Teeträume. Anna Martin

Teeträume - Anna Martin


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schienen auffallend schwul zu sein. Sie hatten mir sogar mehr Angst eingeflößt als die offenkundigen Machomänner, die mich im Studentenwohnheim umgeben hatten.

      Immer und immer wieder hatte ich mir versprochen: Nächstes Jahr wird alles anders. Nächstes Jahr wirst du jemanden finden. Aber das hatte ich nie getan.

      Jillian warf mir vor, dass ich nicht genug ausgehen würde, ebenso meine Freunde. Die traurige Tatsache war, dass ich mich selbst mit dem Etikett versehen hatte, nicht liebenswert zu sein; ein bewegungsloser, stoischer Junggeselle. Außerdem kamen ich und Flea, mein ungepflegter Kater, sehr gut allein zurecht, herzlichen Dank.

      Und dann? Boom!

      ***

      »Bis zur nächsten Woche…«, rief ich über den Lärm der Studenten hinweg, die nach ihren Taschen griffen und hastig niedergeschriebene Notizen darin verstauten, »… lest ihr bitte Der Mann, der König sein wollte! Bis auf Weiteres lassen wir die Lyrik hinter uns.«

      Als Antwort erhielt ich ein allgemeines Murmeln, das ich als Zustimmung auffasste. Die erforderliche Lektüre für meinen Kurs war ausreichend im Voraus angekündigt worden, um meinen Studenten genügend Zeit zu geben, sich mit dem Material vertraut zu machen, aber es war immer ratsam, sie noch einmal daran zu erinnern.

      Für heute war das meine letzte Vorlesung. Ein glücklicher Umstand sorgte dafür, dass das Collegesystem für die Aufstellung der Vorlesungen der Meinung war, dass meine Woche freitags bereits um vierzehn Uhr beendet war, sodass ich früh ins Wochenende gehen konnte. Nicht, dass ich das jemals tat. Meine Position ermöglichte es mir, ein schönes Büro zu beanspruchen, und nach drei Jahren war es mir endlich bewilligt worden.

      Für eine derart angesehene Anstellung war ich jung, aber ich war mir nicht zu schade, daraus Vorteile zu ziehen. Der einzige Nachteil war der lange Marsch über den Campus zwischen dem Literaturgebäude, in dem ich arbeitete, und dem Geschichtsgebäude, in dem mein Büro lag. Natürlich hätte ich in das Literaturgebäude umziehen können, wenn ich dafür mein schönes Büro aufgegeben hätte. Demnach war der Spaziergang ein gutes Training.

      Ich hatte den Raum in einem Stil dekoriert, den Jillian als mürrischer, alter Mann bezeichnete, und das passte zu mir. Eine Wand wurde von einem großen Bücherregal dominiert, das ich entzückt mit gebrauchten Büchern und Zweitausgaben der Bücher befüllte, die ich in meiner persönlichen Bibliothek zu Hause aufbewahrte. Ich hatte einen reizenden Lehnsessel aus Leder, der hinter einem antiken Schreibtisch stand, den ich auf einem Flohmarkt gefunden hatte, und eine lange, bequeme Couch, die ich kaum benutzte, außer um hin und wieder ein kurzes Nickerchen zu machen, wenn ich von morgens bis abends auf dem Campus war.

      Nachdem ich meine Aktentasche und meine Notizen auf einem zunehmend bedrohlicher schwankenden Stapel in der Ecke meines Schreibtisches abgelegt hatte, setzte ich mich zurück, um meine E-Mails zu lesen, die während meiner Abwesenheit eingegangen waren. Sie waren mit dem üblichen Unsinn angefüllt: Studenten, die aufgrund des Todes ihrer Oma/ihres Hundes/ihres Cousins zweiten Grades in Peru um eine Verlängerung der Abgabefrist flehten, eine Einladung meiner Mutter zum Mittagessen am Sonntag, Nachrichten an die gesamte Fakultät, in denen um unsere Kooperation bei der Haltet den Campus sauber-Kampagne gebeten wurde, und eine von meinem Freund Adam mit der Frage:

      Boot oder Vogel?

      Ich lachte und schrieb zurück: Natürlich Boot.

      Direkt am Campus gab es einen Pub, den wir mochten. Er hieß The Ship und es gab dort gutes Bier und besseres Essen. Auf dem Campus gab es noch eine größere Bar, in der auch die Studenten etwas trinken gingen: die Two Magpies.

      Wir hatten den Bars Spitznamen gegeben in dem Versuch, vor den Studenten geheimzuhalten, wo wir an einem bestimmten Abend etwas trinken würden. Unglücklicherweise hatte jemand eine unserer Unterhaltungen mitangehört und inzwischen waren die Spitznamen in den allgemeinen Jargon der Studenten eingeflossen.

