Teeträume. Anna Martin

Teeträume - Anna Martin


Скачать книгу

      »Chris. Christopher Jacob Ford. Der Einzige. Mir gefällt dein Akzent.«

      Adam fing an zu kichern und ich schüttelte die Hand des Jungen. Seine knallbunte, farbintensiv tätowierte Hand.

      »Ah, jedem g'fällt mein verdammter Akzent«, seufzte ich in mein Bierglas.

      »Er sagt oft verdammt, wenn er betrunken ist«, fügte Adam hilfreich hinzu. »Hey, bist du schwul? Robert schon und er wurde seit Jahren nicht mehr flachgelegt.«

      »Adam!«, rief ich aus und stieß ihn gegen die Schulter. Er fiel von seinem Barhocker.

      Ich entschuldigte mich nicht – das hatte er verdient –, aber ich orderte eine weitere Runde Getränke, während er in Richtung des Klos marschierte. Der Toiletten. Der verdammten Toiletten.

      »Also«, sagte ich an Christopher Jacob Ford gewandt, ermutigt von meiner Zurschaustellung brutaler, männlicher Kraft, »bissu schwul?«

      Er grinste mich auf eine Art und Weise an, die ich als ein Ja interpretieren könnte. Auf eine Art und Weise, die ich vor langer Zeit einmal als ein Ja interpretiert hätte.

      »Wenn du's wissen willst«, sagte er und schob eine schicke weiße Karte über die Bar in meine Richtung, »ruf mich an.«

      Ich hob die Karte ans Gesicht. Zehn Zahlen und die Buchstaben C.J.F. (1) waren in einer ordentlichen Handschrift aufgedruckt. Ich steckte sie für später in meine Brieftasche.

      ***

      Am nächsten Morgen wachte ich mit einem Fusselball auf meinem Kopf auf und einem weiteren, der sich zwischen meinen Zähnen zu bilden begann. Als ich versuchte, mich zu bewegen, bemerkte ich zwei Dinge: Der Fusselball auf meinem Kopf war Flea, der empört seine Krallen in meine Kopfhaut grub, als ich versuchte, ihn zu entfernen, und der Fusselball zwischen meinen Zähnen war mit Sicherheit ein Zeichen meines bevorstehenden Todes.

      Durchzechte Nächte verstärkten meinen Sinn für Melodramatik.

      Ich kroch aus dem Bett, in dem ich mit dem Gesicht nach unten und alle viere von mir gestreckt geschlafen hatte. Ich trug eine Socke, mein Hemd und meine Krawatte. Sonst nichts. Während ich ins Badezimmer ging (ich weigerte mich zu kriechen, obwohl das gewiss die bessere Alternative gewesen wäre), versuchte ich, die Macht des positiven Denkens anzuwenden, um mich zurück zur Besinnung zu bringen. Es funktionierte nicht, aber mit der dampfenden, heißen Dusche, Schmerztabletten, zwei Gläsern Wasser und der Durchführung eines Aktes der Selbstliebe befand ich mich auf einem guten Weg der Besserung.

      Ich war gerade mit dem Rasieren fertig geworden und in meine Lieblingsjeans und ein kariertes Hemd geschlüpft, als die Gegensprechanlage summte. Ich hatte keine Zeit, meine Haare zu kämmen, bevor ich antwortete, was mich sehr verärgerte.

      »Hast du nicht schon genug angerichtet?«, bellte ich Adam an, als sein unscharfes, graues Gesicht auf dem kleinen Bildschirm erschien.

      »Dachte, du würdest mir und meiner Familie vielleicht gern beim Frühstück Gesellschaft leisten«, sagte er mit einem fröhlichen Lächeln. Ich schnaubte und betätigte den Summer.

      »Ich habe durchaus auch noch andere Freunde, weißt du«, sagte ich, als er sich selbst durch die Eingangstür hineinließ, die ich letzte Nacht offensichtlich vergessen hatte abzuschließen.

      »Ja, ich weiß«, erwiderte er. »Aber ich hatte vermutet, dass du heute einem Bären mit schmerzendem Kopf gleichst, und ein gutes Frühstück könnte eine Menge dazu beitragen, dass es dir besser geht.«

      Ich murmelte und grummelte vor mich hin, während ich Schuhe anzog, mein Haar kämmte und einen hübschen Pullunder fand, den ich über meinem Hemd anziehen konnte.

      »Kommen die Kinder mit?«, fragte ich.

