Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf. Selma Lagerlöf

Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf - Selma Lagerlöf


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das Wasser, und eine Schar Seehunde ließ sich von einer flachen Schäre ins Wasser gleiten und zog gen Süden.

      »Was ist denn los? Was ist denn los?« fragten die Wildgänse und bekamen schließlich Antwort von einer Eisente. »Der Hering ist nach Marstrand gekommen! Der Hering ist nach Marstrand gekommen!«

      Aber nicht nur die Vögel und Seetiere gerieten in Bewegung, auch die Menschen hatten jetzt offenbar Nachricht erhalten, daß sich die ersten großen Heringschwärme zwischen den Schären gezeigt hatten. Die Leute liefen auf den glatten Steinen der Fischerdörfer geschäftig durcheinander. Die Fischerboote wurden bereit gemacht. Vorsichtig brachte man die langen Heringnetze an Bord. Die Frauen verstauten den Proviant und die Ölkleider in die Boote. Die Männer kamen in einer solchen Hast aus den Häusern, daß sie erst auf der Straße den Rock anzogen. Bald waren alle Sunde voll brauner und grauer Segel, und muntere Zurufe und Fragen flogen zwischen den Booten hin und her. Junge Mädchen waren auf die Klippen hinter den Häusern geklettert und winkten den Davonziehenden zu. Die Lotsen standen da und hielten Ausguck und waren so fest überzeugt, daß man bald nach ihnen schicken werde, daß sie schon die langen Seestiefel angezogen und den Kutter klar gemacht hatten. Aus den Fjorden heraus kamen kleine Dampfer mit leeren Tonnen und Kisten beladen. Die Bauern warfen die Kartoffelhacke hin, und die Bootbauer verließen die Werft. Die alten Schiffskapitäne mit den wettergebräunten Gesichtern konnten nicht daheimbleiben, sie fuhren mit den Dampfern südwärts, um den Heringfang wenigstens mit anzusehen. Es währte nicht lange, bis die Wildgänse Marstrand erreichten. Die Heringschwärme kamen von Westen und gingen, am Leuchtturm auf der Hafenschäre vorbei, dem Lande zu. In dem breiten Fjord zwischen der Insel Marstrand und den Pater-Noster-Schären kamen die Fischerboote immer zu dreien dahergesegelt. Wo die See dunkel war und sich in kleinen, kurzen Wellen kräuselte, da war der Hering. Das wußten die Fischer, und da legten sie vorsichtig die langen Netze aus, sammelten sie zu einem Rundkreis, schnürten sie unten am Boden zusammen, so daß der Hering wie in einem ungeheuren Sack lag; dann zogen und schnürten sie die Netze noch mehr zusammen, so daß der Raum enger und enger wurde und das Netz schließlich, mit glitzernden Fischen gefüllt, herausgezogen werden konnte.

      Einige Bootbesatzungen waren schon so weit mit dem Fischfang gediehen, daß sie ihre Boote bis an die Reeling voller Heringe hatten. Die Fischer standen bis an die Knie in Heringen und glitzerten von Heringschuppen vom Südwester bis an den unteren Rand ihres gelben Ölrockes.

      Und dann waren da neuangekommene Fischergruppen, die umherfuhren und loteten und nach Heringen suchten, und andere, die mit großer Mühe das Netz ausgelegt hatten, es aber leer wieder herauszogen. Wenn die Boote voll waren, fuhren einige von den Fischern nach den großen Dampfern hinaus, die auf dem Fjord lagen, und verkauften ihren Fang, andere segelten nach Marstrand hinein und löschten den Fang am Kai. Dort waren die Heringweiber schon in voller Arbeit an den langen Tischen; die Heringe wurden in Tonnen und Kisten gepackt, und die ganze Straße war voll von Heringschuppen.

      Ja, hier herrschte Leben und Bewegung. Die Menschen waren ganz aus dem Häuschen vor Freude über all dies Silber, das sie aus den Wellen des Meeres schöpften, und die Wildgänse flogen viele Male rund herum um die Insel Marstrand, damit der Junge alles recht genau sehen sollte.

      Bald aber bat er sie, weiterzufliegen. Er sagte nicht, warum er dort weg wollte, aber es war vielleicht nicht so schwer zu erraten. Da waren viele schöne und stolze Leute unter den Fischern, Mehrere von ihnen waren stattliche Männer mit kühnen Gesichtern unter dem Südwester, und sie sahen so verwegen und keck aus, wie jeder frische Junge wünscht, selbst auszusehen, wenn er einmal erwachsen ist. Es war wohl nicht gerade erfreulich für jemand, der nie viel größer werden konnte wie ein Hering, dazusitzen und solche Prachtkerle zu betrachten.

      LI. Ein großer Herrenhof

       Inhaltsverzeichnis

      Der alte Herr und der junge Herr.

