DECEMBER PARK. Ronald Malfi

DECEMBER PARK - Ronald  Malfi


Скачать книгу
dann fiel dir ein, es wäre sicher ein Heidenspaß, mich zu Tode zu erschrecken und dabei fast noch über den Haufen zu fahren.«

      Peter lachte.

      »Mal abgesehen davon«, bemerkte ich, »war ich mir nicht einmal sicher, ob ich überhaupt kommen würde, aber Dad hat einen Anruf bekommen, weil er bei der Arbeit gebraucht wurde.«

      »Wegen dieses Mädchens?«, fragte er.

      »Weiß nicht. Vielleicht … Wahrscheinlich.«

      »Keine Sorge, ich kann dich rechtzeitig wieder zu Hause absetzen.«

      »Alles klar.«

      »Mein Stiefvater hat mich völlig unverhohlen gefragt, ob dein Dad dein Ausgehlimit heruntergeschraubt hat«, berichtete Peter. »Er war der Meinung, dass dein Dad wohl eine ziemlich gute Vorstellung wegen der ganzen Sache mit den verschwundenen Kindern haben muss, denn wenn er dir den Ausgeh-Gürtel enger schnallt, dann doch wahrscheinlich nicht ohne triftigen Grund.«

      »Was hast du darauf geantwortet?«

      »Dass sich nichts geändert hat. Hoffe, du nimmst mir die Lüge nicht übel.«

      »Kein Ding.«

      »Dämlicher Juden-Ed«, schimpfte Peter und rutschte sich im Fahrersitz zurecht. Er sah hinter dem Lenkrad völlig fehl am Platz aus und ich fragte mich, ob ich mir alles nur einbildete. »Ständig mischt er sich in jeden Scheiß ein, der ihn überhaupt nichts angeht.«

      Peter nannte seinen Stiefvater permanent Juden-Ed, wobei er ihm das aber nie ins Gesicht sagte; und obwohl er ständig über seinen Stiefvater herzog, glaubte ich jedoch nicht, dass Peter ihn ernsthaft nicht leiden konnte. Ich kannte Mr. Blum ziemlich gut und fand, dass er ein recht anständiger Kerl war. Peters leiblicher Vater war bei der Familie geblieben, bis sein Sohn etwa drei Jahre alt war. Weder Peter noch seine Mutter hatten seither noch einmal etwas von dem Mann gehört. Peter wusste nicht einmal, ob er überhaupt noch am Leben war.

      Als ich so über Peters Stiefvater sinnierte, musste ich auch an meinen eigenen Vater denken. Ich erinnerte mich zurück, wie er vergangenen Sommer Benzin über ein Hornissennest gegossen und es in Brand gesteckt hatte. Ich hatte ihn durch die Küchenfenster dabei beobachtet. Winzige, glühende Funken stiegen in die Höhe, und obwohl ich vermutete, dass es nur glimmende Asche- und Laubteilchen gewesen waren, nahm ich an, dass es genauso gut die brennenden Hornissen selbst gewesen sein konnten, verzweifelt, dem flammenden Tod zu entkommen.

      Auch musste ich daran denken, wie ich mich an gewissen Tagen fühlte, von der Schule nach Hause zu kommen, den kackbraunen Wagen meines Vaters in der Einfahrt vorzufinden und zu wissen, dass wir ein paar unangenehme Stunden zusammen im Haus verbringen würden, bevor er wieder zur Nachtschicht aufbrach. Schon komisch, welche Dinge der Verstand zu den unmöglichsten Zeitpunkten und ohne jeglichen Grund heraufbeschwor.

      »Er ist doch gar nicht so übel«, sagte ich schließlich und meinte damit Peters Stiefvater. »Immerhin hat er dich seinen Wagen nehmen lassen.«

      Peter zuckte mit den Schultern. »Schon möglich.«

      ***

      Weiße, grasbewachsene Dünen erstreckten sich zwischen der Küstenstraße und den Shallows. Als wir näherkamen, entdeckte ich einige Autos, die teilweise unter den sich bedrohlich schwarz abzeichnenden Bäumen auf der anderen Seite der Dünen verborgen waren. Der Mond schien nur schwach und der Nebel war zu dicht, sodass die Welt um uns herum in stockdunkle Nacht getaucht blieb.

      Peter schaltete die Scheinwerfer aus und bremste den Pick-up herunter, bis wir nur noch mit etwa zehn Kilometern pro Stunde dahinkrochen. Wir parkten am Ende der Autoschlange unter den mächtigen schwarzen Fächern der Kiefernzweige, die mit aberhunderten Zapfen übersät waren. Draußen trug die dünne Herbstluft den starken und herben Geruch der Bucht zu uns herüber.

