Louise Otto: Frauenbewegung Essays, Romane, Biografien & Gedichte. Louise Otto

Louise Otto: Frauenbewegung Essays, Romane, Biografien & Gedichte - Louise Otto


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in meiner Hand, wenn ich an das ganze scheußliche System des Handels, der Fabrikation und seiner Opfer denke! – Hättet ihr diese Mädchen und Frauen des oberen Erzgebirges gesehen! – Die Kinder, die in den dumpfen Stuben aufwachsen, sehen gespenstisch aus, bleich, mit abgemagerten Armen und Beinen und aufgetriebenen Leibern – von der einzigen Nahrung, die sie haben, der Kartoffel. Der Vater hat sich im Blaufarbenwerk einen frühen Tod geholt oder er zieht mit Nußbutten oder Quirlen durch das Land – Weib und Kind daheim müssen arbeiten, er kann nicht auch für sie sorgen! Die kleinen Mädchen müssen klöppeln, sobald sie die Händchen regelrecht regen können – da verkümmern sie am Klöppel-Kissen, an dem die Mutter schon verkümmerte, daß sie nur schwächlichen Kindern das Leben geben konnte, am Klöppel-Kissen, an dem die Großmutter erblindete! Denn das unverwandte Sehen auf die feinen Fädchen und Nadeln raubt den Augen frühe die Sehkraft, und die spielende Bewegung der kleinen Klöppel mit den Fingern macht diese fein und die Arme schwach und mager, untauglich zu jeder andern Beschäftigung. Und da kommen die klugen Leute und sagen, die Frauen könnten etwas anderes tun als Klöppeln – es sei Wahnsinn, daß sie darauf beständen! Nein, sie können es nicht, denn sie haben sich niemals kräftigen können und sind abgeschwächt und ganz und gar unfähig eine schwerere Arbeit zu verrichten – wenn ihr sie ihnen auch verschaffen könntet. Der Kinder könnt ihr euch annehmen, daß sie etwas anderes lernen – aber wegnehmen dürft ihr sie der Mutter auch nicht, denn niemand hat dazu ein Recht.

      Aber nein – ich will nicht nur von den Klöpplerinnen reden – dies Elend ist bekannt, obwohl diejenigen, die es nicht selbst gesehen haben, sich stets damit trösten, daß die Schilderungen aus dem Erzgebirge übertrieben seien! – Sie sind es nicht, sie erreichen die Wirklichkeit noch lange nicht! So hört doch nur endlich einmal auf, euch aus Feigheit mit Lügen und Leugnen trösten zu wollen. Ich glaubte an das Elend, schon ehe ich's sah – aber als ich's sah, überstieg seine Wirklichkeit doch die Vorstellung noch. – Gehet selbst hin, und die schon in der Jugend entkräfteten Gestalten werden euch überall begegnen! –

      Nein, ihr entgegnet mir doch: im Gebirge ist das Elend einmal so groß – aber in den anderen Städten, großen und kleinen, finden alle, die arbeiten wollen, hinreichende und lohnende Beschäftigung, auch die Frauen und Mädchen; ja sie finden sie, aber oft nur – in den Bordells.

      Ich habe schon die Preise angegeben, die für einige weibliche Arbeiten gezahlt werden – ja wenn sie nur immer wirklich bezahlt würden – aber auch die armen Nähterinnen müssen Kredit geben und werden oft spät, zuweilen auch gar nicht bezahlt. Nach dem Ausbruch der letzten französischen Revolution befand ich mich in einer kleinen Gebirgsstadt, über der eine drohende Schwüle lag – man hatte Ursache, eine Gährung unter den Fabrikarbeitern zu fürchten. Ich gab mir zu dieser Zeit Mühe, die Stimmung der armen weiblichen Bevölkerung auszuforschen. Ein Mädchen, das mit ihrer Mutter »für die Leute arbeitete«, wie man es nennt, aber noch nicht zu den Ärmsten gehörte, denn der Vater hatte noch einen kleinen Dienst, aber die Familie war auch groß, sagte damals: »Ja, verdenken kann man's den Fabrikarbeitern nicht, wenn sie anfangen – aber ich sag's immer, unsereins wird von den ›Großen‹ auch schlecht genug behandelt und darf sich doch nicht mucksen. Da haben wir vor drei Jahren mit an einer Ausstattung für vornehme Leute nähen helfen – und heute haben wir das Geld noch nicht – es sind neun Thaler, und die verdient man doch gewiß nicht im Schlafe!« Ich frage nach dem weitern, und die Nähterin erzählte, in wie glänzenden Verhältnissen die Leute lebten, die sie nicht bezahlten, und nannte noch manche andere, die geringere Summen schuldig waren, und alle in guten Verhältnissen und Ansehen. »Aber warum mahnen Sie denn da nicht?« fragte ich, und die Antwort war: »Ja, da wird sich unsereins noch ein Herz dazu fassen können – da tadeln sie dann noch die Arbeit hinterher, daß es nicht schön genug wär, – nennen einen unverschämt, und der Bediente führt einen zur Tür hinaus – man müßt's nicht erlebt haben; nein, wenn man auch arm ist, grob behandeln läßt man sich auch nicht gern. Und nachher gilt man noch als zudringlich – das kommt unter den Großen herum, da heißt's: die sind zu impertinent – und dann läßt niemand mehr bei einem arbeiten. – Ja der Vater spricht wohl: erst säßen wir Tag und Nacht und nähten – nachher hätten wir nicht einmal etwas davon, und lacht uns noch für unsern guten Willen aus.« – Ich riet ihr, doch gerade in diesen Tagen hinzugehen, wo die Besitzenden anfingen, Angst vor den armen Leuten zu haben, jetzt würde niemand wagen, sie grob zu behandeln – und sie könne sich ja mit den schlimmen Zeiten entschuldigen. – Ja, denn so ist es! wenn eine arme Arbeiterin ihr Recht verlangt der vornehmen Dame gegenüber, so muß sie sich erst noch entschuldigen! – Nach vielem Zureden entschloß sich das Mädchen zu dem schweren Gange, sagte aber, wie ihr das Herz klopfe und sie immer denke, sie tue ein Unrecht und sei zu zudringlich – so zartfühlend und schüchtern sind die armen Arbeiterinnen! – Aber dann kam sie sehr vergnügt nach Hause – sie war freundlich aufgenommen worden, die Dame hatte ihr das Geld gleich gegeben und gesagt, wie sehr leid es ihr tue, das ganz vergessen zu haben. – Das Letztere mochte nun wahr sein oder nicht – es läßt einen tiefen Blick in unsere sozialen Zustände tun – insbesondere auf das Los der weiblichen Arbeiterinnen. –

