DECEMBER PARK. Ronald Malfi

DECEMBER PARK - Ronald  Malfi


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und Leichtathletiktrophäen standen in seinen Regalen, seine Plattenalben und Musikkassetten waren fein säuberlich in einem alten Überseekoffer am Fußende seines Bettes verstaut. Seine College-Jacken und Windbreaker, in die sein Name auf der Brust eingestickt war, seine Jeans, Stoffhosen, Shirts und Trikothemden, seine Football-Ausrüstung und Laufschuhe waren auch noch da.

      Meistens gelang es mir, ohne einen Gedanken an Charles durch den Tag zu kommen. Das mag vielleicht gefühlskalt klingen. Ich weiß nicht, ob es das ist oder nicht, aber es ist die Wahrheit. Seit ich jedoch hatte mit ansehen müssen, wie Courtney Cole aus dem Wald getragen wurde, war es Charles’ Gesicht, das mich des Nachts verfolgte. Charles’ eingeschlagener Schädel unter dem weißen Tuch auf der Trage.

      Nach einer Weile begann ich, mich vor der Nacht zu fürchten. Es half mir auch nicht sonderlich, dass die Sache meine Freunde ebenfalls nicht losließ.

      »Ich muss ununterbrochen daran denken«, vertraute mir Scott eines Nachmittags aus heiterem Himmel an, als wir beide vor dem Quickman, unserer Lieblingsburgerbude, an unseren Zigaretten zogen. »Ich habe ständig dieses Bild vor Augen, als das Tuch von ihr heruntergeweht wurde.«

      »Ja«, gestand ich. »Ich denke auch an sie. Manchmal. Meistens nachts.«

      »Perversling.«

      »Du weißt genau, was ich meine.«

      »Denkst du viel über den Killer nach?«

      Nein, das tat ich nicht. Es schien nicht plausibel, dass tatsächlich ein lebendiges, atmendes menschliches Wesen für die ganze Sache verantwortlich war. Es war greifbarer, sich die vermissten Kinder vorzustellen und wie Courtney Cole unter diesem weißen Tuch ausgesehen hatte, als sich auszumalen, welche Bestie hinter derartigen Taten stecken konnte.

       »Eine Cousine von mir saß in einem Bus in Florida neben Ted Bundy«, erzählte Scott, bevor ich auf seine Frage antworten konnte. »Er hatte einen unechten Gips um den Arm – genau, wie man es immer hört – damit er seine Opfer dazu bringen konnte, ihm dabei zu helfen, ein paar Dinge zu seinem Wagen zu tragen. Meine Cousine sagte, sie habe ihn erkannt, als er festgenommen wurde und Bilder von ihm in allen Nachrichten gezeigt wurden. Ich fand es immer bizarr, dass sie ihn wiedererkannte – ich meine, wie genau sieht man sich denn seine Mitmenschen in einem Stadtbus an? –, aber ich schätze, solche Personen brennen sich irgendwie unterbewusst in irgendeinen urmenschlichen Teil des Gehirns ein, der einem meldet, dass etwas einfach nicht stimmt. Wie ein blinkendes Neonschild, das dich warnt: Halt dich fern!«

      Ich ließ meinen Blick über den Parkplatz, an den Bäumen vorbei und in Richtung St. Nonnatus schweifen. Autos huschten den Highway entlang wie glänzende Käfer. Der Himmel hatte die satte, monochrome Sepiafarbe einer alten Fotoaufnahme.

      »Es heißt, er habe Mädchen Löcher in die Köpfe gebohrt und ihnen bei noch lebendigem Leibe kochendes Wasser in ihre Schädel gegossen. Dieser Psycho hat sie zu Tode gefoltert. Kann man sich so einen kranken Scheiß vorstellen?«

      »Wer?« Meine Gedanken waren abgedriftet.

      »Ted Bundy.«

      »So ist das hier nicht«, wandte ich ein. »Man hat ihr einfach den Schädel eingeschlagen.«

      »Schon, aber du weißt nicht, welche kranken Dinge ihr der Piper angetan haben könnte, bevor sie starb.« Nach einem kurzen Moment der Überlegung fügte Scott hinzu: »Oder sogar noch danach.«

      »Du bist krank.«

      Scott ließ seine Schultern kreisen. »Die ganze Welt ist krank.«

      »Wird wohl alles möglich sein.«

      »Und was ist mit den anderen?«, fragte er. »Die anderen, die noch nicht gefunden wurden?«

      »Weiß nicht. Meinst du, sie finden sie noch?«

      »Denke schon. Ich meine, irgendwo müssen sie ja schließlich stecken, oder nicht? Menschen verschwinden nicht einfach so vom Erdboden.«

