Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf. Selma Lagerlöf
Billingen und die anderen kleinen Berge, die über die große Ebene zerstreut lagen, die stehen doch wohl noch?« fragte der Riese, »Ja, die stehen noch,« antwortete der Westgöte, und um dem Riesen zu zeigen, daß er merkte, er habe es mit einem tüchtigen Mann zu tun, fügte er hinzu: »Ihr habt vielleicht diese Berge aufbauen helfen?«
»Ach, das gerade nicht,« erwiderte der Riese, »aber ich kann dir erzählen, daß du es meinem Vater zu verdanken hast, wenn die Berge da stehen. Als ich noch ein kleiner Knirps war, gab es in Westgötland keine große Ebene, sondern da, wo sich jetzt die Ebene ausbreitet, lag ein Bergland, das sich vom Wetternsee bis zum Götaelf erstreckte. Aber dann hatten einige Elfe sich vorgenommen, das Gebirge zu zerbröckeln und es an den Wenernsee hinabzutragen. Es waren keine richtigen Granitberge, sie bestanden hauptsächlich aus Kalkstein und Schiefer, daher wurde es den Elfen leicht, damit fertig zu werden. Ich entsinne mich noch, wie sie ihre Flußbetten und Täler breiter und breiter machten, und schließlich erweiterten sie sie zu Ebenen. Mein Vater und ich gingen zuweilen aus und sahen der Arbeit der Elfe zu, und der Vater war gar nicht so recht damit einverstanden, daß sie das ganze Gebirge zerstörten. ›Sie könnten uns doch wenigstens ein paar Ruhestätten übriglassen!‹ sagte er, und im selben Augenblick zog er seine steinernen Schuhe aus und stellte den einen der Länge nach gen Westen und den anderen der Länge nach gen Osten auf. Seinen steinernen Hut legte er auf eine Bergkuppe am Wenernsee, meinen steinernen Hut schleuderte er weiter nach Süden zu, und seine steinerne Keule warf er in derselben Richtung von sich. Was wir sonst an gutem, hartem Stein bei uns hatten, legte er an verschiedenen Stellen nieder. Und dann ereignete es sich, daß die Flüsse fast das ganze Gebirge wegspülten. Aber die Stellen, die mein Vater mit seinen steinernen Sachen bedeckt hatte, wagten sie nicht anzurühren; die blieben stehen. Da wo mein Vater seinen einen Schuh hingesetzt hatte, blieb der Halleberg unter dem Absatz und der Hunneberg unter der Sohle stehen. Unter dem anderen Schuh war Billingen versteckt. Des Vaters Hut hatte Kinnekulle bewehrt, unter meiner Mütze lag der Mösseberg und unter der Keule der Alleberg. Alle die anderen kleinen Berge auf der Westgötaebene wurden Vater zuliebe ebenfalls verschont, und ich möchte wohl wissen, ob es jetzt in Westgötland noch viele Männer gibt, vor denen die Leute so großen Respekt haben, wie vor ihm.«
»Die Frage ist nicht so leicht zu beantworten,« sagte der Seemann. »Aber ich will doch sagen, wenn Elfe und Riesen zu ihrer Zeit so mächtig gewesen sind, so bekomme ich gleichsam größere Achtung vor den Menschen, denn jetzt haben sie sich doch zu Herren über Berge und Ebenen gemacht.«
Der Riese rümpfte die Nase ein wenig. Er schien nicht gerade sehr zufrieden mit der Antwort zu sein, aber er nahm die Unterhaltung bald wieder auf. »Wie steht es denn jetzt mit dem Trolhätta?« fragte er.– »Der braust und donnert, wie er es immer getan hat,« sagte der Seemann. »Ihr seid vielleicht mit dabeigewesen, als der große Wasserfall in Gang gesetzt wurde, so wie Ihr geholfen habt, die Westgötaberge zu erhalten?« – »Ach, das gerade nicht,« erwiderte der Riese. »Aber ich erinnere mich noch, daß meine Brüder und ich, als wir kleine Knirpse waren, ihn als Rutschbahn zu benutzen pflegten. Wir stellten uns auf einen Balken, und dann ging es den Gullöfall, den Toppöfall und die anderen drei Fälle hinab. Wir kamen so rasch dahergesaust, daß wir kurz davor waren, ganz in das Meer hineinzurutschen. Ich möchte wohl wissen, ob es heutzutage in Westgötland noch irgend jemand gibt, der sich auf diese Weise belustigt.« – »Das ist nicht gut zu wissen,« sagte der Seemann. »Aber ich finde fast, es ist eine noch weit wunderbarere Leistung, daß wir Menschen imstande gewesen sind, einen Kanal an den Wasserfällen entlang zu bauen, so daß wir nicht nur den Trolhätta hinabfahren können, so wie Ihr es in Euren jungen Jahren tatet, sondern daß wir ihn auch in Booten und auf Dampfschiffen hinauffahren.«
