DECEMBER PARK. Ronald Malfi

DECEMBER PARK - Ronald  Malfi


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ändert natürlich alles«, meinte Michael, als Peter am Ende der Geschichte angelangt war. »Nun, da sie eine Leiche gefunden haben, werden sie nach einem Mörder suchen. Jetzt geht es nicht mehr nur um verschwundene Jugendliche.«

      »Die Leiche hat mit den Verschwundenen aber vielleicht überhaupt nichts zu tun«, meinte ich. Das wollte ich nur allzu gerne glauben.

      Michael nickte, dann zuckte er mit den Schultern.

      Mir fiel auf, dass wir wegen des toten Mädchens Stillschweigen bewahrt hatten, bis wir vier alleine waren – als ob vor den anderen darüber zu sprechen bedeutet hätte, zu beflecken, was wir gesehen hatten.

      Michael nahm die Dose Rootbeer von Scott, kippte sich den letzten Rest hinunter und stieß einen imposanten Rülpser aus. »Ich frier mir hier draußen noch die Eier ab!«, sagte er und stand auf.

      ***

      Zehn Minuten später fegten Peter und ich in Juden-Eds Pick-up durch die Stadt zurück, lachten und buhten bei zu lauter Musik gemeinsam über seine dämlichen Elefantenwitze.

      Als wir bei meinem Haus ankamen, bemerkte ich das Zivilfahrzeug meines Vaters in der Einfahrt.

      »Scheiße. Ich dachte, er würde die ganze Nacht nicht da sein«, fluchte ich und drehte die Lautstärke der Kassette herunter. Ich warf einen beunruhigten Blick auf die Digitaluhranzeige im Armaturenbrett. Es war 22:36 Uhr, was bedeutete, dass ich schon über eineinhalb Stunden über mein Limit hinaus war. »Licht!«

      Peter stellte die Scheinwerfer und auch den Motor ab, und ließ den Wagen im Leerlauf an den Randstein rollen. Falls mein Vater schon schlief, wollte ich ihn unter keinen Umständen wecken.

      »Bekommst du Ärger?«, fragte Peter.

      »Vermutlich.«

      »Willst du lieber mit zu mir?«

      Mein Blick wanderte wachsam über das Haus und registrierte die dunklen Fenster und die schwelende Stille, die es umgab. War es möglich, dass er nach Hause gekommen und direkt ins Bett gegangen war? Einer Standpauke am Morgen fühlte ich mich im Gegensatz zu jetzt weitaus besser gewappnet. »Nein«, antwortete ich schließlich, da ich erfahrungsgemäß wusste, es hätte mehr Schaden als Nutzen, wenn ich mich davor drückte, überhaupt erst nach Hause zu kommen.

      »Sicher?«

      Ich nickte.

      »Okay. Mach’s gut, Mann. Cool, dass du dabei warst.«

      »Ja«, erwiderte ich nur, sprang aus dem Wagen und ging zum Heck, wo ich die Ladeklappe öffnete und mein Rad ablud.

      Ich nickte Peter zum Abschied zu, als er den Motor startete. Mit noch ausgeschalteten Scheinwerfern wendete er den Pick-up und fuhr zügig davon.

      Fröstelnd vor Kälte schob ich mein Fahrrad zur Seite unseres Hauses, wo ich es wieder in der üppigen Efeuwand vergrub, und beschloss, über die hintere Veranda ins Haus zu gehen, statt den Vordereingang zu nehmen – was wesentlich leiser sein würde. So hatte ich es bereits des Öfteren gemacht.

      Ich schlich ums Haus herum und stieg die Stufen zur Veranda hinauf. Wie erwartet knarzten sie nur schwach unter meinem Gewicht – angespannt hatte ich jeden Tritt vorsorglich vorsichtig aufgesetzt, falls dieses Mal wider Erwarten das Gegenteil eingetreten wäre – doch ihr Protest war nicht laut genug, um irgendjemanden im Haus aufzuwecken. Ich tastete nach meinem Schlüsselbund, und als ich gerade den passenden Schlüssel in das Bolzenschloss der Hintertür steckte, hörte ich das Räuspern meines Vaters.

      Vor Schreck hätte ich beinahe meine Schlüssel fallen lassen. Instinktiv trat ich einen Schritt zurück und mir stockte der Atem. Dann erstarrte ich unter der Schwärze des Verandavordachs und versuchte, meine Augen an die dunklen Schemen um mich herum zu gewöhnen. Schließlich entdeckte ich meinen Vater in einem der Korbsessel, so lautlos, dass er genauso gut ein Teil meiner Einbildung hätte gewesen sein können.

      »Dad«, quälte ich mir hervor und klang wohl ziemlich erbärmlich dabei, »ich hab dich gar nicht bemerkt.«

      Er sagte kein Wort.

