DARK ISLAND. Matt James
Schnee von gestern«, entgegnete Julia. »Das bedeutet allerdings nicht, dass so was je wieder passieren darf. Verstehen wir uns? Wenn du es nochmal so vermasselst, bist du raus, okay? Mehr als das hier kann ich nicht für dich tun.«
Mack nickte. »Ich werd‘s wieder gut machen.«
Julia lächelte. »Das ist mein Mädchen. Ich schicke dir alles an Material, das wir haben, per E-Mail. Viel Glück.« Mack wollte die Verbindung gerade unterbrechen, als Julia sagte: »Einen Moment noch, Mackenzie. Ich habe noch etwas für dich.«
Sie verfolgte, wie die ältere Frau etwas eintippte und dann ein bisschen zu kräftig die Enter-Taste drückte. Im Laufe der Jahre hatte Julia eine gewisse Abneigung gegen das Tippen entwickelt. Hin und wieder machte Mack sich einen Spaß daraus, Julia damit aufzuziehen, um das Blut der Chefredakteurin in Wallung zu bringen. Mit der Zeit hatte Julia ein gutes Maß an Tastaturen verschlissen, um die Schuld daran natürlich jedes Mal bei der schäbigen Qualität der Keyboards zu suchen, anstatt bei sich selbst. Heute jedoch entschied Mack, angesichts all dessen, was Julia für sie getan hatte, diesbezüglich die Klappe zu halten.
»Ich habe das Material an deine private E-Mailadresse geschickt. Diese Dokumente haben deinen Vater überhaupt erst auf die Sache aufmerksam werden lassen. Darunter ist ein Foto, das vor etwa acht Jahren aufgenommen wurde. Das Bild wurde sofort als Fälschung abgetan, aber Peter schien diesbezüglich anderer Ansicht zu sein.« Sie lächelte. »Vielleicht helfen dir diese Unterlagen irgendwie weiter.«
Der Bildschirm wurde dunkel.
Mack blinzelte angestrengt. »Madagaskar …«
Gedankenverloren starrte sie das folierte Poster in ihrem Arbeitszimmer an. »Häh?« Aus irgendeinem Grund war ihr das bislang noch nie aufgefallen, aber direkt neben der Insel prangte ein schwarzes Fragezeichen. Ihr Vater hatte regelmäßig Notizen auf die Plakate gekritzelt, die um sie herum an den Wänden hingen. Deshalb bestand er darauf, dass sie mit Folie überzogen waren. Außerdem war immer ein Whiteboard-Stift in greifbarer Nähe.
»War das schon die ganze Zeit da?«
Mack hatte sich zuletzt lange vor dem Tod ihres Vaters mit dem Kontinent beschäftigt, weshalb ihr nie in den Sinn gekommen war, die Karte eingehender in Augenschein zu nehmen; tatsächlich hatte sie sie bislang kaum eines Blickes gewürdigt, wurde ihr jetzt klar. Das Fragezeichen zauberte ihr ein Grinsen ins Gesicht. Sie war noch nie darauf aus gewesen, die Lorbeeren für das Werk ihres Vaters selbst einzuheimsen. Vielmehr hatte er Mack bei ihren Aufträgen unterstützt, und jetzt würde sie ihr Bestes geben, um ihm bei seinem letzten Job zu helfen.
Sie legte ihre Hand flach auf die Mitte des Plakats und schloss die Augen.
»Ich werde dich stolz machen.«
Dann drehte sie sich um und ging zum Schreibtisch hinüber, um mit einem raschen Wackeln der Maus den Computer zu wecken. Sobald der Rechner bereit war, rief sie mit einem Doppelklick ihre E-Mails auf und öffnete die neueste in ihrem Posteingang. Das gepackte File, das Julia ihr geschickt hatte, war wirklich ziemlich groß.
Als Erstes schaute sich Mack das Foto an, von dem ihr Dad geglaubt hatte, es sei echt. Das Bild zeigte die Knochen einer Kreatur, die am Fuße des östlichen Steilhangs des Andringitra-Bergmassivs gefunden worden war. Die sterblichen Überreste maßen etwa einen Meter fünfzig in der Länge und wiesen ein filigranes Paar Flügel und ein Maul voller kleiner, dolchartiger Zähne auf. Diese besondere Spezies … − »Ähm, Rahonavis ostromi«, sagte sie laut und mit deutlicher Betonung. − … lebte bekanntermaßen ursprünglich in dem Gebiet, das später zu Madagaskar werden sollte.
Rasch überflog sie die Notizen ihres Vaters unter dem eingescannten Foto.
Millionen Jahre alt. Von wegen …
Als sie die Notizen ihres Vaters studierte, fielen ihr zwei Dinge an dem Kadaver auf dem Foto auf. Erstens: Er war viel zu groß, um zur Gattung der Rahonavis zu gehören, von denen es vor all diesen Jahren in dieser Region nur so gewimmelt hatte. Und zweitens: Die sterblichen Überreste auf diesem Bild waren mit Sicherheit keine Äonen alt.
