Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf. Selma Lagerlöf
Als sich Akka in der Bucht niederließ, waren alle Vögel, die dort wohnten, am östlichen Ufer versammelt, wo sie im besten gegen den Wind geschützt waren. Obwohl sie sehr durch die Überschwemmung gelitten hatten, waren sie viel zu stolz, um ihre Betrübnis zu zeigen. »Es hat keinen Zweck zu trauern,« sagten sie. »Hier sind reichlich Röhrichtfasern und Stengel. Wir können uns bald neue Nester bauen.« Keins von ihnen hatte es sich träumen lassen, Fremde um Hilfe zu rufen, auch hatte niemand eine Ahnung davon, daß Reineke nach den Wildgänsen geschickt hatte.
Da waren mehrere hundert Schwäne, und sie hatten sich nach Rang und Stellung hingelegt; die jüngsten und unerfahrensten zu äußerst im Kreise, die alten und klugen mehr in der Mitte. Ganz im Innersten lagen Tagklar, der Schwanenkönig und Schneefried, die Schwanenkönigin, die älter waren als alle die anderen, so daß die meisten von dem Schwanenvolk ihre Kinder und Kindeskinder waren.
Tagklar und Schneefried konnten von den Tagen erzählen, wo Schwäne ihres Stammes nicht irgendwo in Schweden wild lebten, sondern nur in zahmem Zustand auf Schloßgräben und Teichen gefunden wurden. Aber dann waren ein Paar Schwäne der Gefangenschaft entronnen und hatten sich in Hjälstaviken niedergelassen, und von den beiden stammten alle die Schwäne ab, die dort wohnten. Jetzt nisteten in vielen der Mälarbuchten wilde Schwane ebenso wie auf dem Tåkern und dem Hornbörgasee. Alle diese Ansiedler waren von Hjälstaviken gekommen, und die Schwäne, die dort wohnten, waren sehr stolz darauf, daß ihr Geschlecht sich so von See zu See ausbreitete.
Die Wildgänse hatten sich zufällig an dem westlichen Ufer niedergelassen; als Akka aber sah, wo die Schwäne lagen, schwamm sie sogleich auf sie zu. Sie war selbst sehr erstaunt, daß sie nach ihr geschickt hatten, aber sie betrachtete es als eine Ehre und wollte keinen Augenblick vergeuden, wenn es sich darum handelte, ihnen zu helfen.
Als Akka in die Nähe der Schwäne kam, hielt sie mit dem Schwimmen inne, um zu sehen, ob die Gänse, die ihr folgten, in gerader Linie und mit gleich großen Zwischenräumen hinter ihr drein schwammen. »Schwimmt jetzt schnell und hübsch!« sagte sie. »Starrt die Schwäne nicht an, als wenn ihr nie etwas Schönes gesehen hättet, und kümmert euch nicht darum, was sie zu euch sagen!«
Es war nicht das erstemal, daß Akka die alten Schwanenherrschaften besuchte, und sie hatten sie immer mit der Aufmerksamkeit aufgenommen, auf die ein so weitbereister und angesehener Vogel Anspruch erheben konnte. Aber sie mochte nicht zwischen alle die Schwäne hineinschwimmen, die ringsum sie herumlagen. Sie fühlte sich nie so klein und so grau, als wenn sie zwischen die Schwäne kam, und es konnte wohl geschehen, daß der eine oder der andere von ihnen ein paar Worte fallen ließ von gewissen Leuten, die grau und häßlich waren. Das klügste aber war, so zu tun, als höre man es nicht, und schnell weiter zu eilen.
Diesmal hatte es den Anschein, als wenn alles ungewöhnlich gut gehen sollte. Die Schwäne glitten ganz still zur Seite, und die wilden Gänse schwammen gleichsam durch eine Straße, mit den großen, weißschimmernden Vögeln zu beiden Seiten. Es war sehr hübsch zu sehen, wie sie dalagen und die Flügel wie Segel ausspannten, um einen guten Eindruck auf die Fremden zu machen. Sie machten nicht eine einzige Bemerkung, und Akka war ganz erstaunt. »Tagklar hat früher von ihren Ungezogenheiten gehört und ihnen gesagt, daß sie sich wie gebildete Tiere benehmen sollen,« dachte die Führergans.
Aber als die Schwäne sich so recht bemühten, gute Lebensart zu zeigen, erblickten sie den weißen Gänserich, der in der langen Reihe der Gänse als der letzte geschwommen kam. Da ging ein Brausen der Verwunderung und der Empörung durch die Schar, und mit einem Schlage war es vorbei mit dem feinen Wesen.
»Was ist das?« rief einer von ihnen. »Wollen die wilden Gänse jetzt weiße Federn haben?«
»Sie bilden sich doch wohl nicht ein, daß sie deswegen Schwäne werden!« schrien sie von allen Seiten.
Sie riefen alle durcheinander mit ihren klangvollen, starken Stimmen. Es war nicht möglich, ihnen zu erklären, daß es eine zahme Gans sei, die mit den Wildgänsen gekommen war.
