Louise Otto: Frauenbewegung Essays, Romane, Biografien & Gedichte. Louise Otto
Familie sich satt essen, das nicht für sie bestimmt war. Aber das nennt die Herrschaft »betrügen« und schreibt es wohl gar in das Gesindebuch. Daß dabei kein Mädchen sich etwas sammeln kann, nur für die Zeit, da sie einmal ohne Dienst ist, geschweige denn für später, ist natürlich. – Die Mädchen, die noch bei Eltern und Geschwistern Aufnahme finden, ziehen es oft vor, statt in Dienst zu gehen, nur »Aufwärterinnen« zu werden. Sie versorgen die häuslichen Geschäfte bei mehreren Personen, besonders einzelnen Herren, und können so oft mehr verdienen denn als Dienstmädchen. Aber da meist ganz junge Mädchen Aufwärterinnen sind, ist ihre Stellung immer eine gefährliche, sie sind sich ganz selbst überlassen, und da sie nur an gewissen Stunden des Tages beschäftigt, übrigens ohne Aufsicht sind, ist es nicht zu verwundern, wenn sie müßiggängerisch und liederlich und endlich auch demoralisiert werden.
Halt! ich sehe neue Verwunderung, daß ich nahe daran bin, der alten Zeit das Wort zu reden, die von den meisten zuletzt angeführten Einrichtungen nichts wußte – nein, wenn nur alle die neuen Einrichtungen des täglichen Lebens nicht auf alten Fundamenten ruhten, diese sind's, die ich auch bekämpfe. Das Gute der alten Zeit ist längst vernichtet, warum will man denn ihr Schlechtes um jeden Preis beibehalten.
Die Erziehung der untern Stände, insbesondere die der Frauen, muß eine ganz andere werden, das ist der Grund, der anders gelegt werden muß – und davon in einem spätern Artikel.
Louise Otto
Die Demokratinnen
Sehen wir einmal mit unparteiischem Auge unter unsern Genossinnen uns um! Vielleicht, daß es uns auf die Weise möglich wird, Schwankende und Unsichere zu befestigen, Zweifelnde zu überzeugen – zurückzuweisen aber auch solche, welche den Namen der Demokratie mißbrauchen oder durch ihr Tun dem Spotte preisgeben.
Prüfen wir nun einmal unsere ganze Partei, die ganze Demokratie der Frauen – tun wir dies sowohl unserer Anhänger als unserer Gegner willen; seien wir streng und aufrichtig gegen uns selbst – wir sind dies sowohl unseren Freunden wie unseren Feinden, vor allem aber sind wir es uns selbst schuldig.
Die Beweggründe, welche die Frauen zur Demokratie geführt haben, sind zweierlei: Die einen sind Demokratinnen durch die Verhältnisse, die andern aus Überzeugung geworden – immer aber wird bei beiden das »Ewigweibliche«, das Moment der Liebe und Hingebung zum Grunde liegen – bei den einen ist es die Liebe und Hingabe an einzelne Personen – bei den andern ist es Liebe und Hingabe an das Allgemeine.
So teilen wir denn die Demokratinnen ein in:
1) Die Forcierten oder Gemachten, die, in Äußerlichkeiten sich gefallend, vor allen Dingen Aufsehen erregen wollen.
2) Die Isolierten oder Zurückgezogenen, das offenbare Gegenstück von jenen, wirken sie nur da, wo sie sicher sind, nicht bemerkt zu werden.
3) Die Frivolen oder Unsittlichen, welche teils die Demokratie zum Deckmantel eines wüsten Lebens brauchen möchten, teils sogar meinen, zu solchem Leben als Demokratinnen berechtigt zu sein.
4) Die Enthusiasmierten oder Begeisterten, die dem Geiste, der sie treibt, folgen, in der frohen Überzeugung, daß sie zuerst ihm gehorchen müssen, unbekümmert um das Urteil der Welt.
Betrachten wir nun diese einzelnen Klassen näher.