Im Gegenteil.
Sie waren frisch.
Kapitel 2
Flughafen Antananarivo, Madagaskar Eine Woche später
Obgleich ihr Auftraggeber die Kosten für nahezu alle nötigen Ausgaben übernahm, gehörte der Becher heißen, dampfenden schwarzen Kaffees, die sie gerade bestellt hatte, nicht dazu. Ihre zahlreichen Flüge in der Holzklasse gehörten nicht unbedingt zu den angenehmsten Erfahrungen ihres Lebens. Schon jetzt graute es ihr vor dem Heimflug. Glücklicherweise sah das einheimische Gebräu stark wie die Hölle und schwärzer als die Nacht aus. Genau das Richtige in diesem Moment. Damit konnte sie gegen ihre gedrückte Stimmung ankämpfen, anstatt auf andere den Eindruck zu machen, als hätte sie einen richtig üblen Kater. Wobei das in gewisser Weise sogar zutraf, bloß mit dem Unterschied, dass sie keinen einzigen Tropfen Alkohol getrunken hatte.
Ihr Ziel war das Andringitra-Bergmassiv oder vielmehr die kleinen Städte und Dörfer rings herum. Der Gebirgszug lag gute 230 Meilen vom Flughafen entfernt, und die einzige Möglichkeit, um dorthin zu gelangen, bestand darin, den Bus zu nehmen oder einen Wagen zu mieten. Da sich ihr Wunsch, die größtenteils unbefestigten Straßen auf eigene Faust zu bewältigen, arg in Grenzen hielt, war Mack zu dem Schluss gelangt, dass die öffentlichen Verkehrsmittel in diesem Fall die bessere Wahl waren, obwohl sie die Strecke vermutlich auch irgendwie allein hinter sich gebracht hätte. Die Schotterpisten waren viel genutzt und wirkten fest und eben, doch letzten Endes entschied sie sich dagegen, um auf Nummer sicher zu gehen.
Was, wenn ich mitten im Nirgendwo liegenbleibe? Diese Möglichkeit wollte sie von vornherein ausschließen, denn das war ihr schon einmal passiert, im australischen Outback. Sie musste damals sechs Stunden warten, bis am Ende zufällig jemand vorbeikam.
Mack wuchtete den Seesack auf ihre Schulter und ging zum Straßenrand hinüber, während sie ihren Rucksack zurechtrückte. Sie suchte sich ein schattiges Plätzchen, ließ ihr schweres Gepäck vor ihre Füße fallen, stand da und streckte ihre Beine, während sie auf die Ankunft des hoffentlich mit einer Klimaanlage gesegneten Busses wartete. Das Letzte, wozu sie Lust hatte, war, in einer mobilen Sardinenbüchse mit einer Gruppe Menschen eingepfercht zu sein, die alle genauso schwitzten sie wie selbst.
Ungeachtet des Umstands, dass sie kein Gramm Fett am Leib hatte, transpirierte Mack wie ein Schwein. Genau wie ihr Dad es immer getan hatte. Früher hatten sie sich darüber amüsiert. Jetzt indes weckte die Erinnerung daran eine Traurigkeit in ihr, von der sie hoffte, dass sie sich eines Tages legen würde. Sie wollte sich auf eine gute, positive Weise an diese Dinge entsinnen. In diesem Moment jedoch weckten sie in ihr bloß ein Gefühl des Bedauerns – so, als hätte sie mehr für ihren Vater tun können, als sie getan hatte.
Um sich vom Gedanken an ihren Dad abzulenken, ließ Mack ihren Blick über den Horizont schweifen und verlor sich in der wunderschönen Weite des Nichts, die so viele afrikanische Länder auszeichnete. Als jemand, der in und um Washington, D. C. aufgewachsen war, wusste Mack schlichte, offene Landschaften wie diese hier ganz besonders zu schätzen. Sie vermittelten ihr ein Gefühl von Freiheit.
Nach einer Viertelstunde Warterei tauchte ihr Transportmittel schließlich auf. Für einen Moment hatte sie schon befürchtet, der Bus würde nicht kommen. Wäre so etwas zuhause passiert, hätte Mack gewusst, dass das Busunternehmen einfach ein anderes Fahrzeug schicken würde, um für Ersatz zu sorgen. Doch auf Madagaskar … sie vermochte nicht einmal zu sagen, ob es hier überhaupt einen zweiten Bus gab!
Sie bedachte das Gefährt mit einem erleichterten Lächeln; es war voll verkleidet, wenn auch so verschlissen, wie man es sich nur vorstellen konnte. Sie schnappte sich ihre Habseligkeiten, eilte zur Vorderseite des Busses und stöhnte genüsslich, als die Tür aufging und ihr eine Woge kühler Luft entgegenschlug. Der Fahrer kam heraus, schenkte ihr ein Lächeln, nahm ihr den Seesack ab und verstaute ihn unten in der Kofferablage.
Ihren