Sex Revolts. Simon Reynolds

Sex Revolts - Simon  Reynolds


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natürlich nicht die einzigen Emotionen in den Songs der Stones: Anderswo gibt es noch die fahle Hingabe von »Lady Jane« oder die sentimentale Idealisierung von »Ruby Tuesday«, ein Tribut an ein nonkonformistisches Groupie. 19781 legte Jonathan Cott Jagger in einem Interview für den Rolling Stone nahe, dass sich seine Songs in Gruppen aufteilen lassen. Mädchen werden entweder dafür verunglimpft, herrschsüchtig, bösartig oder heimtückisch zu sein (»Tumbling Dice«, »Sitting on a Fence«, »Let it Loose«), benutzt und aussortiert (»Out of Time«, »Please Go Home«, »All Sold Out«, »Congratulations«) oder aber als schwer fassbare, mystische Fabelwesen idealisiert (»Ruby Tuesday«, »Child of the Moon«) – Jagger stimmte dem widerwillig zu. Cott fährt fort: »Der Song ›Some Girls‹ scheint davon zu handeln, was passiert, wenn Hunderte idealisierte weibliche Twens versuchen, dich aufzufressen, dich zu zerstören. Sie nehmen dein Geld und deine Klamotten und hängen dir Babys an, die du gar nicht willst.« Jaggers Antwort: »So etwas Ähnliches habe ich letzte Nacht zufälligerweise geträumt, aber nicht nur mit Mädchen, sondern auch mit Hunden.«

       MANNISH BOYS & STUPID GIRLS

      Wie bei so vielen anderen Rock-Subgenres auch, setzte eine Dynamik ein, bei der die Extremität immer weiter in die Höhe getrieben und schließlich zur Selbstparodie wurde. Der Song »No Good Woman« der Band The Tree zum Beispiel gleicht einer grotesken Lawine an Beleidigungen gegen ein untreues, undankbares Mädchen. Der Protagonist hat ihr einen Cadillac gekauft und trotzdem behandelt sie ihn schlecht – »for 69 years«. Während er Beschimpfung an Beschimpfung reiht, fragt man sich, warum er sich überhaupt die Mühe macht: »You’re ugly and you’re fat and you’ve got no teeth«. Ein weiteres häufiges Szenario ist die Herabsetzung der frigiden, hochnäsigen »Miss High and Mighty«, die dem Sänger keine Befriedigung gönnt, etwa in »Action Woman« von The Litter. Songs über »reiche Schlampen« kombinierten Klassen-Antagonismus mit sexuellem Unmut, und das auf beiden Seiten des Atlantiks. Der Stones-Song »19th Nervous Breakdown« von 1966 verspottet eine neurotische Debütantin, indem er sie mit ihrer nachlässigen Mutter und ihrem schwerreichen Vater konfrontiert, während John’s Children in »Desdemona« ein verklemmtes Mädchen aus der Oberschicht ersuchen, den Slip fallen zu lassen und Teil der Revolution zu werden: »lift up your skirt and fly«. Im britischen Mod und dem amerikanischen Garage Punk herrschte der ewige Doppelstandard: »Tust du’s nicht, bist du eine Spießerin, tust du’s, bist du eine Schlampe.« Mädchen waren entweder hinterhältige Huren oder fridige Langweilerinnen. Die männlichen Protagonisten dieser Songs hingegen sind wilde Gesetzesbrecher, schlafende Vulkane voll aufgestautem Testosteron und/oder Opfer weiblicher Intrigen. Offensichtlich waren Mod und Garage eng verbunden mit dem Frust männlicher Jugendlicher, die ihre Jungfräulichkeit noch nicht verloren hatten.

       DIE TEUFLISCHE FRAU

      Eines der Lieblingsthemen im Heavy Metal wurde bereits 1966 von John’s Childrens »Smashed Block« vorweggenommen: die Frau als verhexend, bezaubernd, als Meisterin der Illusionen. Das liebeskranke Geflüster des Sängers wird von einem schwindelerregenden Strudel aus psychedelischen Sounds verschlungen, sein Verstand von einem Karussell der Verwirrung herumgewirbelt: »Where is the love I thought I’d found?« Liebe bedeutet Desorientierung, Debilität und Paralyse. Led Zeppelins »Dazed and Confused« (von der 1969er-Debüt-LP) bietet die definitive Version dieses Szenarios. Zwischen den unheilvollen Glissandos der Blues-Gitarre und einer lasziven Bassline erhebt sich eine Grabstätte, die Robert Plants schmachtendem Gestöhne und gequältem Geschrei Raum bietet. Plant liegt auf dem »killing floor« – eine gängige Blues-Metapher, die sich ursprünglich auf Schlachthäuser bezog. Sein Verstand ist vom schwindelerregenden Duft der Weiblichkeit umnebelt worden. Er steht an der Schwelle des Todes, schlaff und entkräftet, bis er und seine Musik es noch einmal darauf anlegen, sich aus dem Pfuhl der Verzweiflung freizukämpfen. Doch es nützt alles nichts: Die Riffmanie versinkt wieder im Moder, während Plant stöhnend und wimmernd seine letzten Sterbenslaute von sich gibt.


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