Ein himmlisches Chaos. Katharina Grabner-Hayden
Gemeindebedienstete mit Silvesterwünschen, die ich aber schnell mit einem zwanzig Euroschein bereits bei der Türe abwimmeln kann. Warum man bei uns so herrlich Weihnachten feiern kann, ist mir ein Rätsel, sucht doch jeder nach dem Heiligen Abend und nach einem orgiastischen Essen beschauliche Stille und Ruhe, die es bei uns einfach nicht geben kann.
Einzukalkulieren ist natürlich auch das Platzangebot in unserem Haus, wir haben zwar sechzehn Stühle, davon zwei etwas lädiert, auf denen können die Kinder sitzen, Pfannen und Töpfe aber nur für maximal zwölf Personen.
Da man aus schlechten Erfahrung bekanntlich klug wird, stellen Odysseus und ich die Listen jedes Jahr neu zusammen, einmal nach sozio-ökonomischen Gesichtspunkten, dann wieder nach dem Geschlecht – was am schlechtesten ankommt – oder nach dem Alter der Gäste.
Irgendwie gelingt es uns aber doch, jedes Jahr in den sieben Tagen nach Heilig Abend, die liebe Verwandtschaft in Tranchen von jeweils zwölf bis vierzehn Personen einzuladen und diese auch zu verköstigen. Silvester erlebe ich nach diesem familiären Kräfteakt nicht mehr, Odysseus und ich schlafen bei jeder Jahreswende bereits um zwanzig Uhr erschöpft ein.
Nun hatte ich für dieses Jahr wieder eine ausgeklügelte Planung entworfen, teils Freunde, teils Verwandte, einmal mit Hunden, einmal mit Kindern, verschwägerte, angeheiratete und eigene für diese besinnliche Zeit eingeladen. Odysseus kontrollierte diese und befand sie für optimal. Wir beide hatten uns streng geschlechtergetrennt zu organisieren, ich in der Küche und er im Wohnzimmer, um wie ein Schiedsrichter bei einem möglichen Boxkampf den Ring zu überwachen.
Es hätte alles so herrlich funktioniert, doch leider wurde ich eine Woche vor Weihnachten krank und musste das Bett hüten. Fiebergebeutelt bangte ich den Feiertagen entgegen. Wahnvorstellungen quälten mich nächtens, mein Kopf glühte.
Nein, Tante Herta durfte nicht neben Brigitte sitzen, meine Mutter nicht mit dem neuen Freund meiner Schwester in Kontakt treten, und bitte keine dreimalklugen Ärzte am Tisch! Außerdem war Onkel Herbert letztes Jahr zum Veganer geworden, das hatte ich auf der Liste noch nicht berücksichtigt, meine Liste. Meine Liste!
»Odysseus!«, schrie ich schweißgebadet, »Odysseus, mein Testament!«
»So schlimm ist es noch nicht um dich bestellt«, und tupfte mir mit einem kühlen Waschlappen die Schweißperlen von der Stirn.
»Mein Vermächtnis: Halte dich an unsere Liste, und vergiss nicht auf die ...!«, ich wurde bewusstlos und fiel in die Kissen zurück.
Plötzlich sah ich mich von der Zimmerecke aus im Bett liegen, ein gleißend weißes Licht zog mich in einen Tunnel. War ich gestorben? Wunderbar! Und doch auch wieder saublöd, ausgerechnet zu Weihnachten und das mit meiner Verwandtschaft!
Armer Odysseus, er musste diese Hölle alleine über sich ergehen lassen.
Als ich am Ende des Tunnels angelangt war, sah ich mein Haus, ging zur Türe und läutete.
Überall lag Stroh am Boden, Kerzen erleuchteten den Raum, eine Mutter Gottes, die durchaus Ähnlichkeit mit mir hatte, saß im Wohnzimmer und hielt Klein Manuel im Arm. Die Hunde waren Esel und Kuh, meine Kinder Hirtenjungen und die liebe Verwandtschaft blökende Schafe, die friedlich um mich herumlagen. Ein Ort des Friedens und der Versöhnung.
Eine Türe wurde geöffnet und herein schritten drei weise Frauen, Tante Herta, meine Mutter und meine Schwiegermutter. Sie knieten vor mir nieder und brachten mir Gaben dar.
Schmuck, Prosecco und Zigaretten.
Oh, wie aufmerksam von ihnen. Wir waren zur lebenden Krippe geworden. Wo aber war nur mein Josef geblieben?
