. Dann haben wir dieses Jahr eben ein Haus weniger.« Michael zog den Rucksack zu und gab ihn Scott. »Versteck den unter deinem Umhang.«
Scott schwang sich den Rucksack auf den Rücken, während ich seinen Dracula-Umhang beiseite hielt. Als er ihn sich auf seinen Schultern zurechtgerutscht hatte, drapierte ich den Umhang darüber. »Sieht das irgendwie dämlich aus?«, erkundigte sich Scott und reckte seinen Hals, um einen Blick auf die große schwarze Ausbuchtung auf seinem Rücken zu werfen.
»Nun ja, ganz unauffällig ist es nicht«, meinte ich.
»Ach, mach dir da mal keine Gedanken drüber«, warf Michael dazwischen. »Du siehst nur wie ein Buckliger aus.«
»Ich bin aber Dracula, du Idiot.«
»Okay, dann eben Dracula … mit Buckel.«
Ich gesellte mich zu Peter, der immer noch eingehend die Karte studierte, und fragte in die Runde: »Wo fangen wir an?«
Michael klatschte Peters Hand beiseite und fuhr mit dem Finger die Spur roter X-Markierungen entlang der Cypress Avenue nach. Es war das Wohngebiet hinter dem Gelände des Generous Superstore. »Wir legen hier los und arbeiten uns nach Norden vor, sodass wir im Bogen auf diesem Weg hier zurückkommen, uns dann südlich in Richtung Stadtrand weiterbewegen und die Nacht dort zum Abschluss bringen.« Sein Finger kam am Rand von Harting Farms zum Stehen, wo auf der Karte unsere Stadt durch einen breiten Streifen unbebauter Fläche von Glenrock getrennt war. »Wie klingt das?«
»Da ist eine ordentliche Strecke zurückzulegen«, stellte ich fest. »Wir sollten vielleicht die Räder nehmen.«
»Kommt nicht in die Tüte!«, beanstandete Michael. »Keine Fahrräder in der Teufelsnacht. Wir gehen zu Fuß. Wir sind schon immer zu Fuß gegangen. Das ist Tradition. Außerdem, die Zeit, die es beanspruchen würde, um nach Hause zurückzugehen und unsere Räder zu holen …«
»Okay, okay«, gab ich nach. »Dann sollten wir aber auch endlich mal los.«
»Genau«, pflichtete Peter mir bei und zog sich seine Batman-Maske übers Gesicht.
Michael klatschte in die Hände und verpasste uns sein strahlendstes Lächeln. »Also dann! Lasst uns abschwirren, Jungs!«
Wie Ninjas glitten wir vier in die Dunkelheit der unmittelbaren Nachbarschaft.
***
In dieser Nacht bearbeiteten meine Freunde und ich alle rot gekennzeichneten und sogar ein paar grün markierte Häuser von Michaels Karte mit Klopapier, bewarfen einige Autos, welche die Straße entlangrasten, mit Eiern und ließen von der Brücke in der Solomon’s Bend Road Wasserbomben auf nichtsahnende Passanten regnen.
Eine Handvoll unternehmungslustiger Erwachsener schickte sich zu ihren traditionellen Gegenangriffen an. Teddy Borus Dad schleuderte von seinem Schlafzimmerfenster aus Eier auf junge Unruhestifter. Der alte Mr. Vandenberg, der einsiedlerische Desperado, der in einem der heruntergekommenen Zweifamilienhäuser in der Shore Acre Road wohnte, sprang hinter einem Ilexbusch hervor, eingewickelt in ein weißes Bettlaken und mit einer Frankensteinmaske aus Gummi im Gesicht.
»Wenn sie nicht so weit abseits unserer Route läge, würde ich heut Nacht nur zu gern der Keener-Farm einen kleinen Besuch abstatten«, intrigierte Michael, während er ein Ei über die Hecke pfefferte, die das Grundstück vor dem Haus der McGees in der Prosper Street säumte. Die Mädchen der McGees waren pummelige Sommersprossengesichter mit stechend grünen Katzenaugen und dem ganzen Mund voll glänzender Zahnspangen. Alle drei hatten Michaels Einladung zum Homecoming-Ball ausgeschlagen und sich somit unfreiwillig einen Platz auf der Liste gesichert.
»Wenn dich der alte Keener erwischt, bläst er dich mit ner Schrotflinte von seinem Hof runter«, warnte Scott.
