Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf. Selma Lagerlöf
in Dalarna fast ebensosehr freuen als auf den Weihnachtsabend, und das ist die Walpurgisnacht, wo sie Feuer im Freien abbrennen dürfen.
Viele Wochen vorher denken Knaben und Mädchen an nichts weiter, als Feuerung für die Walpurgisfeuer zu sammeln. Sie gehen in den Wald hinaus und suchen trockne Reiser und Tannenzapfen, sie sammeln bei dem Tischler Späne und bei dem Holzhauer Holzstückchen und Baumrinde und Holzknorren. Sie gehen jeden Tag zum Kaufmann und betteln um alte Kisten, und ist einer unter ihnen so glücklich gewesen, eine leere Teertonne zu ergattern, so versteckt er sie wie seinen größten Schatz und wagt nicht eher damit zum Vorschein zu kommen, als im letzten Augenblick, kurz ehe die Feuer angezündet werden sollen. Die dünnen Reiser, die man als Stütze für Erbsen und Bohnen benutzt, sind sehr begehrt, ebenso alle alten, umgewehten Zaunpfähle, alle zerbrochenen Gerätschaften und alle Heureiter, die draußen auf dem Felde vergessen sind.
Wenn der große Abend kommt, haben die Kinder in jedem Dorf einen großen Haufen Zweige und Reiser und alle möglichen brennbaren Gegenstände bereitgelegt, entweder auf einem Hügel oder auch unten am User eines Sees. In einzelnen Dörfern ist nicht zu einem einzelnen Reisigfeuer zusammengetragen, sondern es erheben sich zwei, ja oft drei große Holzhaufen. Es kann ja vorkommen, daß sich die Knaben und Mädchen nicht beim Reisigsammeln haben einen können, oder auch die Kinder, die in dem südlichen Ende des Dorfes wohnen, wollen das Feuer bei sich haben, und darauf können die, die am nördlichen Ende wohnen, nicht eingehen, und dann müssen sie jedes ihr eigenes Feuer haben.
Die Holzstöße sind in der Regel schon rechtzeitig am Nachmittag fertig, und dann gehen alle Kinder mit Streichhölzern in der Tasche herum und warten darauf, daß es dunkel werden soll. Es ist um diese Jahreszeit so schrecklich lange hell in Dalarna. Um acht Uhr fängt es kaum an zu schummern. Es ist kalt und ungemütlich, draußen herumzugehen und zu warten, denn es ist noch halbwegs Winter. Auf allen Rodeäckern und offenen Feldern ist der Schnee getaut, und mitten am Tage, wenn die Sonne hoch am Himmel steht, fühlt er sich ganz warm an, aber im Walde liegen noch große Schneeschanzen, das Eis bedeckt die Seen und des Nachts sind oft viele Grad Kälte. Daher kann es auch geschehen, daß hier und da ein Feuer angezündet wird, ehe es richtig dunkel ist. Aber nur die kleinsten und ungeduldigsten Kinder übereilen sich so. Die Großen warten, bis es so dunkel ist, daß sich die Feuer ordentlich ausnehmen können.
Dann kommt endlich der rechte Augenblick. Jeder, der auch nur an einzelnes kleines Reis zu dem Holzstoß beigetragen hat, ist zur Stelle, und der älteste von den Knaben zündet ein Bündel Stroh an und schiebt es unter den Reiserhaufen. Sofort fängt das Feuer an zu arbeiten; es knittert und sprüht in dem Holz, die dünnsten Zweige werden feuerrot, der Rauch kommt wogend daher, schwarz und drohend. Und schließlich schlägt die Flamme aus der Spitze des Reisighaufens empor, hoch und klar, hebt sich plötzlich viele Ellen hoch in die Höhe, so daß man sie in der ganzen Gegend sehen kann.
Wenn die Feuer eine Weile gebrannt haben, kommen die Erwachsenen und die Alten, um sie sich anzusehen. Aber die Feuer sind nicht nur schön und strahlend, sie verbreiten auch eine lebhafte Wärme, und es lockt sie, sich auf Steine und Grasbüschel ringsumher zu setzen. Da sitzen sie und starren in die Flammen hinein, bis es jemand von ihnen einfällt, daß man doch jetzt, wo man ein so herrliches Feuer hat, ein wenig Kaffee kochen kann. Während der Kaffeekessel singt, kann es wohl geschehen, daß der eine oder der andere eine Geschichte zu erzählen beginnt, und wenn der erste fertig ist, setzt gleich ein anderer fort.
Die Erwachsenen denken hauptsächlich an den Kaffee und die Geschichten, die Kinder denken daran, das Feuer zu hellem Brennen zu bringen und es lange zu unterhalten. Es ist dem Frühling schrecklich schwer geworden, das Eis aufzubrechen und den Schnee zu schmelzen. Es wäre schön, wenn sie ihm ein wenig mit ihrem Feuer helfen könnten. Sonst kann der Frühling unmöglich rechtzeitig den Frost aus der Erde entfernen und das Knospentreiben der Bäume fördern.
*
Die Wildgänse hatten sich auf das Eis des Siljan gestellt, um zu schlafen, und da es von Norden her arg zog, sah sich der Junge gezwungen, unter den Flügel des weißen Gänserichs zu kriechen. Aber er hatte noch nicht lange dagelegen, als er durch den Knall eines Büchsenschusses geweckt wurde. Sofort ließ er sich auf die Erde gleiten und sah sich erschreckt um.
