GRAHAMS PRÜFUNG (Survivor). A.R. Shaw

GRAHAMS PRÜFUNG (Survivor) - A.R. Shaw


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so hoffte Graham, von all dem Irrsinn, Siechtum und Tod. Nun, da er von Campos wusste, würde er einen guten Plan brauchen, damit er und Bang diesen Ort sicher verlassen konnten.

      Leider verlief der Weg zur Blockhütte geradewegs durch das problematische Gebiet. Sie waren von allen Seiten von Mensch und Natur eingeschlossen. Um auf die andere Seite des Highways zu gelangen, der als Überführung wie ein Damm über die Siedlung hinwegführte und auf beiden Seiten mit Betonwänden versehen war, mussten sie unter der Brücke hindurch. Genau dort hauste Campos. Was er über den Kerl gelesen hatte, klang ziemlich übel. Leider war die Immunität gegen das Virus nicht auf gute Menschen beschränkt, wie Grahams Vater immer zu sagen pflegte.

      Bevor er schlafen ging, reinigte Graham sein Gewehr, so wie er es in den meisten Nächten zu tun pflegte. Er mochte die vertraute, immer gleiche Aufgabe. In der letzten Zeit hatte diese Routine sein ursprüngliches Einschlafritual, ein oder zwei Kapitel eines dystopischen Romans zu lesen, abgelöst. Neuerdings ähnelte die Welt da draußen der Welt in den Romanen zu sehr, um das Lesen wie früher genießen zu können.

      Nachdem er mit seinem Gewehr fertig war, legte sich Graham ins Bett. Trotz allem, was heute geschehen war, dauerte es nur wenige Minuten, bis er eingeschlafen war.

      5| Der Aufbruch

      Kurz bevor Graham erwachte, starb sein Vater in seinen Träumen erneut. Die verzweifelten Appelle und die Versuche, Graham noch in den letzten Minuten die zum Überleben notwendigen Ratschläge mitzugeben, hallten in ihm nach. Er rieb sich den Schlaf aus den Augen und gähnte. Plötzlich sah er, noch benommen, den kleinen Jungen auf dem anderen Bett sitzen. Er saß mit dem Rücken gegen das Kopfende gelehnt. Für einen Moment ergab das Bild keinen Sinn. Dann kam alles wieder, was Graham am gestrigen Tag widerfahren war: Zwei Menschen verlieren, einen gewinnen. Der neue Tag brachte ein neues Ziel mit sich, eines, auf das Graham hinarbeiten konnte. Denn jetzt hatte er ein Kind, für das er verantwortlich war. Und das bedeutete, dass er es vor jeder Gefahr beschützen musste. Er spürte die Last seines Versprechens, aber empfand keinen Groll, auch wenn das alles unvermittelt über ihn hereingebrochen war.

      Zeit, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden. Denk an Hyun-Oks Warnung.

      »Guten Morgen, Bang. Hast du gut geschlafen?«

      Der Junge nickte. Graham konnte an Bangs traurigem Gesicht erkennen, dass sich auch für ihn die gestrigen Ereignisse zu einer neuen Realität formten. Bang ließ sich auf sein Kissen zurückfallen.

      »Ich werde heute Morgen noch einmal duschen, weil wir uns nachher auf den Weg machen und wahrscheinlich eine Weile lang kein Wasser zum Waschen haben werden. Zumindest, bis wir an unserem Ziel angekommen sind. Wenn ich fertig bin, kannst du auch eine Dusche oder ein Bad nehmen. Was immer du möchtest. Du kommst in der Dusche klar, ja?«

      Bang nickte und fragte dann: »Wo gehen wir hin?«

      »Weg von hier. An einen sicheren Ort. Du wirst bald sehen.«

      Verdammt! Ich weiß nicht, wie ich mit einem Fünfjährigen umgehen soll. Ich glaube, ich lasse ihn die Sache mit der Dusche am besten selbst herausfinden, und wenn er sauber herauskommt, dann soll es recht sein. Ein schmutziger kleiner Junge ist die geringste meiner Sorgen. Ist auch egal, wir werden bald genug beide ziemlich verdreckt sein.

      Graham holte frische Kleidung, ging ins Badezimmer und drehte das heiße Wasser auf. Am liebsten hätte er seine Trauer und seine Angst vor der ungewissen Zukunft abgespült. Sieht so aus, als müsste ich einen Weg hier heraus finden, und zwar ohne Motorengeräusche. Sein Pick-up war damit aus dem Spiel. Dann kam ihm eine Idee: Vielleicht konnten sie die Fahrräder nehmen, die in der Garage standen. Doch er hatte keine Ahnung, ob Bang schon einmal mit dem Fahrrad gefahren war. Das Rad seiner Nichte hatte ungefähr die richtige Größe.

