Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf. Selma Lagerlöf

Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf - Selma Lagerlöf


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etwas sagen werde. Aber dann fiel ihr ein, wie schwer es immer für einen Mann ist, über die Dinge zu reden, die ihm am meisten am Herzen liegen. Sie mußte wohl versuchen, ihm zu helfen.

      Sie hatte von der Kammer aus gesehen, was in der Stube vor sich gegangen war, so daß sie nach nichts zu fragen brauchte. Ganz leise ging sie zu den schlafenden Kindern hin, nahm sie in ihre Arme und trug sie in ihr eigenes Bett in der Kammer. Darauf ging sie wieder zu dem Sohn hinaus.

      »Hör einmal, Lars,« sagte sie und tat so, als sähe sie nicht, daß er weinte. »Die Kinder mußt du mir lassen.« – »Was sagst du da, Mutter?« fragte er und bemühte sich, seiner Tränen Herr zu werden. »Sie haben mir schon alle diese Jahre leid getan, seit dein Vater ihrer Mutter das Haus wegnahm. Und dir auch.« – »Hm.« – »Ich will sie hier behalten und ein Paar ordentliche Menschen aus ihnen machen. Sie sind zu gut, um herumzulaufen und zu betteln.«

      Er konnte nicht antworten, denn jetzt stürzten ihm die Tränen aus den Augen, aber er nahm die alte Hand seiner Mutter und streichelte sie.

      Dann aber fuhr er plötzlich auf, als fürchte er sich vor etwas. »Was würde Vater dazu sagen?« – »Vater hat seine Zeit gehabt, wo er befahl,« sagte die Mutter, »jetzt ist das an dir. Solange Vater lebte, mußten wir ihm gehorchen. Jetzt sollst du dich so zeigen, wie du bist.« – Der Sohn war so überrascht durch diese Worte, daß er zu weinen aufhörte. »Ich zeige mich doch so, wie ich bin,« sagte er. – »Nein,« erwiderte die Mutter, »das tust du nicht. Du gibst dir nur Mühe, deinem Vater ähnlich zu sein. Er hatte in kargen Zeiten gelebt, und das hatte ihm bange gemacht, daß er verarmen könne. Er hielt es für seine Pflicht, in erster Linie an sich selbst zu denken. Du aber hast nie etwas erlebt, was dich hart machen könnte. Du hast mehr, als du gebrauchst, und es würde unnatürlich sein, wenn du nicht auch an andere denken wolltest.«

      Der Junge war hinter den kleinen Mädchen in die Stube gegangen und hatte sich in einer dunklen Ecke versteckt. Es dauerte nicht lange, bis er den Schlüssel in der Rocktasche entdeckt hatte. »Wenn der Bauer nun die Kinder zur Tür hinausjagt, nehme ich den Schlüssel und laufe damit weg, dachte er.

      Die Kinder wurden also nicht zur Tür hinausgejagt, und der Junge saß in seiner Ecke und es wollte ihm nichts einfallen, was er tun könne. Die Mutter sprach lange mit ihrem Sohn, und während sie sprach, versiegten die Tränen, und schließlich saß er mit einem so schönen Ausdruck im Gesicht da und sah so aus wie ein anderer Mensch. Und während der ganzen Zeit streichelte er die alte Hand.

      »Nun müssen wir aber wohl zu Bett, sagte die Alte, als sie sah, daß er sich wieder beruhigt hatte. – »Nein,« sagte er und erhob sich schnell, »ich kann noch nicht zu Bett gehen. Da ist noch ein Gast, dem ich über nacht Obdach gewähren muß.«

      Mehr sagte er nicht, zog aber schnell den Rock über; zündete eine Laterne an und ging hinaus. Draußen herrschte noch derselbe Sturm und dieselbe Kälte, aber als er auf die Treppe hinauskam, summte er eine Melodie vor sich hin. Er dachte daran, ob das Pferd ihn wohl wieder erkennen würde, ob es sich wohl freuen würde, wieder in den alten Stall zu kommen.

      Als er über den Hofplatz ging, hörte er, daß eine Tür offen stand und im Winde klapperte. »Das ist die Scheunentür, die wieder aufgeweht ist,« dachte er und ging hin, um sie zu schließen.

      Einen Augenblick später stand er vor der Scheune und wollte gerade die Tür verschließen, als er meinte, etwas da drinnen Putzeln zu hören.

      Der Junge hatte nämlich die Gelegenheit benutzt und war mit ihm zusammen hinausgegangen und gleich nach der Scheune gelaufen, wo die Tiere gestanden hatten. Aber sie standen nicht mehr draußen im Regen. Ein starker Windstoß hatte längst die Scheunentür wieder aufgerissen und ihnen ein Dach über dem Kopf verschafft. Das, was der Bauer pußeln hörte, war der Junge, der in der Scheune herumlief.

