Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt
in der Regel an, um ihn seinem System, namentlich seiner Dämonenlehre unterzuordnen.
Die einzelnen Phänomene, die zunehmende Wundersucht und der heidnische Fanatismus, die Mystik und die schwärmerische Abstinenz sind auf jedem Blatt der Geschichte des dritten Jahrhunderts kenntlich verzeichnet. Die Gesamtwahrnehmung aber ist die, dass das ganze Verhältnis zum Übersinnlichen sich verrückt hatte und wesentlich anders geworden war. – Zunächst zeigt sich dies bei Betrachtung der Ansichten über das letzte Schicksal des Menschen selber.
Die Feinde des Christentums machen es ihm zum beständigen Vorwurf, dass es sei eine Religion des Jenseits, welche das Erdenleben nur als trübe, prüfungsreiche Vorbereitungszeit für ein ausserirdisches, ewiges Leben auffasse; sie rühmen dagegen das lebensfrohe Heidentum, welches die antiken Menschen gelehrt habe, hienieden ihre Kräfte, Anlagen und Bestimmungen auf die jedem angemessene Weise durch- und auszuleben. – Man könnte zunächst entgegnen, dass schon die Weltanschauung des kräftigsten Griechentums bei weitem nicht so heiter gewesen, als man zu glauben pflegt; jedenfalls aber muss hier festgestellt werden, dass das Heidentum des dritten Jahrhunderts auf dieses Lob, oder wie man es nennen will, keinen ungeteilten Anspruch mehr machen kann, dass es ebenfalls eine Religion des Jenseits geworden war. Die christliche Dogmatik stellt ihre Lehre von Tod und Unsterblichkeit erst an das Ende der Lehre vom Menschen: im vorliegenden Fall müssen wir damit anfangen, weil das ganze Verständnis der spätheidnischen Religion an diesem Punkte hängt.
Der jammervolle Zustand des Staates und der bürgerlichen Gesellschaft hatte gewiss grossen Anteil an der Ausbildung dieser Jenseitigkeit, doch erklärt er dieselbe nicht völlig. Aus unerforschlichen Tiefen pflegt solchen neuen Richtungen ihre wesentliche Kraft zu kommen; durch blosse Folgerungen aus vorhergegangenen Zuständen sind sie nicht zu deduzieren. Die frühere heidnische Ansicht gönnte dem Menschen wohl eine Fortdauer nach dem Tode, allein in blosser Schattengestalt, als ein kraftloses Traumleben; wer weiser sein wollte, redete nach ägyptischer oder asiatischer Lehre von einer Seelenwanderung; nur ganz wenigen Freunden der Götter wurde der Aufenthalt im Elysium oder auf den Inseln der Seligen vorbehalten. Mit der Krisis des Heidentumes wird der Kreis dieser Bevorzugten auf einmal erweitert, und bald nimmt jedermann die ewige Seligkeit in Anspruch. An zahllosen Sarkophagen findet man Züge von Tritonen und Nereiden, für diese späte Zeit oft recht schön dargestellt; es ist die Reise nach den Inseln der Seligen gemeint. Vorzüglich aber lassen die Grabschriften in dieser Beziehung keinen Zweifel übrig347. »Ihr unglücklichen Überlebenden«, heisst es etwa, »beweint diesen Todesfall; ihr Götter und Göttinnen aber freuet euch über den neuen Mitbürger!« – Anderswo wird in aller Form zugestanden, dass erst jenseits das wahre Leben beginne. »Jetzt erst lebst du deine selige Zeit, fern von allem Erdengeschick; hoch im Himmel geniessest du mit den Göttern Nektar und Ambrosia.« Auch für Kinder, für achtjährige Mädchen wird diese selige Unsterblichkeit verlangt: »Ihr hochgelobten Seelen der Frommen, führet die schuldlose Magnilla durch die elysischen Haine und Gefilde in eure«Wohnungen!« – Selbst ein zehnmonatliches Kind wird redend eingeführt: »Meine himmlische, göttliche Seele wird nicht zu den Schatten gehen: das Weltall nimmt mich auf und die Gestirne; die Erde hat nur den Leib, der Stein meinen Namen empfangen.« Ein Witwer will auch schon das Sternbild kennen, wo seine Gattin wohnt, es ist die Krone der Berenice in der Nähe der Andromeda348. Bescheidener lautet das Gebet eines Sohnes: »Götter der Unterwelt, eröffnet meinem Vater die Haine, wo purpurn ein ewiger Tag leuchtet.« Eine deutliche Hoffnung des Wiedersehens wird ebenfalls ausgesprochen, doch erst auf einem spätheidnischen Steine des vierten Jahrhunderts349. Auch eine andere Konsequenz des Unsterblichkeitsglaubens scheint nicht zu fehlen: der Glaube an die Fürbitte für die Überlebenden; ein hoher Beamter spricht: »Wie ich für euer Heil gesorgt auf Erden, so bin ich nun auch unter den Göttern350 dafür bemüht.« Man hat mit Unrecht mehrern dieser Inschriften einen christlichen Ursprung geben wollen, was durch die ganz deutlichen mythologischen Zutaten hinreichend widerlegt wird. – Dass im diocletianischen Zeitalter diese Unsterblichkeitsidee allgemein verbreitet war, beweist auch die Warnung, welche Arnobius351 den Heiden zuruft: »Schmeichelt euch nicht mit leerer Hoffnung, wenn aufgeblasene Weise behaupten, sie seien aus Gott geboren und den Gesetzen des Schicksals nicht unterworfen; nachdem sie einigermassen sittlich gelebt, so stehe ihnen der Hof Gottes offen, und sie könnten nach ihrem Tode ohne Hindernis dahin als in ihre Heimat emporsteigen.« – Das Beste an der Sache war, dass fortan wenigstens die so tief gewurzelte Ansicht von einem irdischen Fatum nicht mehr in so ausgesprochener Feindschaft mit der Sittlichkeit stand, seitdem eine jenseitige Bestimmung des Menschen anerkannt wurde.
