Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt
Teilnahme sowohl in betreff der Zahl als der Bedeutung der Mysten, woran sich ein neuer, tieferer Gehalt knüpfte, dessen Mittelpunkt die Verheissung der Unsterblichkeit bildete355.
Am Eingang in dieses Labyrinth stehen die beiden schönen Gestalten Amor und Psyche356, eine auf Platons Vorstellung von der menschlichen Seele beruhende Allegorie. Es mag sein, dass sie schon früher auf einzelnen Denkmälern vorkommen; Tatsache ist, dass von den bekannten Marmorgruppen keine über das zweite Jahrhundert hinaufsteigt, und dass die beiden, getrennt oder in Liebkosung vereinigt, sich freuend und leidend, von da an bis in die späteste heidnische Zeit namentlich an Sarkophagen sehr häufig wiederholt werden. Dagegen führt die scheinbar einzige umständliche Aufzeichnung ihres Mythus, bei Apuleius357, aus der Zeit der Antonine, den Leser nur irre; es ist ein Märchen, dessen Ähnlichkeit mit jener Allegorie fast lediglich darin besteht, dass auch bei Apuleius zwei Liebende, die durch eine lange, von der einen Seite verschuldete Trennung unglücklich geworden sind, durch eine beseligende Wiedervereinigung für immer verbunden werden. Nur teilweise und inkonsequent hat der Dichter, indem er die beiden Namen wählte, auch von der Tendenz jener Allegorie einigen Gebrauch gemacht, seine Geschichte aber lange nicht genügend danach umgedichtet. Unberührt von seiner Erzählung lebt in jener Zeit die Lehre von der menschlichen Seele weiter. Göttlichen Ursprunges, ist sie doch abgefallen und unterliegt im Erdenleben dem Irrtum; durch Prüfungen und Läuterungen muss sie wieder vorbereitet werden zur Fähigkeit eines seligen Lebens; der himmlische Eros, der sich ihrer annimmt und sie als seine Braut heimführt, ist eine Offenbarung der Gottheit, welche die verlorene Menschheit wieder an sich zieht und mit sich vereinigt.
Es ist nicht bekannt, dass mit diesem Symbol zur römischen Zeit besondere Dienste oder Weihen verbunden gewesen wären. Es bezeichnete nur im allgemeinen eine gewisse Sinnesweise. Der Kreis der Kunstwerke und der poetischen Andeutungen erweitert sich dann noch zu mancherlei Seitenbildern; Psyche als Schmetterling wird durch eine Reihe von Szenen hindurch dargestellt, wie zum Beispiel Pallas sie dem von Prometheus geschaffenen Menschen auf das Haupt senkt, wie sie dann dem Gestorbenen wieder entschwebt und von Hermes zur Unterwelt geführt wird – hieran aber schliesst sich358 als deutliches Sinnbild der endlichen Erlösung der an den Fels geschmiedete Prometheus, welchen Herakles durch einen Pfeilschuss von dem Adler befreit; fortan lebt er göttlich auf dem Olymp.
Von diesem allgemeinen Symbol spätrömischer Sehnsucht nach der Unsterblichkeit gehen wir nun zu denjenigen Mysterien über, in welchen sich ein analoger Inhalt zu erkennen gibt.
Vielleicht müssen hievon die damals noch im Reiche verbreiteten Bacchusmysterien ausgeschlossen werden. Ihr Gehalt in dieser Zeit ist nicht mehr zu ermitteln359; man weiss bloss, dass dabei noch immer das Fleisch von Zicklein roh und blutig verzehrt wurde, und dass die Mysten in ihrem heiligen Wahnsinn sich mit Schlangen umwanden.
Schon näher dem Unsterblichkeitsglauben verwandt erscheinen die Mysterien der dreigestaltigen Unterweltsgöttin Hekate (als Luna, Diana und Proserpina). Die Schriftsteller sagen gar nichts darüber; allein in den Inschriften wird dieser Dienst parallel mit den bedeutendsten Mysterien, denjenigen des Mithras und der Grossen Mutter, genannt, kann also wohl nicht unwichtig gewesen sein. An einem zu Hermannstadt in Siebenbürgen befindlichen Bilde dieser Diva triformis bemerkt man Reliefstreifen, welche allerlei Szenen und Grade der Weihe darzustellen scheinen. Welche bedeutende Mittel auf diesen Geheimdienst gewandt wurden, liesse sich aus der Anlage des von Diocletian in Antiochien 365 Stufen tief unter der Erde angebrachten Hekatetempels360 schliessen, wenn die Nachricht sicher wäre361.