      (Schluß folgt.)

      Für die Arbeiterinnen (Schluß)

       Inhaltsverzeichnis

      Wie die Reichen die Armen vergessen – Das Glück einer Nähterin – Schneidermädchen – Die Reichen als Konkurrenten der Armen – Die Ehe eine Versorgungsanstalt – Demoralisation der Gesellschaft.

       (Schluß)

       Die Reichen haben der Armen vergessen! – Viele der wirklich Reichen haben keinen Begriff davon, was Armut ist und daß ein armes Mädchen, das nicht gerade zum Betteln gezwungen ist oder nicht wie eine Bettlerin aussieht, ein paar Thaler sehr notwendig brauchen kann. Die feinen Damen wissen auch oft nicht, wie lange an einer Nähterei gearbeitet werden muß, und statt es nach sich selbst zu beurteilen, was sie doch könnten, sagen sie: ja wir arbeiten natürlich lange an so etwas – aber bei denen, die den ganzen Tag nähen, fliegt die Nadel nur so hin – es ist unglaublich, wie viel sie in einem Tage fertig bringen. Denn das ist auch herkömmlich, daß der Reiche nie von sich auf den Armen schließt, sondern daß er diesen geradezu als ein ganz anderes Wesen, eine andere menschliche Gattung betrachtet denn sich. So kennen sie auch nicht die Sorgen und Bedürfnisse der Armen – ein paar Thaler oder Groschen, die er von ihnen zu fordern hat, sind so wenig, und eine solche Kleinigkeit wird deshalb oft wirklich vergessen. In diesem Vergessen aber selbst liegt der ganze Egoismus, die ganze Unnatur und Unmenschlichkeit der heutigen Gesellschaft. – Diejenigen nun, welche nicht so reich sind, sich aber doch den Schein des Reichtums und der Vornehmheit geben wollen, daher arbeiten lassen, was sie nicht bezahlen können und wollen, benutzen diesen nobeln Gebrauch – ehe sie bezahlen, warten sie ab, bis man sie mahnt – dann sagen sie wegwerfend: »Ach, diese Kleinigkeit habe ich ganz vergessen!« – Natürlich kommen bei solcher Gewohnheit die Schüchternsten und Schwächsten am schlechtesten weg – und das werden die armen Arbeiterinnen sein, die aus Zartgefühl nicht mahnen und die man auch im schlimmsten Falle nicht zu fürchten hat wie den Kaufmann oder Handwerker, der am Ende mit gerichtlichen Klagen droht, indes die Arbeiterin nur Tränen zu ihrem Fürsprecher hat. – Ja, so werden die Arbeiterinnen behandelt! – und wie müssen sie sich mühen!

      Glücklich sind diejenigen Mädchen, die, indem sie von weiblichen Handarbeiten leben, noch einer Familie angehören, so daß sie wohl, was sie verdienen, den Eltern oder Geschwistern mit zum Haushalt geben, oder doch nicht speziell dafür zu sorgen haben. Dann sitzen sie wenigstens in einer warmen Stube, und es wird zu einem warmen Mittagsessen eher Rat. Aber welches Glück? Eine fleißige Arbeiterin steht früh 5 Uhr auf und setzt sich gegen 6 Uhr an ihren Arbeitstisch – dann steht sie nicht eher auf als um 12 Uhr zum Mittagsessen – in längstens einer halben Stunde ist dies beendigt, und sie setzt sich gleich wieder hin – hat sie viel zu tun, so macht das Abendessen keine Unterbrechung, ein Stück Brot mit Salz kann neben der Arbeit gegessen werden – gegen 10 Uhr, oder je nachdem die Arbeit treibt, geht sie schlafen und sagt sich, daß sie heute vielleicht drei Neugroschen verdient hat. Und so Tag


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