      Nun leuchtete er mit der Laterne in die Scheune hinein und sah, daß da überall auf dem Boden schlafendes Vieh lag. Ein Mensch war nicht zu sehen. Die Tiere waren nicht angebunden, sondern hatten sich in das Stroh gelegt, wo sie dazu kommen konnten.

      Er wurde zornig, als er alle diese ungebetenen Gaste sah, und fing an zu rufen und zu schalten, um die Schlafenden zu wecken und sie hinauszujagen. Aber die Tiere blieben liegen, ohne sich zu rühren, als wollten sie sich nicht stören lassen. Nur ein altes Pferd erhob sich und kam ganz still auf ihn zu.

      Der Bauer verstummte plötzlich. Er erkannte das Pferd schon am Gange. Er ließ den Schein der Laterne auf das Pferd fallen, und er kam zu ihm heran und legte ihm den Kopf auf die Schulter.

      Da streichelte der Bauer es zärtlich. »Mein altes Pferd! Mein altes Pferd!« sagte er. »Was haben sie dir getan? Ja, alter Junge, ich will dich zurückkaufen. Du sollst nie wieder fort von diesem Hof. Du sollst es so haben, wie du willst, alter Junge. Die andern, die du mitgenommen hast, können hier bleiben, aber du sollst mit mir in den Stall kommen. Nun kann ich dir so viel Hafer geben, wie du fressen kannst, ohne daß ich ihn mir heimlich zu nehmen brauche. Ganz zuschanden bist du am Ende noch nicht. Das schönste Pferd auf dem Kirchhügel, das sollst du noch einmal werden. So, so! So, so!«

      XXIV. Der Eisbruch

       Inhaltsverzeichnis

       Donnerstag, 28. April.

      Am nächsten Tag war schönes Wetter und heller Sonnenschein. Es wehte freilich ein starker Westwind, aber darüber konnte man sich nur freuen, denn er trocknete die Wege, die von dem heftigen Regen des vorhergehenden Tages ganz aufgeweicht waren.

      Früh am Morgen kamen die beiden Kinder aus Smaaland, das Gänsemädchen Aase und der kleine Mads die Landstraße gegangen, die von Sörmland nach Närke hineinführt. Der Weg ging an dem südlichen User des Hjelmar entlang, und die Kinder betrachteten das Eis, das noch den größten Teil des Sees bedeckte. Die Morgensonne warf ihren hellen Schein auf das Eis, und es sah gar nicht so dunkel und unheimlich aus, wie sonst das Frühlingseis, sondern es schien weiß und verlockend. So weit sie darüber hin sehen konnten, lag es fest und trocken da. Das Regenwasser war schon in die Löcher und Spalte hineingelaufen oder auch von dem Eis selbst aufgesogen. Sie sahen nichts als die herrliche Eisfläche.

      Das Gänsemädchen Aase und der kleine Mads waren auf der Wanderung gen Norden begriffen, und sie mußten unwillkürlich denken, wie viele Schritte ihnen erspart werden würden, wenn sie quer über den großen See gehen könnten, statt rund um ihn herumzuwandern. Sie wußten wohl, daß Frühlingseis heimtückisch ist, aber dies sah ja so vollkommen sicher aus. Sie konnten sehen, daß es drinnen am Lande mehrere Zoll dick war. Und sie sahen auch einen Weg, den sie verfolgen konnten, und das gegenüberliegende Ufer erschien so nah, daß sie in einer Stunde hinüber gelangen mußten.

      »Komm, laß es uns versuchen!« sagte der kleine Mads. »Wenn wir nur achtgeben, daß wir nicht in eine Wake hineinplumpsen, so wird es schon gehen.«

      Und damit begaben sie sich auf den See hinaus. Das Eis war nicht allzu glatt, es ging sich sehr angenehm darauf. Es stand freilich mehr Wasser darauf, als sie vom Wege aus hatten sehen können, und hier und da waren Blasen im Eis, wo das Wasser auf und nieder quoll. Vor den Stellen mußte man sich in acht nehmen, aber das war ja eine Kleinigkeit mitten am Tage in dem hellen Sonnenschein.

      Es ging schnell und leicht vorwärts, und die Kinder sprachen von nichts weiter, als wie klug sie gewesen waren, übers Eis zu gehen, statt die aufgeweichte Landstraße zu verfolgen.

      Als sie eine Strecke gegangen waren, kamen sie in die Nähe von Vinö. Da sah eine alte Frau sie von ihrem Fenster aus. Sie trat in die Tür hinaus, winkte ihnen und rief etwas, das sie nicht hören konnten. Sie verstanden sehr wohl, daß sie sie warnte, ihre Wanderung fortzusetzen. Aber sie, die selbst draußen auf dem Eis waren, konnten ja sehen, daß keine Gefahr vorlag. Es würde ja dumm sein, an Land zu gehen, wenn alles so vorzüglich ging.

      Sie wanderten also an der Vinö vorüber und hatten nun eine meilenweite Eisfläche vor sich. Hier draußen war stellenweise so viel Wasser auf dem Eis, daß die Kinder große


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