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her«, kehrte Michael nun wieder zu seiner Fistelstimme zurück, die er von Natur aus hatte. Er beugte sich nach vorne und packte den Rand des klaffenden Loches am Bauch der Keramikkuh, wo vorher das Euter einmal gesessen hatte. »Das Ding wird mit Wasser volllaufen und untergehen wie ein Stein.«

      »Versunkener Schatz«, fügte Jonathan Lambeth von seinem Platz neben Sasha auf dem Pfeiler aus zu.

      »Oh, heiligste aller Keramikkühe«, intonierte Michael. »Oh, Spenderin blauer und güldener Milch und Erzeugerin von Pappmaché-Kuhfladen. Wie selbstlos von dir, dich in dieser bedeutungsschwangeren Nacht zu opfern, um die nichtsnutzige Jugend dieser traurigen kleinen Strandgemeinschaft zu wahren …«

      Hätte Michael Sugarland nicht eine kaum übertreffbare Verachtung gegen Stantons Schülerschaft gehegt, hätte die Keramikkuh ihren Auftritt auf dem Homecoming-Festwagen in der Parade am Montag gehabt, kurz bevor Stantons Football-Team auf dem Feld eingelaufen wäre. Michael hatte jedoch seinen Charme spielen lassen, um eilig mit Mitgliedern des Homecoming-Komitees eine Freundschaft zu erzwingen, die es ihm ermöglichte, sich einen Schlüssel zu genau der Garage zu sichern, in welcher der Festwagen untergebracht war. Er hatte sich die Hilfe der Lambeth-Zwillinge gesichert, um in die Garage einzubrechen und die Stanton-Kuh zu kidnappen. Sie hatten das gigantische Keramikrind mit Spanngurten auf dem Dach von Mrs. Lambeths Minivan festgebunden und waren mit offenen Fenstern, johlend und brüllend und Led Zeppelin auf dem Kassettendeck schmetternd auf den Hinterstraßen von Harting Farms herumgefahren.

      »Also, hier ist der Deal«, sprach Michael und wandte sich der hässlichen Keramikkuh zu. Seine Lippen wurden langsam lila und Gänsehaut zeichnete seine Unterarme. »Ich bin heute Morgen aufgewacht mit der Erkenntnis, dass mein großer Moment erst noch bevorsteht. Ich bin nichts weiter als euer jämmerlicher Durchschnittsversager.«

      »Das hätte ich dir gleich sagen können und dir das Kopfzerbrechen erspart«, stichelte Peter.

      »Ich meine«, fuhr Michael unbeirrt fort, »ich hätte fast in mein Schälchen Frühstücksflocken geflennt. Doch dann kam es mir – meine Bestimmung, mein Los im Leben, ist es nicht, wahre Größe zu erlangen, sondern es den arroganten Mistkerlen um mich herum genauso jämmerlich gehen zu lassen.«

      Jason Lambeth trat zu uns und verteilte eine Runde frisches Bier.

       Michael nahm keines. Er trank nicht, rauchte nicht, versuchte nicht, leichtsinnige Mitschülerinnen zu überreden, sich ihrer BHs zu entledigen. Er war so, wie wir alle gern sein wollten, wenngleich keiner von uns bereit war, dafür dem Alkohol und den Mädchen zu entsagen. Wir bewunderten ihn für seine Überzeugungen, auch wenn wir nicht vollends dazu stehen konnten.

      Stattdessen hatten wir unsere helle Freude an seinen schelmischen Intrigen gegen die Allgemeinheit, die keinen von uns akzeptierte – weil wir Musik mochten, statt Football, und Gitarre spielten, statt Sport zu treiben. Genau das machte ihn zu Sugarland, dem Mann für alle Fälle: Seine Begabung, uns allen eine willkommene Abwechslung von unserem sonst so monotonen Alltag zu verschaffen. Aus diesem Grund waren wir heute Nacht hier, um die Homecoming-Kuh zu versenken.

      Inzwischen hatte sich die Truppe Flanellhemden vom Strand zu uns gesellt. Sie versammelten sich um Sasha, während er auf seiner Akustikgitarre spielte, und die wenigen Mädchen aus der Gruppe wanderten ans Ende des Docks, begutachten die Keramikkuh und tuschelten miteinander.

      »Oh«, sagte eines der Mädchen entzückt, »die ist ja süß!«

      »Ist es ein Bulle?«, meinte eine andere.

      Michael klatschte um Aufmerksamkeit, dann winkte er Peter und mich zu sich. Scott war bereits bei ihm. Er wollte, dass wir alle drei, seine besten Freunde, ihm dabei halfen, die Kuh ins Wasser zu befördern.

      Ich legte eine Hand gegen die Flanke der künstlichen Kuh und musste an vergangene Herbste denken, an denen ich die richtigen Kühe draußen auf der Butterfield-Farm gefüttert hatte, ihre Körperwärme auf meine Handflächen abstrahlen fühlte und den scharfen, beißenden Gestank von Kuhscheiße gerochen hatte.

