Ein himmlisches Chaos. Katharina Grabner-Hayden

Ein himmlisches Chaos - Katharina Grabner-Hayden


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meiner geschwächten Seele zu bohren.

      »Dann kannst du endlich etwas Gescheites kochen!«

      »Was denn?« Meine Augen funkelten, vielleicht hatte er eine zündende Idee.

      »Du kochst wie früher einfach einen Schweinebraten oder Wiener Schni...!«

      »Nein, NNIIEEMMAALLSS!!«

      »Dann kann ich dir auch nicht helfen, du bist einfach unverbesserlich!«

      »Und du langweilig!«

      Odysseus zog beleidigt seinen Kopf ein und ging.

      Ich musste mir einen Tag Auszeit nehmen. Mein geliebter Mann versorgte die Kinder und ich fuhr verstimmt und orientierungslos den Wiener Naschmarkt an. Dort versprach ich mir beim Anblick gerupfter Enten oder gehäuteter Schafsköpfe zumindest eine wertvolle Inspiration für meinen österlichen Festtagstisch. Doch ich verspürte nichts.

      Kein Aal, ob lebend oder tot, keine Kuheuter und schon gar keine Hammelhoden konnten meine gehässige Seele erfreuen. Wie ein Untoter strich ich über das überquellend bunte Angebot und musste schweren Herzens erkennen, dass ich ein guter Mensch geworden war. Ich hatte die Freude am Kochen verloren.

      Gott hatte offensichtlich die Gebete meiner Gäste erhört. Ich war mir sicher, es waren die Franzosen.

      Frustriert und traurig kämpfte ich mich durch Warteschlangen und Massen an Menschen hindurch und stieß dabei gedankenverloren an einem Büchertisch mit Kochbüchern an. Ein Stoß glitt mir in die Hände, ich konnte die Bücher gerade noch vor dem Boden retten. Als ich sie feinsäuberlich und entschuldigend wieder auf das Verkaufspult zurücklegen wollte, blieb ein altes, vergilbtes Buch in meinen Händen zurück, die Balkanküche.

      Allein beim Durchblättern strömte tiefe Befriedigung durch meine Seele, von Lungen- bis Fischbreisuppe (ohne Eier!), blutiger Kalbsleber und Räuberfleisch in Teufelssoße war da die Rede.

      »Wunderbar, ich habe eine Erleuchtung!«, schrie ich den Verkäufer an, »Ich muss das Buch haben!«

      »Zwanzig Euro!«, kam es gelangweilt vom Tresen herüber.

      »Zwanzig Euro? Das ist ja unverschämt! Für die paar Rezepte?!«

      »Das Buch gutes Buch! Viel Blut, gibt Kraft, ich kochen auch!« Zwei rot unterlaufene Augen starrten mich an.

      »Woher sind Sie denn, wenn ich fragen darf?«, versuchte ich mein forsches Verhalten zu kaschieren.

      »Ich kommen aus Transsylvanien, jetzt Romania. Das Buch gutes Buch, viel Blut, in Essig und Öl«, hauchte er mir ins Ohr. Ich riss es ihm aus der Hand, gab ihm widerstandslos den geforderten Geldbetrag und rannte wie von Sinnen weg. Hinter mir hörte ich noch sein hohles, furchteinflößendes Lachen. Als ich mich noch schnell umblickte, konnte ich sogar seine überdimensionalen Eckzähne deutlich erkennen.

      Ein wenig ängstlich, aber sichtlich zufrieden, kam ich zu Hause an und erzählte meinem geliebten Ehemann von meiner neuen Entdeckung. Odysseus verließ murrend das Wohnzimmer, immerhin musste er sich wieder auf ein exotisches Mahl mit noch exotischeren Gästen vorbereiten, dabei wären ihm Schnitzel mit Kartoffelsalat viel lieber gewesen.

      Gierig nahm ich meine Lesebrille und fing das Buch wie eine Bibel zu studieren an. Unter den vielen wunderbaren Hammel- und Bohnengerichten stach jedoch ein Rezept sofort in meine Augen.

       Rumänische gefüllte Bärentatzen

       Zutaten:

      2 Bärentatzen, Salz, Essig, Paprika, Zitronensaft, 2 Lorbeerblätter, 150 g Pilze, 150 g Schinken, Petersilie, Pfeffer, 2 Eier, Portwein

      Das Gericht war leicht beschrieben und auch gemacht.