      »Sie sitzen schon im Auto. Genau wie Marley. Alle warten auf dich.«

      »Schon gut, schon gut«, murrte ich, da ich den Hinweis verstand. Dann warf ich einen Blick in meine Brieftasche und zuckte angesichts des Inhalts zusammen – oder des Mangels eben dessen. Stirnrunzelnd betrachtete ich die kleine Karte mit Eselsohr, die hinter meinem Führerschein steckte. Schließlich verließ ich das Haus, als Adam mich mit einem Klaps auf den Hinterkopf zur Eile antrieb.

      Marley heißt Marlene, Adams ebenso große wie ausgesprochen hübsche Ehefrau, die er geschwängert hatte, während sie in Romeo und Julia getanzt hatte.Und dann hatte er sie auch noch überredet, ihre hohen Druck ausübende und superschlanke Welt des Balletts für das Mutterdasein in der Vorstadt aufzugeben. Zwei Kinder später und ich glaube, sie sind das glücklichste Paar, das ich jemals getroffen habe.

      »Ich treffe mich später mit Chloe«, sagte ich, als ich auf das Bitten von Tia und Charlotte hin auf den Rücksitz des Wagens zwischen die zwei Mädchen kletterte.

      »Gut, du siehst sie viel zu selten«, sagte Marley, als sie sich durch die Lücke zwischen den beiden Vordersitzen beugte, um mir einen Kuss zu geben.

      Das erste Mal, als ich mit Adams Familie unterwegs gewesen war, hatte ich mich wie das dritte Rad am Wagen gefühlt, das ohne jegliches Recht in private Familienzeit eindrang.

      Allerdings war dieses Gefühl bald vorübergegangen. Marley war zu herzlich und liebevoll, um nicht mit ihr warm zu werden, und andere Freunde schlossen sich uns oft genug an.

      Nachdem wir es uns an unserem Tisch im Diner gemütlich gemacht hatten, zog ich meine Brieftasche erneut hervor, entschlossen, mir diese verdammte Karte genauer anzusehen. Während ich sie inspizierte, begann Adam zu lachen.

      »Freut mich, dass du die eingesteckt hast«, sagte er immer noch glucksend.

      »Was ist das?«

      »So ein Kerl hat dir seine Nummer gegeben.«

      Die Erinnerung kehrte in aufleuchtenden Standbildern zurück: ein junger, blonder Mann, Adam, der von seinem Barhocker gestoßen wurde, Tätowierungen. Wenn du's wissen willst, ruf mich an.

      »Oh Scheiße«, murmelte ich und ließ meinen Kopf auf die Tischplatte sinken, was die Mädchen zum Lachen brachte.

      »Lass mich mal sehen«, sagte Marley. Ich schob ihr den Zettel zu, ohne meinen Kopf anzuheben. Ihre Fingerspitzen strichen durch mein Haar und massierten sanft meinen Nacken. »Was bedeutet C.J.F. in Klammern eins?«

      »Es bedeutet«, sagte ich, sammelte die Scherben meiner Würde ein, und setzte mich wieder aufrecht hin, »Christopher Ein-Name-mit-J-am-Anfang Ford oder Frost oder… nein, ich glaube, es war Ford, der Erste.«

      »Und Einzige«, warf Adam hilfreich ein.

      »Ja. Der Erste und Einzige.«

      »Rufst du ihn an?«

      »Nein!«, rief ich aus. »Ganz bestimmt nicht. Er dachte, ich wäre Gerard Butler.«

      Mitfühlend zuckte Marley zusammen. Sie wusste, dass Butler älter war als ich und dass ich den Vergleich hasste. Besonders, wenn die Leute dazu sagten: »Oh, ich dachte, Sie wären in etwa demselben Alter…«

      »Allerdings ist Butler ziemlich verwegen, Robert. Du solltest anfangen, es als Kompliment aufzufassen. Alle Mädchen mögen ihn.«

      »Ja, nun, ich bin nicht gerade daran interessiert, dass alle Mädchen mich mögen.«

      Tia, die bis eben ihren Orangensaft mit einem Strohhalm umgerührt hatte, sah auf. »Onkel Robert, warum willst du nicht, dass alle Mädchen dich mögen?«

      »Neues Gesprächsthema!«, sagte Marley laut und enthusiastisch, während sie in die Hände klatschte und strahlend lächelte. Adam beugte sich zu Tia, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern, das sie die Stirn runzeln ließ, ehe sie erneut heftig in ihrem Saft rührte. Ich vermutete, dass er ihr die Wahrheit gesagt hatte.

      Kurz darauf erschien die Kellnerin und nahm unsere Bestellungen auf.

      ***

      An diesem Abend machte ich es mir mit indischem Essen, das ich von unterwegs mitgebracht hatte, gemütlich


Скачать книгу