Draußen auf dem Eise, da, wo die Gänse lagen, war es ganz still. Wieviel er auch guckte und spähte, konnte er keinen Jäger sehen. Als er aber nach dem Lande hinübersah, erblickte er etwas so Merkwürdiges, daß er glaubte, es sei eine Art Spuk, den er sah, etwas Ähnliches wie Vineta oder der Gespenstergarten bei Stora Djulö.
Am Nachmittag waren die Wildgänse mehrmals über den großen See hin und her geflogen, ehe sie sich entschließen konnten, wo sie sich niederlassen wollten. Und im Fluge hatten sie ihm die großen Kirchen und Dörfer gezeigt, die am Ufer lagen. Er hatte Leksand, Rättvik, Mora, dir Söllerö gesehen. Die Kirchdörfer waren so groß wie kleine Städte, und er hatte sich darüber gewundert, daß es hier im Norden so stark bebaut war. Er fand die ganze Gegend viel heller und freundlicher, als er es sich vorgestellt hatte, und er hatte nichts Unheimliches oder Gefahrdrohendes gesehen.
Aber nun, in der dunklen Nacht, flammte an diesen kleinen Ufern ein großer Kranz von hohen Feuern auf. Er sah sie in Mora, an dem nördlichen Ende des Sees leuchten und auf dem Gipfel des Söllerö, in Vikarbyen, auf den Bergen oberhalb Sjurberg, auf der Kirchlandzunge bei Nättvik und weiter auf Odder und Höje, ganz nach Leksand hinab. Er konnte über hundert Feuer zählen, und es war ihm ganz unmöglich, zu begreifen, wo die hergekommen waren, wenn da nicht Zauberei oder Spuk mit im Spiel war.
Die Wildgänse waren auch bei dem Schuß erwacht, aber sobald Akka einen Blick auf das Ufer geworfen hatte, sagte sie: »Das sind die Menschenkinder, die spielen.« Und sofort steckten sie und die anderen Gänse den Kopf unter den Flügel und schliefen wieder ein.
Aber der Junge stand da und sah die Feuer an, die das Ufer gleich einer langen Reihe goldener Kleinodien schmückten. Licht und Wärme lockten ihn ebenso stark, wie sie eine kleine Mücke anziehen, und er hatte die größte Lust, näher heranzugehen, aber er wußte nicht, ob er es wagen könne, die Gänse zu verlassen. Er hörte einen Schuß nach dem anderen, und da er nun begriffen hatte, daß keine Gefahr im Anzug war, lockte ihn auch das. Es schien, als wären sie so munter dort bei den Feuern, daß es für sie nicht genug war, zu lachen und zu rufen, sie mußten auch noch die Flinten zu Hilfe nehmen und schießen. Und dort bei einem Feuer, das auf einem Berge brannte, schossen sie Raketen ab. Sie hatten da ein großes Feuer, und es lag hoch oben, aber das genügte ihnen nicht. Es sollte noch schöner sein. Bis ganz hinauf in den Wolken des Himmels sollte es zu sehen sein, wie fröhlich sie waren.
Der Junge näherte sich ganz langsam dem Ufer, aber da drang Gesang bis zu ihm hinaus. Jetzt begann er auf das Land zu zu laufen. Er mußte wirklich mit dabei sein!
Ganz am Ende der Rättviker Bucht geht eine ungeheuer lange Dampferbrücke in das Wasser hinaus, und an der äußersten Spitze dieser Brücke stand eine Schar Sänger und sang in der späten Nachtstunde über den See hinaus. Es war, als glaubten sie, daß der Frühling so wie die wilden Gänse draußen auf dem Eis des Siljans schlafe, und als wollten sie ihn wecken.
Die Sänger begannen mit: »Ich weiß ein Land im hohen Norden«, und dann folgte: »Gar schön ist der Lenz, wenn die Erde sich freut!« darauf: »Nach Tuna geht der Marsch«, »Mannheit, Mut und freie Männer«, und schließlich: »In Dalarna wohnten, in Dalarna wohnt«. Es waren alles Lieder, die von Dalarna handelten. Auf der Dampferbrücke brannte kein Feuer, und die Sänger konnten sich nicht weit umsehen. Aber mit den Tönen stieg das Bild ihres Landes vor ihnen und vor allen, die sie hörten, klarer und schöner auf, als wenn es heller, lichter Tag gewesen wäre. Es war gleichsam, als wollten sie den Frühling rühren: »Sieh doch nur, welch schönes Land da liegt und auf dich wartet! Willst du uns denn nicht zu Hilfe kommen? Willst du den Winter wirklich noch lange seinen Druck auf diese schönen Gegenden legen lassen?«
So lange der Gesang währte, stand Niels Holgersen da und lauschte, als er aber verstummte, eilte er an Land. Ganz am Ende der Bucht war das Eis aufgetaut, aber da waren viele Sandbänke, so daß er doch glücklich nach einem Feuer hinüber gelangte, das am Ufer selbst lag. Mit großer Vorsicht schlich er so nahe heran, daß er die Menschen