      »Weißt du«, ergriff Peter das Wort, als er aus dem Wagen stieg, »am besten gefällt es mir hier im Herbst, wenn es allmählich kälter wird.«

      Während sich die Shallows in den Herbstmonaten ohne Frage von ihrer schönsten Seite zeigten, trafen wir uns hier aber auch, um jedes Jahr zum Vierten Juli das Feiertagsfeuerwerk aus Annapolis über dem Wasser anzusehen oder uns in der brütenden Hitze eines Augustnachmittags beim Schwimmen abzukühlen.

      Wir wanderten die Dünen hinunter zum Strand. Mir fiel eine milchige Lichtsäule ins Auge, die von einem der vielen Docks aufstieg, und, etwas näher an uns, das Flackern einer einzelnen Tiki-Fackel, deren Flamme beinahe lebendig schien. Entlang der Küste konnte man den cremefarbenen Schein in den Fenstern der Holzplankenhäuschen sehen. Gelegentlich huschte eine dunkle Silhouette hinter den Fenstern vorbei, doch die Bewohner schenkten uns keine Beachtung. Von irgendwoher ertönte das einsame Heulen eines Hundes über den Strand.

      Aus etwa fünftausend Kilometern Entfernung hatte es die Seattle-Grunge-Szene geschafft, zu meinem Freundeskreis vorzudringen; eine Gruppe karierter Flanellhemden und Parkas hatte sich im Halbkreis im nassen Sand nahe dem Wasser versammelt. Ein paar meiner Freunde trugen sogar abgewetzte Stahlkappenstiefel, die sie aus den alten Kleiderschränken ihrer Väter ausgegraben hatten.

      Als Peter und ich ankamen, versuchten sie gerade mit nur mäßigem Erfolg, ein Lagerfeuer in Gang zu bringen. Während ich diese zirka fünfzehn Bekanntschaften als meine Freunde betrachtete, war ich jedoch mit keinem von ihnen jemals herumgehangen, so wie ich es mit Peter Galloway, Scott Steeple und Michael Sugarland tat. Die anderen waren gut, um auf Partys den Hintergrund zu füllen und zusammen ein paar Bierchen in jemandes Garage zu trinken, aber sie gehörten nicht zu meinen engen Freunden. Das war mir aber recht so. Ich zog meinen kleinen Kreis enger Freunde vor.

      »Galloway! Mazzone!«, schallte es laut aus der Reihe der Feuerteufel.

      Eine Dose Mountain Dew flog auf meinen Kopf zu. Ich schaffte es, sie zu fangen, doch wohl mehr aus erschrockenem Reflex als aus Können.

      »Ihr seht aus wie ne Horde Höhlenmenschen«, rief Peter belustigt und nahm sich eine Dose Limonade aus einer Kühlbox, die halb im Sand vergraben war. »Das Brennholz ist viel zu nass zum Anfeuern.«

      Ich sah mich um. »Wo steckt Michael?«

      »Draußen auf dem Dock«, sagte Brian Dassick und nickte mit dem Kinn in Richtung des klapprigen alten Docks, das ins Wasser ragte. Er kniete auf dem Boden und stocherte mit einem langen Stock im feuchten Brennholz herum. »Hab gehört, du hast dir ne ganz schöne Scheiße mit Langhalsnik eingebrockt, Mazzone.«

      Ich stellte mich dumm: »Ach ja?«

      »Sollst ihn über nen Tisch geschubst haben, als er herumging und ne Hausarbeit einsammeln wollte.«

      »Wer hat dir denn das erzählt?«

      »Spielt das ne Rolle? Es stimmt, oder?«

      »Nicht ganz.«

      Brian runzelte skeptisch die Stirn. »Was soll das denn heißen? Entweder es ist passiert oder nicht.«

      Ich sah ihm beim Herumstochern im aufgestapelten Brennholz zu, aus welchem nur ein paar magere Rauchfäden emporschlängelten. »Ist es nicht. Die Leute übertreiben gerne. Ich habe die Aufgabe schlicht und einfach nicht erledigt, das ist alles.«

      »Und deswegen hat er dich gleich hochkantig aus der Klasse geworfen?«

      Nach der Auseinandersetzung hatten mein Vertrauenslehrer, der Schulleiter und mein Vater entschieden, dass ich von Naczalniks Kurs in den von Mr. Mattingly versetzt werden sollte. Mattingly war neu in Stanton und bei ihm musste ich mir erst noch einen Namen machen. »Wie kommst du überhaupt darauf, dass ich rausgeflogen bin? Vielleicht wollte ich einfach nur einen kleinen Tapetenwechsel.«

      Brian gluckste: »Ja sicher, alles klar.«

      Peter räumte mit dem Fuß etwas Sand über das mau kokelnde Lagerfeuer. »Brian, ich hab dir doch gesagt, das Holz ist zu nass.«

      Ich drückte meine Dose auf und schlenderte runter ans Wasser. Das schimmernde Schwarz der Bucht breitete sich gähnend vor mir aus. Nebel hatte sich auf das Wasser gelegt, was es unmöglich machte, die Lichter


Скачать книгу