      Um der ganzen Situation einen spannenden Soundtrack zu verpassen, fing Sasha von seinem erhöhten Sitz auf dem Dockpfeiler aus an, eine Duellmelodie wie aus einem Westernfilm zu spielen – eine abwechselnde Akkordfolge aus E-Dur/F-Dur.

      Einige lachten auf.

      Michael quetschte sich zwischen Peter und mich und legte beide Hände auf die Flanke der Keramikkuh. Er ließ seinen Kopf seitlich auf Peters Schulter plumpsen, dann sah er zu mir. Sein Lachen war so strahlend wie der Mond, und für einen Augenblick sah er aus wie ein völlig Wahnsinniger. »Ich will, dass du das hier nie vergisst, Mazzone. Ich will, dass du dich irgendwann an heute als einen der besten Tage deines Lebens zurückerinnerst. Versprich mir das.«

      »Versprochen«, schwor ich grinsend.

      Sasha legte mit einem E-Akkord los.

      Der Rest von uns stampfte im Takt mit den Füßen.

      »Eins!«, rief Michael und der Rest der Meute wiederholte es im Chor. »Zwei!« Mir rollten sich förmlich die Zehennägel in den Schuhen auf. »Drei!«

      Wir schoben kräftig, und die Keramikkuh kippte schließlich über die Dockkante. Sie schlug mit der Flanke auf der Wasseroberfläche auf und erzeugte einen größeren und lauteren Platscher, als ich erwartet hatte.

      Die beiden Mädchen neben mir klatschten jubelnd Beifall.

      »Yeah!«, grölte Michael und stieß eine Faust in die Luft. Er umfasste einen der Pfeiler mit beiden Händen und schwang sich an ihm im Kreis um die Kante des Docks herum. Einer seiner Füße baumelte gefährlich in der Luft, und für den Bruchteil einer Sekunde befürchtete ich, Michael würde ins Wasser segeln. »Yeah! Yeah! Yeah!«.

      Von der Längsseite des Docks aus verfolgte ich, wie in die gewaltige Keramikkuh Wasser durch die klaffende Wunde eindrang, wo zuvor noch ihr Euter gewesen war. Sie wurde schwerer und drehte sich auf den Rücken, sodass ihre glänzenden Plastikbeine kerzengerade aus dem Wasser ragten. Das löste noch mehr Gelächter und weiteren Applaus in unserer Truppe aus.

      Michael schwang seinen baumelnden Fuß in Richtung der Kuh und trat ihr auf den Bauch, worauf sie wie ein überdimensionaler Korken im Wasser auf und ab schwappte. »Kalt!«, quiekte er lachend. »Das Wasser ist arschkalt.«

      Peter und Scott zogen ihn über die Seite des Docks wieder herein, während der Rest von uns zusah, wie die Kuh langsam in der Chesapeake Bay versank.

      Es schien eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis sie von der Bildfläche verschwand und komplett untertauchte. Als es dann so weit war, lief noch einmal Beifall durch unsere Gruppe und jemand spritzte Bier in die Luft.

      Eines der Mädchen packte mich und zog mich in eine feste Umarmung. Ihr Haar roch nach einer Mischung aus Zigarettenrauch und Zimt. Ich kannte sie nicht.

      Immer noch auf dem Pfeiler sitzend gab Sasha nun All Along the Watchtower zum Besten. Die wenigen, die den Liedtext kannten, stimmten mit ein.

      Ich schaute ihm vom Ende des Docks aus zu und fühlte mich plötzlich klamm und kalt und etwas außer Atem vor Aufregung. Mein Herz klopfte wie wild.

      Michael schlang mir seinen Arm um die Schulter und einen verrückten Moment lang dachte ich, er würde mir jede Sekunde einen feuchten Kuss auf die Wange schmatzen. Das hätte ihm zumindest ähnlich gesehen. Stattdessen sah er mich nur mit seinen eindringlichen blauen Augen an, in denen auch ein wenig Wahnsinn lag. »Weißt du, Angelo, eines Tages werde ich mich verlieben.«

      »Nie im Leben! Verlieb dich bloß nicht, du Mistkerl! Bitte verschone uns!«

      Wir steckten im Adrenalinrausch, machten Lärm und waren völlig überdreht, und niemand wusste eigentlich so recht warum, als sich der Abend schließlich dem Ende neigte. Keine Stunde später, nachdem sich der Rest unserer Freunde verabschiedet hatte, saßen wir vier am Ende des Docks, ließen unsere Füße nur wenige Zentimeter über dem pechschwarzen Wasser baumeln und eine Dose Rootbeer reihum gehen.

      Peter erzählte Michael von dem toten Mädchen und wie wir die Cops dabei beobachtet


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