»Das ist wohl der Gänsekönig selbst, der da kommt,« spotteten sie.
»Ist das eine bodenlose Unverschämtheit!«
»Es ist ja gar keine Gans, es ist nur eine zahme Ente!«
Der große Weiße gedachte Akkas Befehl, sich nicht an das zu kehren, was sie zu hören bekämen. Er schwieg ganz still und schwamm so schnell er konnte, aber es half ihm nichts; die Schwäne wurden immer zudringlicher. »Was für eine Kröte hat er da auf dem Rücken?« fragte einer. »Sie glauben wohl, wir können nicht sehen, daß es eine Kröte ist, weil sie wie ein Mensch gekleidet ist.«
Die Schwäne, die bisher in einer so hübschen Ordnung dagelegen hatten, schwammen nun in der wildesten Verwirrung bunt durcheinander. Alle drängten sich vor, um die weiße Wildgans zu sehen.
»So ein weißer Gänserich sollte sich schämen, sich vor uns Schwänen sehen zu lassen.«
»Er ist, weiß Gott, ebenso grau wie die anderen. Er hat sich nur auf einem Bauernhof in einen Milchkübel getaucht.«
Akka war gerade bis zu Tagklar gelangt und wollte ihn eben fragen, womit sie ihm helfen könne, als er auf die Erregung aufmerksam wurde, die unter dem Schwanenvolk entstanden war. »Was ist denn da los? Habe ich nicht befohlen, daß sie höflich gegen Fremde sein sollen?« sagte er und sah sehr unzufrieden aus.
Schneefried, die Schwanenkönigin, schwamm hin, um ihre Leute in Ordnung zu halten, und Tagklar wandte sich wieder an Akku. Da kam Schneefried zurück und sah sehr erregt aus. »Kannst du sie nicht zum Schweigen bringen?« rief ihr der Schwanenkönig entgegen.– »Da ist eine weiße Wildgans,« erwiderte Schneefried. »Das ist doch wirklich ein Skandal. Es wundert mich nicht, daß sie empört sind.«
»Eine weiße Wildgans?« sagte Tagklar. »Das ist zu arg. Das gibt es ja gar nicht! Du mußt dich geirrt haben!«
Das Gedränge um den Gänserich Martin wurde immer größer, und die anderen Wildgänse versuchten, zu ihm hin zu schwimmen, aber sie wurden hin und her gepufft und konnten nicht an ihn heran gelangen.
Der alte Schwanenkönig, der der stärkste von ihnen allen war, setzte sich jetzt schnell in Bewegung, schob alle die anderen zur Seite und bahnte sich einen Weg zu dem Weißen. Aber als er sah, daß da wirklich eine weiße Gans auf dem Wasser lag, wurde er ebenso zornig wie alle die anderen. Er fauchte vor Wut, ging geradeswegs auf den Gänserich Martin los und riß ihm ein paar Federn aus. »Ich will dich lehren, du Wildgans, so aufgeputzt zu uns Schwänen zu kommen!« sagte er.
»Flieg’, Gänserich Martin, flieg’!« rief Akka, denn sie sah ein, daß die Schwäne dem großen Weißen jede Feder ausrupfen würden. Und »flieg’! flieg’!« rief auch Däumling. Aber der Gänserich lag so zwischen den Schwänen eingeklemmt, daß er keinen Platz bekommen konnte, um die Flügel zu heben. Und von allen Seiten streckten die Schwäne ihre starken Schnäbel vor, um ihm die Federn auszurupfen.
Der Gänserich Martin verteidigte sich nach besten Kräften, er biß und schlug, und die anderen Wildgänse gingen auf die Schwäne los. Aber es war klar, wie das Ende hätte ausfallen müssen, wenn sie nicht ganz unerwartet Hilfe bekommen hätten.
Da war ein Rotschwänzchen, das hatte gesehen, daß die Wildgänse zwischen den Schwänen in die Klemme geraten waren, und es stieß sofort den scharfen Warnungsschrei aus, dessen sich die kleinen Vögel bedienen, wenn es gilt, einen Habicht oder einen Falken in die Flucht zu schlagen. Und kaum war der Ruf dreimal ertönt, als alle die kleinen Vögel der ganzen Umgegend auf blitzschnellen Schwingen in einem großen, lärmenden Schwarm nach Hjälstaviken hinabschossen.
Und diese armen, schwachen Kleinen warfen sich über die Schwäne. Sie kreischten ihnen in die Ohren, sie versperrten ihnen die Aussicht mit ihren Flügeln, sie machten sie ganz verwirrt mit ihrem Flattern, sie brachten sie ganz außer sich, indem sie riefen: »Schämt euch, ihr Schwäne! Schämt euch, schämt euch, ihr Schwäne!«
Der Überfall der kleinen Vögel währte nur wenige Augenblicke, aber als sie fort waren und die Schwäne wieder zur Besinnung kamen, da sahen sie,