I. Die Forcierten oder Gemachten
Wir sagen keineswegs, daß Eitelkeit ein speziell weiblicher Fehler sei. Die Männer sind in dieser Beziehung gerade nicht berechtigt, den Frauen Vorwürfe zu machen, aber leugnen können wir nicht, daß diese ihre Eitelkeit oft in viel äußerlichere Dinge setzen als die Männer und sie auf die kleinlichste Weise zu befriedigen suchen. So gefallen sich die forcierten Demokratinnen darin, die Sitten der Männer nachzuahmen. Sie sind es, welche in den Frauen-Clubs Biertrinken, Gläserklirren und Rauchen einführen möchten, die parlamentarische Ordnung durch Zwischenreden und Opponieren nur um Opposition willen vernichten und überall das letzte Wort haben müssen. Sie müssen ihrer Ansicht nach überall mit dabei sein – weniger um zu hören oder zu nützen, als vielmehr damit man sage: Fräulein N.N. usw. fehlte niemals. Vor allen Dingen liegt ihnen daran, bekannt zu werden und Aufsehen zu erregen. Sie sind nicht kokett oder frivol, sie drängen sich zwar an die Männer, aber sie sehen in diesen viel lieber ihre Duzbrüder als ihre Liebhaber, sie sind mit einem Wort »burschikos«. Es ist bei vielen nur eine Begriffsverwirrung; sie legen die Losung der Demokratie: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit falsch aus – sie meinen, die Freiheit sei auch zugleich ein Freisein von allen zarteren Formen der Schicklichkeit, des Anstandes, der feineren Sitte, die Gleichheit hebe auch den Geschlechtsunterschied auf, daß die Frauen eben auch allen Gewohnheiten der Männer huldigen müßten, und die Brüderlichkeit sei vor allen Dingen durch eine Art Studenten-Konvent zwischen allen Demokraten und Demokratinnen einzuführen. Den meisten Frauen, auch den ungebildeten, sind eben solche Anschauungen nicht natürlich, daher forcieren sie sich zu denselben, und was als Naivetät vielleicht zu entschuldigen wäre, erreicht eben als Gemachtheit den höchsten Grad des Widerwärtigen.
Auch in ihrer Kleidung forcieren sich diese Frauen, oft zeichnen sie sich durch die Nachlässigkeit derselben aus, oder sie wählen Schnitte, die ihnen von weitem das Ansehen von Männer-Gestalten geben, oder auffallende Farben, die gleich als eine Demonstration gelten können.
Doch dies alles sind nur Äußerlichkeiten – und diejenigen, die nun mit ihnen prunkend sich selbst Demokratinnen nennen, verdienten eigentlich diesen Namen gar nicht, und wenn sie nicht selbst sich dazu zählten, würden wir auch nicht nötig gefunden haben, ihrer hier zu gedenken – so geschah es nur, sie zurückzuweisen – aber ein Teil von ihnen forciert sich auch innerlich – und handelt dann eben so forciert.
Die Wirksamkeit solcher forcierten Frauen, z.B. bei den Wahlen oder da, wo es gilt, den Reaktionären die Spitze zu bieten oder übermütige Söldner ein wenig zu demütigen, ist in der Tat gar nicht unbedeutend, obwohl die Heftigkeit, mit der sie bei allen Dingen verfahren, der guten Sache oft ebensoviel schadet als nutzt. Denn viele dieser forcierten haben gute demokratische Grundsätze, denen sie auch jedes Opfer zu bringen bereit sind – aber sie vorcieren sich eben über diese Grundsätze hinaus, indem sie alles auf die Spitze treiben, und wie sie gelegentlich im Schelten und Schimpfen sich Luft machen, so bedarf es nur einer Veranlassung, um aus der Forcierten eine Fanatikerin zu machen – eine jener Furien, von denen der Dichter singt:
»Da werden Weiber zu Hyänen,
Und treiben mit Entsetzen Scherz.«
Die Forcierte ist mit tätig beim Barrikaden-Bau, um auch mit dabei zu sein – nicht aus reiner Begeisterung des Augenblicks, die alles vergißt, sondern aus Eitelkeit, die alles bedenkt, sie gefällt sich mit der Axt in der Hand, und sie muß mit auf der Straße sein, weil ihr nur mitten im Getümmel am wohlsten. Sie hat auch schon immer einen Dolch bei sich getragen und sich oft im Schießen geübt; sie eilt mit in den Kampf, und wir müßten ihren persönlichen Mut ehren, wenn er mehr wäre, als die Folge geflissentlicher Überreizung. – Und wenn nun einst die wirkliche Revolution käme? Zweifeln wir nicht daran: die Forcierten forcierten sich immer weiter, und jene Erscheinungen der ersten französischen Revolution, jene Frauen, die mit kaltem Blute mordeten, die sich selbst zu Priesterinnen des Hasses und der Rache machten, können sich auch in Deutschland gar leicht wiederholen – wenn die Stunde gekommen ist. –
Und welche Frauen sehen wir vorzugsweise die Rolle der Forcierten spielen? Die Gattinnen mancher Demokraten, die in ihrem Kreis, gleichviel ob ein engerer oder weiterer, bekannte Persönlichkeiten, zuweilen Führer sind. Die Gattinnen wollen nicht hinter den Bestrebungen ihrer Männer zurückbleiben, sie sind stolz auf den Namen ihres Mannes, sie wollen auch würdig sein, ihn