      Graham hoffte, dass der Junge Radfahren konnte. Es ihm in der Einfahrt vor dem Haus beizubringen wäre zu riskant. Als er darüber nachdachte, wurde ihm etwas klar. Für ihn wäre es schon der Gipfel gelebter Elternschaft, einem Kind irgendetwas beizubringen, das er kaum kannte. Er war als Vormund bestenfalls ein Anfänger und fühlte sich absolut unvorbereitet. Er wünschte, er könnte ins Nachbarzimmer gehen und seinen Vater fragen. Stattdessen musste er auf die Erinnerungen und Erfahrungen seiner eigenen Kindheit zurückgreifen. Seine Eltern hatten seine Schwester und ihn anständig großgezogen, also würde er sich im Zweifelsfall einfach fragen, was seine Mutter oder sein Vater getan hätten. Er hatte Hyun-Ok ein Versprechen gegeben, und er wollte es halten.

      Heute war der Tag gekommen, an dem er den Plan in die Tat umsetzen würde, über den sein Vater und er immer wieder gesprochen hatten, nur mit dem Unterschied, dass dieser Plan ursprünglich keinen kleinen Jungen enthalten hatte. Dieser Umstand würde ihn sicherlich verlangsamen, aber er war in seinem ganzen Leben kein Einzelgänger gewesen und fing an, sich für die Idee zu erwärmen. Zumindest hatte er jetzt einen vernünftigen Grund zu reden, und das zu einem anderen Menschen.

      Nach dem Duschen überlegte Graham, ob er sich rasieren sollte, aber irgendwie konnte er sich nicht dazu durchringen. Der Blick auf sein Spiegelbild zeigte einen erschöpften Mann voller Trauer. Es war jemand, den er nicht kannte.

      Er ging ins Schlafzimmer, wo er eine sorgfältig zusammengelegte blaue Bettdecke, aber keinen Jungen fand. »Bang?«, rief er voller Panik und verfluchte sich dafür, dass er dieses Mal die Tür zum Bad nicht offengelassen hatte. Aber er musste nicht lange suchen. Graham fand Bang in der Küche, wo er durch die Glastür zum Grab seiner Mutter blickte.

      Die Augen des Jungen sahen immer noch verschlafen aus. »Alles klar, Kamerad, du bist dran«, sagte er erleichtert. Bang nahm, ohne Graham anzusehen, seinen Rucksack und stapfte an ihm vorbei durch den Flur und in das dampfende Badezimmer. Graham sah zu, wie er die Tür schloss. Irgendwie konnte er sich nicht recht vorstellen, dass der Junge alles alleine hinbekam, so klein, wie er war.

      Graham schaltete ein letztes Mal die Keurig-Kaffeemaschine ein und lehnte sich an den Küchentresen. Sein Vater und er hatten oft Witze darüber gemacht, wer als erster von ihnen sterben und wer die letzte Tasse Kapsel-Kaffee bekommen würde. Sein Vater hatte das die ›Last-Man-Standing-Trophäe‹ getauft. Graham drehte die weiße Kaffeekapsel ein paar Mal zwischen den Fingern hin und her. Schließlich öffnete er den Kapselschacht, legte die Kapsel ein und ließ die Verriegelung mit dem vertrauten Geräusch zuschnappen. Diese eine Tasse Kaffee, die letzte, die noch übrig war, wirkte wie ein morbides Symbol.

      Er ließ die Maschine ihr Programm durchlaufen. Das angenehme Aroma frisch gebrühten Kaffees verteilte sich im Raum. Die ersten Tränen des Tages rollten sanft über seine eingefallenen Wangen. Graham hob die dampfende Tasse in einer Art stillem Trinkspruch zu Ehren seines verstorbenen Vaters, bevor er das schwarze Gebräu hinunterschlürfte. Er brauchte den Koffeinkick, um diesen Tag zu beginnen. Sein Vater hatte recht gehabt. Auch ohne den ausgefeilten Fluchtplan in der Tasche würde es Graham hier in der Stille nicht lange aushalten.

      Bang tauchte wieder aus dem Bad auf und schlurfte durch den Flur auf Graham zu, wobei er seinen Rucksack hinter sich herzog. Er sah ziemlich sauber aus und roch auch so.

      »Gut gemacht, Junge«, sagte Graham. »Gut siehst du aus. Lass uns frühstücken und dann zusammenpacken. Wir haben noch eine Menge zu tun, bevor es losgeht.«

      Graham hob den Jungen auf die Arbeitsplatte aus Granit. Er wollte mit ihm reden, während er ein paar übrig gebliebene Bohnen und etwas Reis warm machte. Er hatte vor ein paar Tagen genug gekocht, damit sein Vater und er ein paar Tage satt wurden. Jetzt würde er einiges wegwerfen müssen.

      Zum Glück für Grahams Familie hatten die Südstaaten-Gene seiner Mutter dafür gesorgt, dass es immer einen großen Vorrat an Lebensmitteln gab. Stets hatte sie Fünfundzwanzig-Pfund-Säcke mit Pinto-Bohnen und Reis eingelagert. Sie hatte jede Woche bei Costco eingekauft und war immer auf Notfälle vorbereitet gewesen. Nachdem sie die Nachwehen mehrerer Wirbelstürme, Dürren und anderer Katastrophen während ihrer Kindheit in Texas erlebt hatte, fand sie es nur folgerichtig, vorbereitet zu sein.

      Zwar hatten alle in kurzer Zeit genug von Bohnen und Reis gehabt, aber sie hatten nie hungern müssen. Graham nahm eine zweite Schüssel für


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