Sex Revolts. Simon Reynolds
den Machismo von Keseys Acid-Evangelisation (bist du Mann genug, um den Acid-Test zu bestehen?) mit Learys sanftem Mystizismus. Offenbar stachelte einer von Keseys Kumpels, der LSD-Massenfabrikant Augustus Owsley III, seine Freunde an, gleich zwei Dosen zu nehmen und sich »richtig vom Kosmos« zu lösen. Im Zuge dieser Wiederbeschwörung ungezähmter Männlichkeit, die bereit ist, bis an die Grenzen zu gehen, bewunderten die Pranksters die Hells Angels für ihren zügellosen Nonkonformismus. Tatsächlich waren die Angels jedoch ein verzerrtes Spiegelbild der Geschlechterrollen des heterosexuellen Amerikas: Sie waren frauenfeindlich, chauvinistisch und antikommunistisch. Im Oktober 1965 verprügelte eine Angels-Gang in Berkeley Demonstranten, die gegen den Vietnamkrieg protestierten. Kurz darauf schickte ihr Anführer Sonny Barger dem damaligen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson eine offizielle Nachricht, in der er ihm die Dienste der Angels in Vietnam anbot: »Wir sind der Ansicht, dass eine erstklassige Gruppe trainierter Guerillakämpfer den Vietcong zermürben und den Kampf für die Freiheit vorantreiben würde. Für eine Ausbildung und die Ausübung unserer Pflicht stehen wir sofort zur Verfügung.« Trotz alledem wurden die Biker für viele Akteure der Gegenkultur wie die Rolling Stones, Grateful Dead und Steppenwolf zu Ikonen der ungezügelten Freiheit.
Obwohl die Gewalttätigkeit der Angels mit der passiven peace and love-Attitüde der Hippies im Konflikt stand, traf sie einen Nerv innerhalb des konfrontativeren Flügels der 1960er-Gegenkultur. So schrieb Yippie-Krieger und Neomarxist Jerry Rubin in der New York Times: »Junge Kids wollen Helden sein. Sie haben unglaubliche Energie und wollen kreative, aufregende Leben führen. Das ist es auch, was Amerika vermittelt […]. Wir lernen eine Geschichte, die sich an Helden orientiert: Columbus, George Washington, Paul Revere, die Pioniere, die Cowboys. Amerikas Versprechen ist ›ein heroisches Leben‹ gewesen. Aber es konnte sein Versprechen nicht einlösen. Es dreht sich um und sagt: ›Oh, du kannst gute Noten kriegen und einen Abschluss machen, einen Job in einer Firma annehmen, ein Haus kaufen und ein guter Konsument sein.‹ Doch den Kids reicht das nicht. Sie wollen Helden sein. Und wenn Amerika ihnen die Möglichkeit verwehrt, werden sie einen eigenen Weg dafür schaffen.«
Tom Wolfe betrachtete die Merry Pranksters als »wahre mystische Bruderschaft – das Ganze freilich im armen alten Amerika der 60er-Jahre, inmitten von Resopal und Polyäthylen«. Die Beatniks, die Merry Pranksters, Learys Politik der Ekstase, das Psychodrama von Einer flog über das Kuckucksnest – all das passt perfekt in jene Mythologie, die Robert Bly 1990 in seinem Bestseller Eisenhans kreierte. Bly ist Poet, Mitbegründer der Männerbewegung, Verehrer der Wildnis und glaubt, dass die Probleme der westlichen Gesellschaft ihren Ursprung in der Absenz von (männlichen) Vorbildern und Initiationsriten für männliche Jugendliche sowie deren Überbemutterung haben. Das Ergebnis seien entmannte »soft males« – Weicheier. Um dem entgegenzuwirken, fordert Bly eine Wiedererweckung des inneren wilden Mannes. Seine Ideen sind im Prinzip nicht mehr als eine mythologisch aufgeladene Neuauflage von Wylies Momism. Er gibt Müttern sogar die Schuld für Jugendkriminalität, Ungehorsam und Misogynie; schließlich seien dies Symptome der Versuche männlicher Jugendlicher, aus dem Kokon der mütterlichen Liebe auszubrechen. Rockmusik (insbesondere aufmüpfige, tribalistische Machogenres wie Rap und Metal) bietet einen Ersatz für jene Initiationsriten adoleszenter Männlichkeit, der charismatische Sänger wird dabei zur modernen Entsprechung des Mentors oder Schamanen.