      Dicke Haut und Haare der Bärentatzen mit einem scharfen Messer entfernen, während die Pfoten immer wieder in heißes Wasser eingetaucht werden. Wasser mit Salz, Paprika, Lorbeerblättern, Essig und Pfeffer würzen. Die Bärenpfoten in diesem Sud gar kochen und zugedeckt erkalten lassen. Knochen und Klauen entfernen, die Tatzen mit einer Farce aus feingehackten Pilzen, gewiegtem Schinken, Ei, Salz und Pfeffer füllen, in Pergamentpapier wickeln, reichlich mit Fett begießen und im Rohr eine Stunde braten. Der Sud wird entfettet und mit Portwein abgeschmeckt. Beim Servieren Papier entfernen und die Soße über die Tatzen gießen.

      Das war’s. Und so einfach!

      Die Frage war nur, wie ich zu echten Bärentatzen kam. Die armen Tiere standen bekanntlich unter Schutz und waren in Österreich sicher nicht leicht erhältlich. Da mir mein waidkundiger Mann bei diesem Wunsch jedwede Hilfe kopfschüttelnd versagte, versuchte ich es bei meinem Fleischhauer, der mir in den letzten Jahren stets hilfreich zur Seite gestanden war.

      »Was wollen Sie, Frau Grabner? Bärentatzen?«, lachte er mich aus.

      »Ja, Bärentatzen!«, flüsterte ich ihm gleich einem Drogenhändler, der seine Ware verkaufen will, in sein Ohr.

      »Bärentatzen? Echte?«

      »Ja, echte!«

      War der Mensch wirklich so begriffsstutzig?

      »Bärentatzen, von Braunbären, solche, die brum, brum machen!«, ätzte ich.

      »Gute Frau, Sie wollen sich über mich lustig machen!«

      »Nein, ich meine es ernst!«, und schaute ihm dabei eindringlich in die Augen.

      Der mir stets zu Treue verpflichtete Mann, immerhin hinterließ ich bei meinen Einkäufen Hunderte von Euros, fiel zitternd und händeringend vor mir auf die Knie.

      »Ehrlich gesagt, ich halte Sie nicht mehr aus, Frau Grabner! Zu jedem Festtag muss ich Ihnen die absonderlichsten Dinge besorgen, skandinavische Dorscheier oder Hammelmägen, Rindszungen, Kuheuter oder Schweinsköpfe in Aspik. Ich kann nicht mehr, ich bin nervlich am Ende. Sie bringen mich zur Verzweiflung! Warum kann’s nicht einfach nur ein Kalbsbraten oder ein Filetsteak sein?«

      »Weil ich heuer zu Ostern rumänisch kochen will, und die essen dort eben gefüllte Bärentatzen! Ist das so schwer zu verstehen?«, fauchte ich ihn an.

      Ich hasse Menschen, die nicht kooperieren wollen und beim kleinsten Problem aufgeben.

      »Sind Sie sicher, dass gefüllte Bärentatzen Ihren Gästen schmecken?«, fragte er kleinlaut nach.

      »Das muss ein Essen bei mir nie! Ich will ihnen damit nur meine Wertschätzung verdeutlichen«, versuchte ich den Fleischermeister zur Mithilfe zu überreden, immerhin gab es bekanntlich in den Voralpen ein paar dieser edlen Exemplare und er hatte, das wusste ich, die besten Connections zu anderen fleischverarbeitenden Betrieben.

      »Ich mach da nicht mehr mit. Wenn Sie wollen, schenke ich Ihnen drei Kilo bestens abgelegenes Beiried, versöhnen Sie sich endlich mit Ihrer Familie und kochen Sie etwas Ordentliches!«, flehte er mich an.

      »Was soll ich dann meinen Gästen sagen? Dass ich einen unwilligen und sturen Fleischhauer habe, der mich in keiner Weise unterstützen will?«

      »Sagen Sie, was Sie wollen, ich jedenfalls bin am Ende, ... Bärentatzen will sie, ungeheuerlich!«, er drehte sich um und ging gebrochen aus dem Verkaufsraum.

      Ich stand da mit drei Kilo Beiried und ärgerte mich. So ein Stück Bratenfleisch konnte bekanntlich jeder Vollidiot kochen, außerdem sah es wunderbar aus, es würde meinen Verwandten köstlich schmecken.

      Ich verließ den Ort gesenkten Hauptes, atmete kurz durch und beschloss dieses elend langweilige Beiried am Festtagstisch zu servieren. Immerhin war Ostern und ich wollte mich nicht nur auf das Essen, speziell auf rumänische Bärentatzen kaprizieren.

      Und wirklich. Das Essen war ein Gedicht, alle waren begeistert und versprachen wiederzukommen, was mein Magen mit unverhohlenem Knurren beantwortete.

      Als ich am nächsten Morgen die Tageszeitung aufschlug und die erste Schlagzeile las, staunte ich nicht schlecht: Ötscherbären verschwunden! Jäger weisen jede Schuld von sich.

      Da traf es mich


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