Zu diesem fromm lautenden Glauben schienen in der Tat vom heidnischen Standpunkte aus weiter nichts zu gehören als ein aufgeklärter Monotheismus und eine streng gefasste Sittlichkeit, wie sie zum Beispiel unter den Stoikern im Prinzip und zum Teil auch im Leben vorhanden gewesen war. Allein so einfach gestaltete sich für die damaligen Menschen dieses Problem nicht; zwischen sie und die höchsten Fragen ihres Daseins hatten sich zahllose Götter und Göttersysteme schichtweise gelagert, und mit diesen dämonischen Gewalten musste unterhandelt werden. Selbst wo sich in dieser Zeit der Heide zu einem sogenannten Monotheismus aufschwang, werden wir ihn auf merkwürdige Weise gebunden finden an die Idee untergeordneter göttlicher Wesen, welche auf ihre Weise gefeiert und gesühnt sein wollen. – Die Sehnsucht nach der Unsterblichkeit, weit entfernt, durch einen unmittelbaren sittlich-religiösen Akt sich dem Ewigen zutrauensvoll an den Busen werfen zu können, musste sich zu einem weiten Umweg entschliessen. Nun hatten sich von jeher an die antiken Gottesdienste gewisse Geheimdienste angehängt, welche den Eingeweihten dem Gotte näher brachten und zugleich mehr oder weniger deutliche Beziehungen auf eine bessere Unsterblichkeit enthielten, als die schattenhafte des gewöhnlichen Hades war. In den hellenischen Mysterien der Demeter wie des Dionysos schliesst sich diese Hoffnung an die Feier des Sterbens und Wiederauflebens der Natur, zumal des Saatkorns an, ohne dass sie als das Wesentliche dieser Kulte in den Vordergrund träte. Diese Mysterien wurden noch immer gefeiert; Kaiser und Vornehme, wenn sie nach Griechenland kamen, liessen sich gerne einweihen. Noch jene berühmte Zuschrift des christlichen Firmicus an die Söhne Constantins352 denunziert die Weihen von Eleusis, die kretischen Mysterien des Dionysos, die Sacra der Korybanten als etwas Fortbestehendes; ja wir dürfen vielleicht annehmen, dass die Masse von Mysterien, von welchen Griechenland im zweiten Jahrhundert zur Zeit des Pausanias wimmelte353, sämtlich oder grösstenteils, wenn auch in verkümmerter Form, am Leben blieben bis in die theodosische Zeit354.
Allein so merkwürdig diese mystischen Begehungen an sich sein mögen, so dürfen sie uns doch hier nicht näher beschäftigen, weil sie mehr zurückdeuten in das frühere Griechentum, und ganz besonders weil sie lokal, sogar an Bürgerrechte gebunden waren und sich also nicht weiter verbreiten konnten. Aus demselben Grunde müssen hier die römischen Mysterien der Bona Dea und dergleichen übergangen werden. Ganz anders verhält es sich mit den universellen, über den ganzen römischen Länderkreis verbreiteten Mysterien der Kaiserzeit, die vorzugsweise den fremden Göttern gefeiert wurden.
Es ist nicht die Schuld der neuern Forscher, wenn hier das Wesentliche oft unbekannt, wenn vieles blosse Vermutung bleibt. Von vornherein muss bemerkt werden, dass die qualitative wie die quantitative Teilnahme an diesen Geheimdiensten nach einzelnen Reichsgebieten, Ständen, Bevölkerungsmassen grossenteils ein Rätsel ist. Es können dabei Tausende, aber vielleicht auch Hunderttausende mehr oder weniger eingeweiht gewesen sein; es kann einzelnen Ländern zufällig oder aus innern Gründen ganz daran gefehlt haben, oder die betreffenden Zeugnisse – Inschriften und Bildwerke – liegen noch unter der Erde. Eine durchgehende Wahrnehmung aber ist als sicher anzunehmen: diese Mysterien sind schon frühe, zum Teil schon zur Zeit der Republik in Rom vorhanden, nur in untergeordneter,