      Obwohl ich genau wusste, dass jedes Jahr sehr wohl spurlos Menschen verschwanden, zog ich nur an meiner Zigarette und erwiderte knapp: »Wahrscheinlich.«

      »Erzählt dir dein Dad denn gar nichts?«

      »Über die vermissten Jugendlichen? Über den Mord an Courtney Cole?«

      »Egal was«, meinte Scott. »Über seinen Job. Darüber, wie es ist, ein Cop zu sein.«

       »Nicht wirklich. Außerdem denke ich, dass die Cops auch nicht mehr wissen als jeder sonst. Und selbst wenn sie das sollten, werden sie mir das bestimmt nicht auf die Nase binden.«

      »Hast du schon mal seine Knarre gesehen?«, wollte Scott neugierig wissen. Er steckte eine Hand in seine Jackentasche und stöberte nach etwas darin herum.

      »Klar doch«, bemerkte ich. Ich bekam die Dienstwaffe im Holster meines Vaters jeden Abend zu Gesicht, wenn er von der Arbeit nach Hause kam und seine Jacke auszog. Ich wusste auch, dass er sie in seiner Sockenschublade aufbewahrte, wenn er sie nicht bei sich trug – der obersten Schublade seiner Schlafzimmerkommode. Unter seinem Bett hatte er in einer alten Zigarrenschachtel auch noch einen Revolver mit sechs Schuss.

      Mein Vater hatte eigentlich schon mein Leben lang eine Waffe getragen. Es war für mich so selbstverständlich, als wäre er ein Geschäftsmann gewesen, der einen Aktenkoffer voller Enzyklopädien mit sich herumschleppte. Für meine Freunde war jedoch die Vorstellung, eine Waffe im Haus zu haben, sowohl fremdartig wie auch faszinierend, folglich brachten sie der Waffe ein nicht unerhebliches Maß an Interesse entgegen.

      »Hat er dich schon mal schießen lassen?«

      »Nö.«

      Scott zog ein gefährlich aussehendes Butterfly-Messer aus seiner Tasche hervor. Mit der überschwänglichen Geste eines Bühnenmagiers klappte er es auf und hielt es von sich weggestreckt. Die Klinge glänzte und war gut zwölf Zentimeter lang. Er drehte es sachte in seiner Hand. »Ich würde zu gern wissen, wie es passiert ist.«

      Hinter uns kam eine Mutter mit ihren zwei Kindern aus dem Quickman, und ich fing einen Hauch Fritteusenduft auf.

      »Ich würde zu gern wissen, wie der Piper sie geschnappt hat.«

       »Es gibt keinen Piper«, hielt ich dagegen, mehr aus Gewohnheit als aus irgendeinem anderen Grund. Mir fiel auf der Stelle wieder ein, was mir mein Vater an jenem Abend sagte, als er auf der hinteren Veranda gesessen und darauf gewartet hatte, dass ich nach Hause kam. Wenn du mit deinen Freunden weggehst, halte dich mit ihnen immer nur an menschenreichen, öffentlichen Plätzen auf, aber besser noch bei ihnen zu Hause.

      Und so betrauerte Harting Farms den Tod einer der ihren und fürchtete, dass die drei anderen Jugendlichen, die unlängst spurlos von den Straßen verschwunden waren, bereits ein ähnliches Schicksal ereilt haben könnte.

      ***

      In der Teufelsnacht, der Nacht vor Halloween, tobten Schneeschauer vom Himmel. Sie schienen über die Straßen und die niedrigen Giebel der Häuser im Viertel zu schweben und zu wirbeln, ohne je den Boden zu berühren. Halloween war schon immer mein Lieblingsfeiertag gewesen, doch die Teufelsnacht brachte, wie Heiligabend, dieses Gefühl aufgeregter Erwartung und Vorfreude dessen, was noch kommen mochte, mit sich.

      Bevor ich mich für den Abend auf den Weg machte, ging ich meiner Großmutter beim Dekorieren der Veranda vor dem Haus zur Hand – Gummiskelette, die an transparenten Nylonfäden hingen, ein elektrischer Hexenkessel, der Trockeneisnebel spuckte, und eine schwarze Keramikkatze mit wilden grünen Leuchtaugen. Für die kleinen Kinder, die am nächsten Tag an unsere Tür klopfen würden, befüllte ich vorsorglich schon einmal eine Schale mit Süßigkeiten und stellte sie auf den Küchentresen.

       Im Wohnzimmer, während zum gefühlten fünfzigsten Mal Charlie Brown und der große Kürbis im TV lief, grummelte mein Großvater wegen des Rasierschaums und Klopapiers herum, das er ohne Frage am nächsten Morgen wieder wegzuputzen haben würde.

       In der hintersten Ecke des Kellers neben dem Warmwasserspeicher war eine alte Kiste mit Halloween-Kostümen verstaut, die durch das weiße,


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