Die späteste Gestalt der Venusmysterien, deren noch hin und wieder362 Erwähnung geschieht, ist ebenfalls unbekannt. Die wichtigsten Geheimdienste aber bezogen sich auf einige Fremdgötter.
Zweierlei Mysterien schlossen sich an den phrygischen Kultus an. Die eine, ältere, schon in der Blütezeit Griechenlands vorkommende Form ist der Geheimdienst des Sabazios363, welcher vielleicht bei den alten Thraciern mit dem Sonnengott, bei den Phrygern mit Atys zusammenfällt, in Griechenland aber meistens als eine Personifikation des Dionysos galt und als solcher auch einen öffentlichen Kultus genoss. Nach asiatischer Art war dabei lärmender Gesang mit Cymbeln und Tamburins und der wilde Sikinnis-Tanz die Hauptsache. Von den geheimen Weihen, wie sie in der griechischen Zeit gefeiert wurden, ist wohl das Äusserliche des Rituals bekannt: Umhängen eines Hirschkalbfelles (Nebris), Trinken oder Besprengen aus Mischkrügen, Reinigungen usw., zum Schluss der altbekannte Ausruf des Mysten, »ich floh das Böse und fand das Gute«, sowie das Herumtragen einer Wanne oder Wiege. Von der geheimen (nach Creuzer kosmogonischen) Lehre aber weiss man nichts und darf sich auch um so weniger einen hohen Begriff davon machen, als das Ende und für die meisten wohl auch das Ziel der Weihen in nächtlicher Ausschweifung der gröbsten Art bestand, was dem ganzen Sabaziosdienst schwere Missachtung zuzog. – Später ist derselbe im Römerreich ziemlich verbreitet, möglicherweise mit einem neuen religiös-philosophischen Inhalt; auch tritt er in eine Art von Verbindung mit dem unten zu besprechenden Mithraskult. Jetzt – wenn nicht schon früher – wurde den Mysten unter symbolischen Sprüchen eine goldene Schlange in das Kleid gesenkt und unten wieder herausgezogen, vorgeblich zum Andenken an die Liebe des Zeus und der Demeter364. Dann wurde man in das Innerste des Heiligtums eingeführt, indem man die Worte sprechen musste: »Aus dem Tamburin habe ich gegessen, aus der Cymbel habe ich getrunken, ein Eingeweihter bin ich nun« – anderer undeutsamer Formeln zu geschweigen. Es lässt sich übrigens vermuten, dass wenigstens im dritten und vierten Jahrhundert diese Sabaziosweihen ausser einer neuen Bedeutung auch eine ehrbarere Haltung möchten angenommen haben. Die christlichen Schriftsteller365, welche in der goldenen Schlange eine offenbare Entlarvung des Satans sehen, der sich endlich hier mit seinem eigenen Namen nenne, hätten sicher nicht geschwiegen, wenn die Zeremonie noch mit allgemeiner Unzucht geendigt hätte. Zudem müssen sich sehr angesehene Leute daran beteiligt haben; Firmicus (um 340) spricht von solchen, die im Purpurgewand, Gold und Lorbeer im Haare, hinzutreten.
Viel merkwürdiger, leider aber nicht viel genauer bekannt, ist die zweite, neuere Gattung phrygischer Mysterien im Römerreich: die Taurobolien, welche sich direkt an die Gestalten der Grossen Mutter und des Atys anschlossen und eine unmittelbare Verheissung der Unsterblichkeit enthielten366.
Seit den Antoninen finden sich Inschriften, wonach der Grossen Mutter und dem Atys ein Taurobolium (Stieropfer) und ein Kriobolium (Widderopfer) dargebracht wurden; der Opferer aber rühmt sich, er sei
IN · AETERNVM · RENATUS
das heisst, auf ewig wiedergeboren. Von der Lehre, die diese Hoffnung vermittelte, weiss man nichts, und von dem Zeremoniell nur Unvollständiges. Der klassische Ort der Weihen befand sich zu Rom am Vatikanischen Berg, von wo aus eine beständige Mitteilung nach den Provinzen könnte stattgefunden haben. Die übliche Zeit war Mitternacht (mesonyctium). Nachdem man unter der Erde eine tiefe Grube gemacht und mit einem vielfach wie ein Sieb durchlöcherten Bretterboden bedeckt hatte, stellte sich darunter der Einzuweihende367, angetan mit Goldschmuck und symbolischer Kleidung; während oben die Opfertiere, Stier und Widder, bisweilen auch noch eine Ziege, geschlachtet wurden, suchte er mit Gesicht, Haaren und Kleid möglichst viel von dem niederrinnenden Blut derselben aufzufangen