Das Glück ist immer da! Heitere Geschichten und Plaudereien. Otto Ernst Schmidt

Das Glück ist immer da! Heitere Geschichten und Plaudereien - Otto Ernst Schmidt


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und denn kauf' ich mir 'ne Ziege.« Sie mochte sich vorstellen, daß eine Ziege so einige tausend Mark koste, und wir hüteten uns schwer, dieses wohltätige Dunkel aufzuhellen.

      Gelegentlich vertauschte Roswitha die direkte Methode mit der indirekten. Sie redete dann nicht zu den Eltern, sondern zu den Geschwistern von Ziegen, natürlich nur, solange mindestens eines der Eltern in Hörweite war. Sie schilderte in lebendigen Farben das Werden und Wachsen, das Leben und Treiben, das Springen und Meckern – kurz: der Ziegen über alles bezaubernde Schönheit und Anmut. Gelegentlich streifte mich von unten herauf ein forschender Blick, den ich auch dann sah, wenn ich sie nicht anblickte, den ich mit jenen Augen wahrnahm, die man im Rücken und an beiden Seiten hat.

      Als einmal wieder die Weihnacht nahe war, kam es zu einem kleinen Vorpostengefecht. Roswitha wurde nach ihren Wünschen gefragt.

      »Mein höchster Wunsch ist ja natürlich 'ne Ziege; aber –«

      »Aber, Liebling,« rief meine Frau, »wie sollen wir denn hier in der Stadt eine Ziege halten! Wenn wir so ein Tierchen anschaffen, muß es doch auch sein Recht haben! Wo sollen wir's denn unterbringen!«

      »Hm,« machte Roswitha mit nachdenklichem Gesicht, »in der Küche kann sie ja nicht sein.«

      »Nein,« erklärte meine Frau entschieden, »in der Küche kann sie nicht sein!« Dieser Versuchsballon war geplatzt.

      »Das arme Tierchen würde sich gar nicht wohl fühlen bei uns,« versicherte meine Frau.

      Damit hatte sie die richtige Stelle in Roswithens Herzen getroffen. Nein, wenn es sich nicht wohl fühlte, dann ging's nicht, das sah sie ein, sah sie wenigstens für einige Monate ein. Länger dauern menschliche Einsichten ja selten, weil inzwischen das Zuckerrohr der Wünsche wieder mächtig herangewachsen ist.

      Unglücklicherweise mußte sie über den Robinson geraten. Hatte Heidi eine Ziege gehabt, so hatte Robinson eine ganze Insel voll wilder Ziegen, aus denen er sich nur aussuchen konnte. Ich bin überzeugt, der arme Verschlagene erschien ihr als der beneidenswerteste der Menschen, weil er in Ziegen förmlich schlampampen konnte.

      Und dann kaufte ich ein Haus auf dem Lande, und noch eh' wir's beziehen konnten, fuhren wir täglich hinaus und erquickten uns an der frischen, unverbildeten Natur, an den duftenden Hainen und Hecken, an den saftiggrünen Wiesen, auf denen man endlich einmal wieder unbekleidetes Rindvieh sah. Und endlich nahmen wir Besitz von dem Hause und dem stattlichen Garten, der vier mehr oder minder ansehnliche Rasenplätze aufwies. Wenn Roswitha jetzt mit ihren Geschwistern von Heidi, Robinson, Polyphem und ähnlichen Glückspilzen sprach, dann hatten ihre Blicke etwas Bohrendes, Sengendes; sie gingen durch Rock und Hemd bis auf die Haut, wie die Sonnenstrahlen aus einem Brennglas.

      Um ein Ende zu machen, schenkten wir ihr einen Dackel namens Männe. Einen Hund zu beherbergen, zu pflegen und zu zügeln, dazu reichten unsere Erfahrungen und tierpädagogischen Talente allenfalls aus. Dieser Dackel verschaffte uns endlich Ruhe. Das klingt zwar widerspruchsvoll, ist aber doch richtig; die Seele hatte Ruhe.

      Ruhe für ein Jahr und fünf Monate. Dann wurde uns klar und klarer, daß Hunde nur als eine Abschlagszahlung auf Ziegen anzusehen sind. Vielmehr: Roswitha betrachtete Männe nur als die Summe der aufgelaufenen Zinsen; der Wechsel war so unbezahlt wie je.

      Ein Unglücksbengel aus dem Dorfe mußte ihr eines Tages erzählen, er könne ihr eine kleine Ziege für eine Mark fünfzig verkaufen.

      Aufgelöst kam Roswitha nach Hause.

      »Vater! Mutter! 'ne Ziege kostet bloß eine Mark fünfzig! Ich hab' ja fünf Mark in mei'm Spartopf; darf ich mir eine holen?«

      »Liebe Roswitha, es ist nicht wegen der Mark fünfzig; eine Ziege braucht doch auch einen ordentlichen Stall, und den haben wir nicht, können wir in unserm Garten auch gar nicht anbringen.«

      Damit war auch dieser Angriff abgeschlagen.

