Fjorgaar - Der rote Vogel. Dorothea Bruszies

Fjorgaar - Der rote Vogel - Dorothea Bruszies


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ab.

      »Du solltest darüber nachdenken, den Saft zu trinken, anstatt ihn einzuatmen«, schlug Liz vor. Sie war an Ben herangetreten, ohne dass er sie bemerkt hatte.

      Er wandte sich zu ihr um, auch wenn er dies lieber nicht getan hätte. »Eine sehr gute Idee.« Mit einem gequälten Grinsen griff er erneut nach dem Glas, ohne jedoch einen Schluck zu nehmen.

      Liz beobachtete ihn noch immer. »Und jetzt?«, fragte sie. »Kommst du wieder ins Wohnzimmer rüber oder willst du dich noch ein wenig in der Küche verstecken?«

      Schnaubend, als entrüste er sich über eine unsinnige Anschuldigung, drückte Ben sich an ihr vorbei, ging zurück ins Wohnzimmer und setzte sich in den Sessel, in dem zuvor Liz gesessen hatte. Diese ließ sich auf der Couch nieder. Sie stellte ihm keine Fragen mehr, starrte ihn dafür jedoch schweigend und regungslos an – was die Sache kaum besser machte.

      »Jetzt hör schon auf damit«, bat Ben sie schließlich. Er drehte das Glas, welches er noch immer nicht abgestellt hatte, unablässig zwischen seinen Händen. Auch wenn er wusste, dass er dadurch seine Unruhe klar zur Schau stellte, konnte er diese Handlung doch nicht unterlassen.

      »Womit?« Liz’ Miene zeigte nicht die geringste Regung.

      »Mach bitte keine große Sache daraus.«

      »Du machst eine große Sache daraus, indem du nicht mit mir darüber reden willst. Ist es wegen deinem Großvater?«

      Ben warf ihr einen sehr bösen Blick zu und schüttelte energisch den Kopf. Dann nippte er an seinem Saft. »Ich hatte eine schlechte Nacht, das ist alles.«

      »Und das wolltest du mir nicht sagen?«

      »Ich hatte einen unangenehmen Traum. Nichts weiter.«

      »Und deshalb hast du letzte Nacht nicht geschlafen?«, fragte Liz, als sei sie schwer von Begriff.

      »Ich hatte den Traum schon häufiger. Immer in leichten Variationen, aber grundsätzlich dasselbe«, gestand Ben ein.

      »Und was träumst du?«

      »Das ist doch egal.«

      »Offensichtlich ist es das nicht, Ben. Immerhin hast du danach nicht mehr geschlafen.«

      »Ja, das Thema hatten wir schon. Und jetzt lass uns überlegen, was wir heute machen wollen.«

      Liz fixierte Ben. »Du weißt, was ich will«, stellte sie trocken fest.

      »Einen kleinen Eisbär mit rosarotem Fell als Haustier?«, versuchte Ben, zu scherzen, entlockte seiner Freundin aber noch nicht einmal ein Schmunzeln.

      »Ben! Ich werde nicht aufhören, dich zu nerven, bis du mir antwortest«, beharrte sie.

      »Antworten worauf?«

      Wären Liz’ Augen in der Lage gewesen, Gift zu versprühen, wäre Ben vermutlich auf der Stelle tot umgefallen. Sie presste ihren Mund zu einer schmalen Linie zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust – vermutlich, um sich selbst daran zu hindern, ihn zu erwürgen.

      Seufzend fuhr sich Ben durch die Haare, dann ließ er die Hand wieder sinken. »Vielleicht sollte ich besser wieder gehen.«

      Liz schwieg und starrte.

      »Komm schon, ich hatte mich auf einen schönen Tag mit dir gefreut.«

      Liz schwieg noch immer.

      »Wir könnten doch schon mal wegen Frankreich planen.«

      Schweigen.

      Ben nahm wieder einen Schluck von seinem Saft. »Wie du meinst …« Er stand auf. »Dann sehen wir uns irgendwann die Tage wieder.«

      Erst als er beinahe bei der Haustür angelangt war, ergriff Liz das Wort: »Wenn du jetzt gehst, braucht du nicht wiederzukommen.«

      Ben drehte sich nicht zu ihr um, als er antwortete: »Oh, komm schon. Aus welchem Film hast du den Spruch?«

      »Ich meine es ernst.«

      Ben raufte sich die Haare. Er stand unverändert vor der Haustür, wagte es aber nicht, den letzten Schritt zu tun. »Mir ist es auch ernst, verdammt. Ich will nicht darüber reden. Ich will es einfach vergessen und nicht noch sinnlos breittreten«, sagte er mit unbeabsichtigter Ehrlichkeit.