      Einige Stunden lang arbeitete ich konzentriert, sodass ich Fortschritte mit meinem Stapel Arbeit auf dem Schreibtisch machte. Überrascht sah ich auf die Uhr, als Adam Punkt fünf an meine Tür klopfte.

      »Hey«, sagte er, als er den Kopf zur Tür hereinsteckte. »Bist du fertig?«

      »Ja, fast. Komm kurz rein.« Ich winkte ihn herein.

      Adam ließ sich auf die Couch fallen und machte es sich gemütlich, während ich alles abspeicherte und zusammenpackte, was ich für das Wochenende benötigte.

      »Dein Büro ist eine Müllhalde«, meinte Adam.

      »Es ist keine Müllhalde. Das ist organisiertes Chaos«, korrigierte ich ihn.

      Adam schnaubte, musste aber gleichzeitig lachen. Er war kein Dozent. Er arbeitete beim Campustheater als Techniker. Von den strahlenden Lichtern des Broadway zu den verstaubten Scheinwerfern des Collegeauditoriums. Seine Karriere hatte einen geringfügigen Abstieg erlitten, aber er hatte seine junge Familie aus der Stadt in einen der Vororte bringen wollen. Ich mochte sein gelassenes, unbekümmertes Wesen, das von einem wiegenden Gang unterstrichen wurde, der von seiner annähernd zwei Meter großen Gestalt herrührte.

      »Na komm schon, das Bier wartet«, grummelte er, als ich endlich meine letzten Papiere in meinen Aktenkoffer schob.

      »Ich komme.«

      »So genau wollte ich's gar nicht wissen...«

      »Adam, sei nicht so frech.«

      Er wusste über meine Sexualität Bescheid und machte gelegentlich Witze darüber, nicht auf gemeine Art und Weise, sondern wie Freunde eben so sind. Einmal hatte er mich gefragt, ob ich ihn attraktiv fand. Ich hatte nein gesagt. Rotschöpfe waren nicht mein Typ.

      Mein antiker, rostender Buick war ein weiterer Anlass für ihn, auf das scharfe Ende seiner gewitzten Zunge zurückzugreifen. Er war ein Relikt meiner eigenen Collegetage und ich mochte die Vertrautheit des Schrotthaufens, auch wenn es mich mehr kostete, ihn am Laufen zu halten, als er eigentlich wert war. Mit offenen Fenstern fuhr ich zum Ship und tat so, als läge noch ein warmer Hauch in der Luft, obwohl in Wirklichkeit der Herbst schnell heranrückte.

      ***

      Ich hatte mich wider besseren Wissens überreden lassen, sehr viel länger im Ship zu bleiben, als ich ursprünglich beabsichtigt hatte. Sobald ich über den Punkt hinaus war, an dem ich noch vernünftig hätte nach Hause fahren können, war es tatsächlich sogar beschämend einfach, mich zum Bleiben zu überreden. Während wir über die Gefahren des American Football debattierten, wippte ich auf dem Barhocker herum.

      »Zum Beispiel Rugby«, sagte ich und schlug meine Hand unterstreichend auf die Bar. »Dassis' echter Männersport. Keine verweichlich'e Pols'erung, die ihr Amis alle anhabt.«

      »Dein Akzent kommt durch, wenn du betrunken bist, wusstest du das?«, sagte Adam.

      »Aye«, stimmte ich zu. »Tut er.«

      »Aye«, plapperte er nach.

      Eine Hand tippte mir leicht auf die Schulter. Ich wirbelte zu schnell herum; die Welt verschwamm vor meinen Augen, bevor sich mein Blick auf einen jungen, blonden Mann fixierte.

      »Kann ich helfen?«, fragte ich ihn und versuchte, die schottische Aggression in meiner Stimme zu unterdrücken.

      »Sorry«, sagte er. Langsam breitete sich ein lässiges Grinsen auf seinem Gesicht aus. »Dachte für einen Moment, du bist Gerard Butler.«

      »Butler!«, brüllte ich. »Verdammter Gerard Butler is' der verdammte Fluch meiner verdammten Existenz!« Durch mein wildes Herumgestikulieren kippte ich mir etwas Bier über mein Hemd. Eine Tatsache, die ich erst bemerkte, als die bernsteinfarbene Flüssigkeit bis auf meine Haut durchsuppte. »Un' der is' un'efähr zehn Jahre älter als ich!«

      »Tut mir leid«, sagte Adam, als er sich über mich beugte. Seine Worte waren ein wenig undeutlich. »Er wird zum Rowdy, wenn er betrunken ist.«

      »Ist mir aufgefallen«, sagte der Junge. Er hüpfte auf den Barhocker neben meinem und gab der Barkeeperin ein Zeichen. »Hast du einen Namen?«


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