»Und sein Sohn ist sogar noch durchgeknallter«, fügte Peter hinzu.
Nathan Keener war der Jüngste dreier Brüder und ohne Zweifel auch der Gestörteste. Seine Familie wohnte am Kap auf einem Trakt Farmland, von welchem aus man den Magothy River überblicken konnte. Das Haus sah ziemlich beschissen aus und im unkrautverwucherten Vorgarten standen verrostete, auf Betonklötze gestützte Schrottkarren. An der langen Einfahrt entlang waren Vogelscheuchen postiert, ihre Kleidung und Kartoffelsack-Gesichter von Schrotkugeln durchsiebt.
Nathan Keener hatte Michael dieses Jahr nichts Spezielles angetan, abgesehen davon, dass er uns allen schlicht und ergreifend jedes Mal das Leben schwer machte, wenn wir das Pech hatten, seinen Weg zu kreuzen. So erging es aber nicht nur uns – der Hundesohn schikanierte jeden Jugendlichen, der ihm zufällig vor die Nase lief. Jede Stadt hat ihren Drangsalierer, und Nathan Keener war unserer. Während er zwar keinem meiner Freunde wohlgesinnt war, wusste ich aber, dass er mich sogar noch ein wenig mehr hasste als die anderen, weil mein Vater ein Cop war. Typen wie die Keeners wachsen mit einem angeborenen, tiefsitzenden Misstrauen gegenüber Gesetzeshütern auf, genau, wie manche Hunderassen nach Generationen der Misshandlung Misstrauen gegenüber Menschen entwickeln.
»Abgesehen davon«, fuhr Peter fort, »hast du doch gar nicht die Eier, um Keener eins auszuwischen.«
Michael blickte finster drein, dann schleuderte er ein weiteres Ei gegen das Haus der McGees. Es zerschellte an der Aluminiumverkleidung. »Ich hab Eier wie Melonen, Arschloch.«
Peter und Scott prusteten beide laut los, als plötzlich Lichter auf der Veranda angingen. Wir warfen uns alle blitzartig hinter der Hecke nieder. Durch die Zweige konnte ich ausmachen, wie jemand aus einem erleuchteten Hauseingang spähte und die Sauerei auf der Veranda begutachtete.
Ein Mann rief laut heraus: »Ich kann euch sehen.«
Doch wir wussten, dass es nur ein Bluff war. Genau dasselbe sagten alle Erwachsenen, in der festen Annahme, sie könnten uns mit diesem Trick dazu bewegen, uns zu erkennen zu geben. Auf so etwas fielen wir grundsätzlich nicht herein.
Einen Augenblick später ging die Tür auch schon wieder zu.
Dennoch blieben wir weiterhin noch ein wenig in unserem Versteck hinter der Hecke, ohne das leiseste Geräusch von uns zu geben. Die Luft war so kalt, dass unser Atem zu kleinen Nebelwolken kondensierte. Irgendwo in der Ferne ertönte das schwermütige Heulen eines einsamen Hundes.
»Okay«, flüsterte Michael, nachdem genug Zeit verstrichen war. Er wühlte im Rucksack auf Scotts Rücken herum, holte weitere Eier hervor und verteilte sie an uns alle. »Jetzt machen wir Eierschaum«, kündigte er feierlich an und fischte eine der Dosen Rasierschaum aus dem Rucksack.
Wir sprühten die Eier mit Rasierschaum ein, Michael zählte bis drei und wir sprangen alle gleichzeitig auf und feuerten unsere Projektile gegen das Haus der McGees. Vier deutlich hörbare Explosionen – Plopp! Plopp! Plopp! Plopp! – schallten durch die Nacht und hinterließen immense Schaumwolken an der Hausverkleidung.
Dieses Mal vergingen keine zwei Sekunden, bis Mr. McGees massive, dunkle Silhouette aus der Tür stürmte und die Verandastufen hinunterjagte.
Niemand von uns gab einen Ton von sich; grinsend machten wir uns vom Acker.
»Ihr miesen kleinen Mistkerle!«, rief Mr. McGee uns nach. »Ich weiß, wo ihr wohnt! Ich kenne eure Eltern!«
Wir liefen erst langsamer, nachdem Scott, der einen Blick über seine Schulter gewagt hatte, uns Entwarnung gab, dass wir nicht länger verfolgt wurden. Immer noch am Kichern gingen wir weiter die Straße entlang, während wir versuchten, wieder zu Atem zu kommen. Michael