      »Natürlich willst du das«, stieß Liz zwischen den Zähnen hervor. »Du willst immer alles ignorieren und unterdrücken, was dich allzu sehr belasten könnte. Solange, bis du dann wieder explodierst.« Ben wollte widersprechen, doch Liz ließ ihn erst gar nicht zu Wort kommen. »Wenn dir wirklich etwas an unserer Freundschaft liegt, setzt du dich jetzt augenblicklich wieder hin und redest mit mir. Ohne herumzuzicken oder davonzurennen. Ich werde es mir nicht mehr länger mit ansehen, wie du alles in dich hineinfrisst. Also, entweder du bleibst und redest oder du verschwindest und kommst nicht wieder. Deine Entscheidung.«

      Bens erster Reflex war, mit einem lauten Türknallen aus der Wohnung zu verschwinden. Doch der Unterton in Liz’ Stimme hielt ihn zurück. Sie klang ungemein ernst und entschlossen. Was, wenn Liz ihre Drohung tatsächlich wahr machen würde? Aber ihm die Freundschaft zu kündigen, ginge doch bestimmt zu weit. Das würde sie nicht wirklich tun? Nicht wahr?

      Bens Hand lag bereits auf der Türklinke. Es wäre so einfach, zu gehen.

      Mit einem lauten Aufstöhnen, das beinahe schon ein Knurren war, wandte er der Tür den Rücken zu und ging zurück zu Liz. Ben setzte sich wieder in den Sessel.

      »Ich erzähle nur von dem Traum«, stellte er mit fester Stimme klar.

      Liz zeigte weder Zustimmung noch Ablehnung. »Fang an«, sagte sie.

      Also schilderte Ben mit möglichst wenigen Worten und ohne Ausschweifungen die typischen Bestandteile seiner Träume. Er erzählte von dem Vogel, dem Hexenhaus, dem Gefühl des Ertrinkens und dem Mann. Für einen kurzen Augenblick hatte Ben es in Betracht gezogen, zu lügen. Er könnte einen Albtraum erfinden, etwas Grusliges, aber dennoch durch und durch Harmloses, um Liz klarzumachen, wie unsinnig ihre Besorgnis war. Doch im gleichen Moment schalt er sich innerlich einen Idioten. Ein Traum blieb ein Traum. Warum sollte er sich deshalb Umstände machen? Reichte es nicht aus, dass Liz dem eine derartige Bedeutung zumaß?

      Doch obwohl Ben seine Schilderung so sachlich und detailarm wie möglich hielt, geschah etwas Beunruhigendes: Er spürte Furcht und Unbehagen in sich aufsteigen, glaubte für einen Moment gar das unglückliche Gesicht des Mannes vor sich zu sehen. Diese Reaktion behielt er wohlweislich für sich.

      Liz hörte ihm aufmerksam zu, während ihre dunklen Augen sich in die seinen bohrten. Als Ben am Ende seiner Schilderung angelangt war, verschränkte sie ihre Finger ineinander, wie sie es immer zu tun pflegte, wenn sie angestrengt nachdachte. Oder auch, wenn sie vorgab, angestrengt nachzudenken.

      »Vielleicht hat das irgendetwas mit deiner Vergangenheit zu tun«, mutmaßte Liz. Doch dieser Gedanke war ihr eindeutig kein neuer.

      Ben runzelte unwillig die Stirn. »Ja, vielleicht habe ich als Kind einen schlechten Film gesehen, den mein armes Unterbewusstsein noch immer nicht verarbeiten konnte«, erwiderte er möglichst spöttisch. Diesmal war er derjenige, der Liz nicht zu Wort kommen ließ. »Ich habe dir von dem Traum erzählt. Etwas, das ich definitiv nicht tun wollte. Das ist mehr als genug.«

      »Und bei Weitem nicht alles«, warf Liz dazwischen.

      »Und bei Weitem alles, über das ich jetzt sprechen werde.« Ben war entschlossen, diesmal nicht klein beizugeben. Es war sein verdammtes Recht, nicht über persönliche Dinge zu sprechen, wenn er dies nicht wollte. Außerdem gab es ohnehin nichts mehr zu erwähnen. Zumindest nichts von Belang. Nicht, dass die Träume von Belang gewesen wären. »Wir können ein anderes Mal weiterreden«, schlug er vor. Natürlich ohne dieses Angebot ernst zu meinen.

      »Ein anderes Mal bedeutet bei dir: nie«, hielt Liz ihm vor.

      Ben schüttelte entschlossen den Kopf. »Ein anderes Mal bedeutet genau das, was es aussagt.« Das tut es natürlich nicht. »Ich habe getan, was du wolltest.


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