      Vor einigen Jahren lebte in einem Kirchspiel in Westgötland eine prächtige, liebe kleine Volksschullehrerin. Sie unterrichtete nicht nur vorzüglich, sondern sie verstand es auch, Ordnung zu halten, und die Kinder hatten sie so lieb, daß sie niemals zur Schule kamen, ohne ihre Aufgaben gelernt zu haben. Auch die Eltern schätzten sie sehr. Es gab nur einen einzigen Menschen, der nicht wußte, was sie wert war, und das war sie selbst. Sie glaubte, daß alle anderen klüger und tüchtiger seien als sie, und sie grämte sich darüber, daß sie nicht so werden konnte wie sie.

      Als die Lehrerin einige Jahre an der Schule angestellt gewesen war, machte ihr die Schulbehörde den Vorschlag, einen Kursus in dem Nääser Seminar für Handfertigkeit durchzumachen, damit sie künftig die Kinder nicht nur lehren könne mit dem Kopf, sondern auch mit den Händen zu arbeiten. Niemand kann sich vorstellen, wie überrascht sie war, als sie diese Aufforderung erhielt. Nääs lag nicht weit von ihrer Schule entfernt. Sie war gar manches Mal an dem schönen, stattlichen Gebäude vorübergegangen, und sie hatte über den Handfertigkeitskursus, der auf dem alten Herrenhof abgehalten wurde, viele Lobreden gehört. Dort kamen Lehrer und Lehrerinnen aus dem ganzen Lande zusammen, um ihre Hände gebrauchen zu lernen, ja sogar aus dem Auslande kamen Leute dorthin. Sie wußte im voraus, wie entsetzlich verzagt sie sich unter so vielen ausgezeichneten Menschen fühlen würde. Das stand ihr so schwer bevor, daß sie nicht wußte, wie sie es ertragen sollte.

      Sie wagte jedoch nicht, der Schulbehörde eine abschlägige Antwort zu geben, sondern reichte ihr Gesuch ein. Sie wurde als Schülerin angenommen, und an einem schonen Juniabend, an dem Tage bevor der Sommerkursus beginnen sollte, packte sie ihre Habseligleiten in eine kleine Reisetasche und wanderte nach Nääs. Und wie oft sie auch unterwegs stehen blieb und sich weit weg wünschte, sie gelangte doch schließlich an ihr Ziel.

      Auf Nääs war Leben und Bewegung. Allen Teilnehmern des Kursus, die, jeder aus seiner Richtung, eintrafen, mußten in den Häusern und Villen, die zu dem großen Besitz gehörten, Zimmer angewiesen werden. Allen war ein wenig wunderlich zumute in den ungewohnten Umgebungen, aber die kleine Lehrerin glaubte wie gewöhnlich, daß nur sie allein sich töricht und ungeschickt benehme. Sie hatte sich in eine solche Angst hineingeredet, daß sie weder hören noch sehen konnte. Es war auch sehr schwer, was sie alles durchmachen mußte. Man wies ihr ein Zimmer in einer schönen Villa an, in dem sie mit ein paar jungen Mädchen wohnen sollte, die sie gar nicht kannte, und sie mußte mit siebzig fremden Menschen zusammen essen. An ihrer einen Seite saß ein kleiner Herr, der ganz gelb im Gesicht war, und von dem es hieß, daß er aus Japan sei, und an der anderen Seite hatte sie einen Schullehrer aus Jockmock hoch oben in Lappland. Und gleich von Anfang an herrschten Lachen und Fröhlichkeit an den langen Tischen! Alle schwatzten und machten Bekanntschaften. Sie war die einzige, die nicht den Mut hatte, etwas zu sagen.

      Am nächsten Morgen ging es an die Arbeit. Der Tag begann hier wie in allen Schulen mit Morgengebet und Gesang; dann sprach der Vorsteher des Seminars einige Worte über Handfertigkeit und gab einige kurze Verhaltungsmaßregeln, und dann, ohne daß sie eigentlich wußte, wie es zugegangen war, stand sie an einer Hobelbank, ein Stück Holz in der einen und ein Messer in der anderen Hand, während ein alter Handfertigkeitslehrer ihr zeigte, wie sie einen Blumenstab schnitzen müsse. Eine solche Arbeit hatte sie noch nie versucht. Sie kannte die Handgriffe nicht, und war obendrein in diesem Augenblick so verwirrt, daß sie nichts verstehen konnte. Als der Lehrer weitergegangen war, legte sie das Messer und das Holz aus die Hobelbank nieder und starrte in die Luft hinein.

      Ringsumher im Saal standen Hobelbänke, und an allen sah sie Menschen, die mit frischem Mut an die Arbeit gingen. Ein paar von ihnen, die schon ein wenig bewandert in der Kunst waren, kamen zu ihr, um ihr zu helfen. Aber sie war nicht fähig, ihrer Anleitung zu folgen. Sie stand da und dachte nur daran, daß nun alle die vielen Leute sähen, wie ungeschickt sie sich benahm, und das machte sie so unglücklich, daß sie wie gelähmt war.

      Dann kam die Frühstückszeit, und nach dem Frühstück wurde wieder gearbeitet. Zuerst hielt der Vorsteher einen Vortrag, dann folgte eine Turnstunde, und darauf begann der Handfertigkeitsunterricht von neuem. Hierauf wurde Mittagspause gemacht. Das Mittagsessen mit nachfolgendem


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