»Es ist merkwürdig, das zu hören,« entgegnete der Riese, und es schien, als habe die Antwort ihn ein wenig verstimmt. »Kannst du mir nun auch sagen, wie es mit der Gegend am Bejörsee steht, die sie Hungerland nannten?« – »Ja, die hat uns viel Kummer gemacht,« sagte der Westgöte. »Es ist vielleicht Euer Verdienst, daß sie so mager und trostlos daliegt?« – Ach, das gerade nicht,« antwortete der Riese. »Zu meiner Zeit wuchs an der Stelle ein prächtiger Wald. Aber da geschah es, daß eine meiner Töchter Hochzeit machte und wir viel Holz nötig hatten, um den Backofen zu heizen. Da nahm ich ein langes Tau, schlang es um den ganzen Wald im Hungerland, riß ihn mit einem einzigen Ruck aus und trug ihn nach Hause. Ich möchte wohl wissen, ob es heutzutage jemand gibt, der einen solchen Wald auf einmal ausreißen kann?« – »Die Frage wage ich nicht zu beantworten,« sagte der Westgöte. »Eins aber weiß ich, in meiner Jugend lag das Hungerland kahl und unfruchtbar da, und jetzt haben die Bewohner die ganze Fläche mit Wald bepflanzt. Das nenne ich auch eine männliche Tat!«
»Aber da unten in dem südlichen Westgötland, da kann wohl kein Mensch sein Auskommen finden?« meinte der Riese. – »Habt Ihr auch geholfen, das Land einzurichten?« fragte der Westgöte. – »Nicht gerade das,« sagte der Riese, »aber ich entsinne mich, daß, als wir Riesenkinder dort unsere Herden hüteten, wir uns viele steinerne Häuser bauten und durch alle die Steine, die wir umherwarfen, den Boden so unbestellbar machten, daß es mich deucht, es müsse schwer sein, die Erde dort in der Gegend zu bearbeiten.«
»Das ist freilich wahr, es lohnt sich nicht sonderlich, dort Ackerbau zu betreiben,« sagte der Westgöte, »aber die Bevölkerung hat sich auf die Weberei und die Herstellung von Holzwaren gelegt, und ich sollte meinen, es zeugt von größerer Tüchtigkeit, sein Auskommen in einer so ärmlichen Gegend zu finden, als bei der Zerstörung des Bodens behilflich zu sein.«
»Jetzt habe ich nur noch eine Frage an euch zu richten,« sagte der Riese. »Wie habt ihr euch unten an der Küste eingerichtet, da, wo der Götaelf sich ins Meer ergießt?« – »Habt Ihr auch da die Hand mit im Spiel gehabt?« fragte der Seemann. – »Das nicht gerade,« erwiderte der Riese. »Aber ich entsinne mich, daß wir oft an den Strand hinabgingen, uns einen Walfisch heranlockten und auf seinem Rücken durch die Fjorde und Schären ritten. Ich möchte wohl wissen, ob ihr jemand kennt, der noch heute so etwas tut?« – »Die Frage will ich unbeantwortet lassen,« antwortete der Seemann. »Aber ich halte es für eine ebenso große Tat, daß wir Menschen unten an der Mündung des Potaelfs eine Stadt gebaut haben, von der Schiffe nach allen Meeren der Welt ausgehen.« Darauf erwiderte der Riese nichts, und der Seemann, der selbst in Gotenborg beheimatet war, begann nun, ihm die reiche Handelsstadt mit ihrem großen Hafen, mit ihren Brücken und Kanälen und den langen, schnurgeraden Straßen zu beschreiben; er erzählte, es wohnten dort so viele tüchtige unternehmende Kaufleute und kühne Seeleute, daß es nicht ausgeschlossen sei, daß sie Gotenborg zu der hervorragendsten Stadt des Nordens machen könnten.
Bei jeder neuen Antwort, die der Riese erhielt, wurden die Runzeln auf seiner Stirn tiefer und tiefer. Es war leicht zu sehen, wie mißvergnügt er darüber war, daß sich die Menschen zu Herren über die Natur gemacht hatten. »Ich merke, es hat sich vieles in Westgötland verändert,« sagte er, »und ich würde gern einmal wieder dahinunterkommen und dies und jenes in Ordnung bringen.« – Als der Seemann das hörte, erschrak er. Er glaubte nicht, daß der Riese in guter Absicht nach Westgötland kommen würde, aber er wagte natürlich nicht, sich das merken zu lassen. – »Ihr dürft überzeugt sein, daß man Euch mit offenen Armen empfangen würde,« sagte er. »Wir wollen alle Kirchenglocken Euch zu Ehren läuten lassen.« – »Es gibt also noch Kirchenglocken in Westgötland?« fragte der Riese und sah ein wenig bedenklich aus. »Sind denn die großen Klingelwerke in Husaby, Skara und Varnhelm noch nicht in Stücke geläutet?« – »Nein, sie sind noch immer da, und sie haben seit Eurer Zeit viele Schwestern bekommen. Es gibt jetzt keinen Ort in Westgötland, wo man keine Kirchenglocken hört,« – »Ja, dann muß ich wohl lieber bleiben, wo ich bin,« sagte der Riese, »denn die Glocken sind schuld daran, daß ich aus der Heimat wegzog.«
Dann versank er in Gedanken, bald aber wandte er sich wieder an die Seeleute: »Nun könnt ihr euch ganz ruhig am Feuer niederlegen und schlafen,« sagte er. »Morgen früh werde ich dafür sorgen, daß ein Schiff hier vorüberfährt, das euch aufnimmt und in eure Heimat zurückbringt. Aber für die Gastfreundschaft, die ich euch erwiesen habe, fordere ich von euch nur die Gefälligkeit, daß ihr, sobald ihr nach Hause kommt, zu dem besten Mann in ganz Westgötland geht, und ihm diesen Ring gebt. Grüßt ihn von mir und sagt ihm, wenn er den an seinen Finger steckt, wird er