      Für den Bruchteil einer Sekunde wäre ich beinahe davon überzeugt gewesen, dass ich alleine hier draußen stand, mit den Schatten sprach und mir meine Fantasie am Ende doch nur einen Streich spielte. Dann registrierte ich jedoch seine Bewegung in einem der Korbsessel und hörte ihn auf seine entkräftete, nachdenkliche Art seufzen.

      »Grandma meinte, du wurdest heute Abend ausgerufen«, fuhr ich fort – im Grunde nur, weil mir nichts Besseres einfiel. Auch konnte ich sein Schweigen nicht ertragen. Plötzlich wurde mir aber klar, dass es wie ein Geständnis klang, und hielt sofort wieder meinen Mund, bevor ich mir mein Grab noch tiefer schaufelte.

      »Wo warst du?«

      »Nur mit den Jungs unterwegs«, bemühte ich mich verzweifelt, lässig zu klingen. Ich roch Zigarettenrauch an mir – ich roch sogar nach nichts anderem außer Zigarettenrauch. Mein Vater bemerkte es sicher auch. »Peter hat seinen Führerschein bestanden, also hat er mich im Wagen seines Stiefvaters nach Hause gebracht.«

      Mein Vater gab ein flüchtiges Brummen von sich.

      »Tut mir leid, dass ich zu spät bin«, platzte es aus mir heraus. »Ich hab völlig die Zeit vergessen.«

      »Setz dich einen Moment«, bat er mich.

      Ich ging über die Veranda zu ihm – mir des Rauchgestanks nur allzu schmerzlich bewusst, der von meiner Haut und Kleidung ausströmte – und setzte mich ihm direkt gegenüber in einen der anderen Korbsessel. Im bläulichen Mondlicht konnte ich die wettergegerbten und harten Züge erkennen, die miteinander verschmolzen und das Gesicht meines Vaters formten. Es war ein Geflecht aus Falten, und die beiden dunklen Höhlen unter seiner imposanten Stirn ließen nur erahnen, wo seine Augen lagen. Ich war schockiert, wie alt er aussah.

      Er trug noch Hemd und Krawatte von der Arbeit und das Mondlicht reflektierte von der Krawattenklammer und der goldenen Dienstmarke an seinem Gürtel. Auf diesen Anblick hin, ließ ich beschämt den Kopf hängen und faltete meine Hände zwischen den Knien. Ich kam mir nie kindischer vor als in Momenten wie diesen, wenn ich meinem Vater gegenübertreten musste.

      »Wo warst du?«, fragte er beiläufig und gelassen.

      »Mit den Jungs unterwegs, wie ich gesagt habe.«

      »Genauer.«

      »Die Shallows.« Es entfuhr mir, noch ehe ich mit einer passenden Lüge aufwarten konnte. Mein Dad sah es äußerst ungern, wenn ich mich zu später Stunde dort aufhielt, denn er wusste, dass sich Jugendliche dort oft betranken, Gras rauchten und Sex hatten.

      »Ich habe gehört, du und deine Freunde, ihr wart heute vor Ort, als man das Mädchen aus dem Wald gebracht hat.«

      »Ja«, bestätigte ich und fragte mich, ob meine Großmutter oder einer der Cops es ihm gegenüber erwähnt hatte. Wie es letzten Endes auch gewesen sein mochte und aus welchem Grund auch immer – ich hatte ein schlechtes Gewissen. »Tut mir leid, dass du das mit ansehen musstest«, sagte er.

      »Wurde sie … schon identifiziert? Ich meine, weißt du, wer … wer sie ist?«

      »Courtney Cole.«

      Der Name sagte mir nichts. Trotzdem: Die Tatsache, einen Namen zu der Leiche zu haben, die ich gesehen hatte, machte die grausame Realität nur noch allzu deutlicher. Seit dem Nachmittag hatten mich ihr zerschlagenes Gesicht und eingedrückter Schädel verfolgt. »War sie auch auf der Stanton?«

      »Nein, sie wohnte in den Palisades. Sie ging zur Girls' Holy Cross. Sie war fünfzehn. Du wirst sie wahrscheinlich nicht gekannt haben.«

      Die Palisades waren der südlichste Teil von Harting Farms. Meine Großmutter hatte mich als Kind immer zum Spielen dorthin gebracht und mein vages Erinnerungsvermögen daran beschwor ein Bild von tauglitzernden Wiesen und prächtigen Tamarack-Lärchen wieder herauf, bei denen Schwäne ihre Bahnen durch die spiegelgleiche Oberfläche eines herrlichen, künstlich angelegten Weihers zogen. Der Gedanke daran, dass jemand aus den Palisades – noch dazu jemand


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