      Eine Woche später, auf einem Spaziergange, zwang sie mich plötzlich, meinen Schritt anzuhalten.

      »Vater, möchtest du dies Haus haben?«

      »Nicht geschenkt!« versetzte ich mit Nachdruck. Es war eine sogenannte »Villa« im denkbar schauerlichsten Maurermeisterstil.

      »Ich möcht' es haben!« hauchte sie sehnsuchtsvoll.

      »Nanu?« rief ich. Ich sah mir unwillkürlich den Zementphantasieschrank noch einmal an. »Warum denn?«

      »Dahinter ist 'n Stall,« sprach sie andachtsvoll.

      Das Verhängnis ging seinen Gang wie in einem Schicksalsdrama. Nachbarkinder, mit denen Roswitha gelegentlich spielte, bekamen eine Ziege zum Geschenk.

      Das hatte ein Gutes: wenn Roswitha weder im Hause noch im Garten zu finden war, wir brauchten uns nicht zu ängstigen, wir brauchten nur zu der nachbarlichen Ziege zu gehen, da war sie. Sie mußte von der Ziege weg zum Essen, sie mußte von der Ziege weg ins Bett geschleift werden.

      Und eines Morgens beim Frühstück begann sie:

      »Vater, ich weiß was. Unten im Keller haben wir doch so 'ne große Bücherkiste, nicht?«

      »Ja!«

      »Da machen wir einfach 'ne Tür hinein, und denn ist das 'n Ziegenstall.«

      Da riß mir die Geduld.

      »Roswitha,« sagte ich ernst, »nun hörst du endlich auf mit deiner Ziege, nun hab' ich's satt. Du bekommst keine Ziege, und damit basta. Schrumm!«

      »Schrumm« hätte ich vielleicht nicht sagen sollen; es paßt nicht in den Ernst eines Ultimatums.

      Aber die Absage wirkte. Roswitha sprach weder von Stall noch Ziege mehr, nicht einmal andeutungsweise, nicht einmal zu den Geschwistern. Sie ging fortan still einher, aber nicht etwa traurig, nicht etwa gedrückt, nein, nur mit der stolz zusammengerafften Kraft eines Entsagenden, der das Unvermeidliche trägt, weil es getragen werden muß, und sich für die verlorenen Freuden der Welt durch gesteigertes Innenleben entschädigt.

      Es war ja vielleicht etwas hart von mir, ihr die Erfüllung ihres sehnlichsten Wunsches zu versagen. Aber meine Frau sowohl wie ich haben nach Begabung und Lebensgang so entsetzlich wenig mit Viehzucht gemein, daß wir uns geradezu davor fürchteten, uns so ein Geschöpf auf den Hals zu laden. Und schließlich soll man seinen Kindern doch auch nicht jeden Wunsch erfüllen. Sie werden ja schon ohnedies viel zu sehr verwöhnt. Es kann ihnen gar nichts schaden, wenn sie einmal mit ungestümer Nase gegen eine verschlossene Tür rennen. Das Leben wird ihnen mehr solcher Türen zeigen. Roswitha schien durch ihren Verzicht gesetzter, ihre Augen, ihr ganzes Gesicht schien seelenvoller geworden zu sein.

      Meine Frau und ich kamen spät in der Nacht aus fröhlicher Gesellschaft heim und wollten uns eben zur Ruhe begeben, da sahen wir auf dem Nachttischchen einen Brief liegen. Auf dem Umschlag stand: »An Mammi und Pappi« von Roswithens Hand. Wir öffneten und lasen gemeinsam:

      »Meine süßen geliebten Wonne-Eltern bitte bitte schenkt mir doch eine ganz kleine Ziege, ich will auch gar nichts zu meinem Geburztag und zu Weinachten haben und ich will mir auch schrecklich Mühe in der Ortografi geben, Du sollst sehen, Mammi, wenn ich groß bin, schreib' ich gans richtich, und ich will auch ein guter Mensch werden und garnicht mehr heftig und jezornig sein. Ich bitte euch so schrecklich, schenkt mir 'ne Ziege, wenn Mutti mich unterrichtet denk ich immer blos an die Ziege. Tausend Billionen Küsse von eurer

      Roswitha.«

      Was soll ich weiter sagen – am nächsten Morgen bewilligten wir die Ziege. Die Wirkung war von ungeahnter Art. Roswitha wollte auf uns zueilen; aber plötzlich warf sie sich auf einen Stuhl und brach in ein herzbrechendes Schluchzen und Wimmern aus.

      Entsetzt liefen wir hinzu: »Was ist denn? Was fehlt dir, Kind?«

      »Uuhuhuhuu, ich freu' mich so – ich freu' mich so, uuhuhuhuuu!«

      Solange sie um ihre Ziege gerungen hatte, hatte sie nie – das mußte man ihr lassen – hatte sie nie versucht, durch Tränen auf meine Stimmung zu drücken. Jetzt brach die aufgestaute Flut mit Allgewalt hervor.


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