Blys Eisenhans-Legende ist zu komplex, um an dieser Stelle näher darauf einzugehen, aber in ihrem Kern handelt es sich dabei um ein psychologisches Grundgerüst, das dem Ödipus-Mythos ähnelt. In beiden Fällen wird ein Jugendlicher von seinem Zuhause und seiner Mutter getrennt (oder trennt sich selbst davon), verschwindet in der Wildnis und kommt schließlich zurück, um den Platz des Königs/Vaters einzunehmen und mit der Mutterfigur, der Königin, vereinigt zu werden. (In der Ödipus-Geschichte sind König und Königin buchstäblich Ödipus’ Vater und seine Mutter.) Diese Mythen, Blaupausen männlicher Rebellion, sind Inzest-Psychodramen: ein Inzest, der zuerst (durch die Flucht vor dem erstickenden Busen) vermieden wird und dann, symbolisch, in der Eroberung der Königin zurückkehrt. Inzest steht dabei für mehr als bloßes Verlangen nach der Mutter. Er ist eine unerfüllbare Sehnsucht nach totaler Genugtuung und ultimatives phallisches Prestige; eine Sehnsucht, die in den extremsten Forderungen der Rockmusik wieder auftaucht, von Jim Morrisons unersättlichem Aufschrei »We want the world and we want it NOW« zur unerbittlichen Wut in Johnny Rottens »I wanna be anarchy«. Mit »The End« hatten die Doors sogar eine explizit ödipale Hymne und im Werk der Sex Pistols gibt es ein latentes Motiv des Inzests/Muttermords. Bevor er die Pistols traf, schrieb deren Strippenzieher Malcolm McLaren Songs für eine fiktive Rockband, die seiner Vorstellung nach eine Teenie-Revolution anführen sollte. Für einen Song mit dem Titel »Too Fast to Live, Too Young to Die« stellte sich McLaren einen Sänger vor, der »aussieht wie Hitler, diese Gesten, Armbinden etc., und der auf inzestuöse Weise über seine Mutti spricht.«
BOYS KEEP SWINGING
Inzest stellt im Rock zugleich eine ultimative Metapher der Transgression und eine klaustrophobische, kastrierende, versklavende Unterordnung unter die erstickende Häuslichkeit der Mutterliebe dar. Brian Jones von den Rolling Stones war ein Musterbeispiel für diesen Konflikt: Er schwankte zwischen effeminierter Passivität und bösartiger Brutalität gegenüber Frauen. Als Jones 1967 Berufung gegen ein strenges Urteil wegen Drogendelikten einlegte, bescheinigte ihm der Gerichtspsychologe eine Persönlichkeit, die zwischen »phallischer und sadistischer Sexualität« und einem »offenkundigen Bedürfnis nach passiver Abhängigkeit« pendele. Weiter führte er aus, dieser Zustand käme von »ödipalen Fixierungen […]. Teil seiner Verwirrung scheint die stark ausgeprägte Ablehnung zu sein, die er gegenüber seiner dominanten und kontrollierenden Mutter verspürt.« Daher also der Jones-Mix aus Weichei und unausstehlichem Teenager, der die Ketten seiner Mutter abstreift.
Mehr noch als der Rest der Band war Brian Jones der Inbegriff der den Rolling Stones immanenten Mischung aus verweichlichtem Dandy und brutalem Machismo. Seiner »femininen Seite« gab er sich durch eine Camp-Persona und Unisex-Klamotten hin, und manchmal trieb er dieses Spiel sogar auf die Spitze, indem er eine Frau verkörperte. Anita Pallenberg berichtete, während eines LSD-Trips mit Jones die Geschlechterrollen getauscht zu haben – sie verkleidete ihn als die französische Sängerin Françoise Hardy. Doch die Frauen in seinem Leben waren Jones’ gewaltsamen Wutanfällen ausgesetzt, dazu ließ er sie mit seinem unehelichen Nachwuchs allein. Auch Mick Jaggers Image vermischte spitzbübische Rebellion und Weiblichkeit. »Was die Leute wirklich aufregt«, sinnierte der Sänger, »ist, dass ich ein Mann bin und keine Frau. Ich tue nicht viel mehr als viele Tänzerinnen, aber weil Männer das Sagen haben, ist es bei ihnen akzeptiert.« Die Stones bemächtigten sich der weiblichen »Privilegien«, auffälligen Schmuck tragen zu können und sich narzisstisch zu verhalten, während sie Frauen aufgrund solcher Oberflächlichkeiten geringschätzten.
Manchmal diente das Crossdressing der Stones der spöttischen Parodie, beispielsweise auf dem Cover der Single »Have You Seen Your Mother, Baby, Standing in the Shadow«: Keith Richards als Stewardess, Jones als aufreizende Hilfskraft der Royal Air Force, Mick Jagger und Bill Wyman als runzelige alte Frauen und Charlie Watts als reiche alte Dame im Pelzmantel. Ihr Transvestismus blieb den Stones bis zu ihrem Album Some Girls (1978) erhalten, auf dessen Cover die Gesichter der Band von Frauenperücken umrahmt sind. Auf dem Backcover finden sich sarkastische Fakebiografien: Wymans alter Jungfer »fehlt nur eine Eigenschaft, um die perfekte Ehefrau zu sein – sie mag einfach keine Männer«, Jaggers Karrierefrau opfert ihr Liebesleben ihrem Beruf und so weiter. Jede dieser erfundenen Frauen steht ohne Mann da. Für die Stones offensichtlich die ultimative Schmach.
In den 1960ern war Androgynität lediglich eine weitere Waffe im Arsenal der Band für den Kampf gegen gesellschaftliche Normen. Was bei Frauen akzeptiert war, wurde subversiv, wenn es sich Männer aneigneten. Die Stones sind ein Paradebeispiel der dionysischen Tradition im Rock ’n’ Roll, daher ist es kein Zufall, dass sie sich zur Femininität hingezogen fühlten. In Androgyny schreibt June Singer über den originalen altgriechischen Gott Dionysos: »Er wird behandelt und geschult wie ein Mädchen und wächst als effeminierter Mann auf. Er ist nicht in der Lage, das Feminine vom Maskulinen in sich zu trennen, weiß kaum, wer er ist. Wie ein ewiger Jugendlicher wandert er durch die Welt, ändert seine Form,