Odysseus stand vor der Türe und ließ die Gäste gegen Vorweis einer entsprechenden Einladungskarte in die weihnachtliche Idylle. Freunde und Bekannte saßen singend an Lagerfeuern vor der Schwelle unseres Hauses und warteten geduldig auf ihren Einlass.
Im friedlichen Himmel flogen Heerscharen von Engeln und sangen die herrlichsten Lieder, bis ich unsanft von einem Hirtenjungen in den Oberschenkel gezwickt wurde.
»Mama, Mama, wach auf!«
»Nein, bitte lass mich noch ein wenig träumen, es war so schön!«
»Mama!«
»Ist Weihnachten schon vorbei?«, fragte ich das erstaunte Kind.
»Nein.«
»Warum störst du mich dann?«
»Weil Tante Brigitte angerufen hat.«
»Was will sie denn?«
»Sie wollte nur fragen, ob sie anstelle von Onkel Fritz ihren neuen Freund am Christtag mitbringen kann.«
»Und Onkel Fritz?«
»Soll am Stephanitag kommen.«
Das ging aber nicht, denn laut Liste kamen an diesem Tag Schwager Eduard und Liselotte, seine Lebensgefährtin, mit der Onkel Fritz vor Jahren ein Verhältnis hatte. Außerdem mochte sie meine Schwester nicht, was ungeheures Konfliktpotenzial in sich barg.
Verzweifelt ließ ich mich wieder in die Kissen fallen und heulte. Meine Planung war beim Teufel.
Odysseus kam mit teigverklebten Händen zu mir ans Bett.
»Warum weinst du?«
»Ich muss Weihnachten absagen.«
»Weihnachten absagen? Das geht doch nicht!«
»Wir müssen! Ich halte das alles nicht mehr aus. Die Verwandtschaft, unsere Listen und die komplizierte Planung, die sollen ohne uns Weihnachten feiern! Können wir nicht einfach irgendwohin fahren, wo uns keiner kennt?«
Odysseus schien der Ernst der Lage bewusst zu sein, er kniete vor meinem Bett nieder und meinte ruhig wie immer: »Wenn du willst, mein Schatz, dann können wir das alles umgehen, uns eine Hütte in den Bergen nehmen und dort ganz alleine mit den Kindern feiern.«
»Oh ja, das wäre schön! Weißt du eigentlich, dass ich dich liebe?«
»Weiß ich!«
Er küsste mich und verbrachte den weiteren Abend am Computer, surfend durch Österreichs Alpen. Und wirklich, er fand eine kleine bescheidene Hütte.
Wir buchten sofort, packten unsere Koffer und fuhren mit Kindern, Hunden und Katzen in ein idyllisches Bergdörfchen. Nur die Schwiegermutter und meine Mutter wurden über unsere rasche Entscheidung informiert, sie sollten verstehen, wir wollten nur mit unseren Kindern feiern. Keine Verwandten, keine Freunde und keine komplizierten Listen.
Die Holzhütte war klein, aber sehr gemütlich. Nachdem wir uns eingerichtet hatten, besorgte Odysseus einen kleinen Christbaum, schmückte ihn mit ein paar Kerzen und selbst gebastelten Kugeln aus Stanniolpapier. Im Kamin knisterte das Feuer und die Kinder spielten in der Stube Lego. Kein Computer, keine Playstation, einfach nichts konnte diesen romantischen Abend stören. Ein herrlicher Braten brutzelte im Ofen, während ich mit Klein Manuel im Schaukelstuhl saß und ihm Lieder vorsang, so wie ich es in meinem Fiebertraum erlebt hatte.
Plötzlich hörte man von Ferne dumpf im Schnee Wagenlärm. Johannes kletterte auf die Fensterbank und schaute beim Fenster hinaus.
»Mama, da fahren aber viele Autos den Berg herauf.«
»Die werden zur Waldkapelle in die Mette fahren, mein Schatz«, summte ich ihm nichtsahnend zu.
»Die bleiben aber alle vor unserer Hütte stehen!«
Ich verstand nicht, bis es an der Türe pochte.
»Erwartest du noch jemand?«, fragte mich mein geliebter Ehemann mit zitternder Stimme.
»Ich? Nein, um Gottes Willen!«
Odysseus öffnete vorsichtig das Schloss und herein traten Schwiegereltern, Tanten, Geschwister, Onkel Fritz mit seiner Liselotte, Onkel Herbert und eine Frau, die ich nicht kannte. Sofort wollte er die Türe wieder zuschlagen, doch die Meute war schon im Zimmer.
»Wir hoffen, wir stören, nicht! Ihr könnt