Sex Revolts. Simon Reynolds

Sex Revolts - Simon  Reynolds


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Revolts als Quelle nennt.

       EINLEITUNG

      Als wir dieses Projekt angegangen sind, wussten wir: Ein solches Buch ist dringend nötig, aber wir waren uns nicht sicher, wie genau es aussehen würde. Wenn wir anderen von unserem Thema – Gender und Rock – erzählten, sorgte das für unglaublich intensive und unterschiedliche Reaktionen, die uns gleichzeitig verwirrten und umso mehr von unserem Vorhaben überzeugten. Es war, als hätten wir unseren Freunden einen Rorschachtest vorgelegt: Alle sahen etwas anderes. Manche Frauen erzählten uns von Songs, die sie liebten, doch deren Texte sie irritierten. Viele Männer dagegen nahmen an, dass es ein Buch über die olle Kamelle »Frauen im Rock« werden würde, als gäbe es irgendeinen Grund, Männer von der »Gender«-Kategorie auszuschließen. Andere gingen bei der bloßen Erwähnung des Wortes »Frauenfeindlichkeit« in die Defensive – wenn sie nicht sogar gleich zum Gegenangriff bliesen.

      Jeder schien das Gefühl zu haben, dass bei einer Untersuchung des Rock ’n’ Roll »durch die Gender-Linse« etwas auf dem Spiel stand. Rock bietet uns einen imaginären Raum, in dem wir unsere sexuelle Identität bekräftigen oder herausfordern können. Manchmal bietet er uns sogar die Möglichkeit, ihre Beschränkungen völlig hinter uns zu lassen. Suzanne Moore nennt diese fantasiereiche Aktivität »Gender-Tourismus«. Das kann bedeuten, dass man dahin geht, wo das Gras grüner zu sein scheint, einen walk on the wild side unternimmt, einen Billigurlaub im Elend anderer macht oder schlicht sein Alltags-Ich überwindet. Eher schüchterne Frauen entdecken die Wildheit der Rolling Stones oder der Sex Pistols, Männer mit dicker emotionaler Haut können mit Androgynität experimentieren, während Weicheier »Soldaten spielen«, indem sie sich als Krieger fantasieren oder sich dem Größenwahn hingeben.

      Sex Revolts begann als Kritik von Misogynie im Rock, entwickelte sich dann zu einer Studie über die Darstellung von Weiblichkeit in dessen Vorstellungswelt und wurde schließlich zu dem, was es jetzt ist: eine Quasi-Psychoanalyse der Rebellion (männlich wie weiblich). Im ersten Teil, »Die Misogynie der Rebellen«, untersuchen wir, wie sich männliche Rebellen gegen das »Feminine« positioniert haben. Das beinhaltet den Born to run-Impuls (Rolling Stones, Iggy Pop), den Soldaten oder Krieger, der in der Kameradschaft unter Waffenbrüdern Zuflucht findet (The Clash, Public Enemy), sowie selbstverherrlichende Allmachtsfantasien, sei es in Form einer Art Mensch-Maschine (Heavy Metal, Techno) oder einer königlichen Herrschaft (The Doors, Nick Cave, Gangsta Rap).

      Der zweite Teil, »Von Rebellion zu Anstand«, untersucht idealisierte Darstellungen von Frauen und Weiblichkeit im männlichen Rock – die schier endlosen Fälle, in denen es um die Sehnsucht nach Heimat, einer Rückkehr in den Mutterleib geht, oft in Form eines kosmischen/ozeanischen Mystizismus oder einer Huldigung von Mutter Natur. Dieser Tradition – der des psychedelischen Muttersöhnchens – folgen The Byrds, Van Morrison, Pink Floyd, Can, Brian Eno, My Bloody Valentine und andere.

      Im dritten Teil, »Sex Revolts«, sehen wir uns an, wie Künstlerinnen versucht haben, eine speziell weibliche Rebellion auf die Beine zu stellen, was auch verlangt, gegen alle Widerstände konventionelle Vorstellungen von Weiblichkeit hinter sich zu lassen. Wir konzentrieren uns auf die aufschlussreichsten Strategien: Maskerade/Mystik (Kate Bush, Siouxsie, Annie Lennox, Grace Jones), Entmystifizierung konventioneller Weiblichkeit (The Slits, The Raincoats, Riot Grrrl), die mit dem Bild des Tomboys verknüpfte Nachahmung männlicher Rebellion (Joan Jett, L7), persönliche Offenbarung (Janis Joplin, Lydia Lunch, Hole) sowie Künstlerinnen, die Widersprüche in sich vereinigen und die stete Veränderung feiern (Patti Smith, Throwing Muses, Mary Margaret O’Hara).

      Warum haben wir nun Männer und Frauen, »echte Männer« und Muttersöhnchen so konsequent voneinander getrennt? Weil es uns als der beste Weg erschien, die Muster und Verknüpfungen zu verdeutlichen, die sich durch die verschiedenen Rock-Zeitalter ziehen. Wenn es um Geschlechtsunterschiede geht, teilen wir die argwöhnische, aber pragmatische Sichtweise von Gilles Deleuze und Felix Guattari auf die Dualismen, die »der Feind sind, aber ein unbedingt notwendiger Feind, das Mobiliar, das wir immer wieder verschieben.«

      Von Dualismus zu Duo-lismus: die Probleme, die unweigerlich auftreten, wenn zwei Menschen als einzelne Stimme auftreten. Unsere gemischtgeschlechtliche Partnerschaft war Vor- und Nachteil. Wir konnten unsere jeweiligen Vorurteile und blinden Flecken aufdecken, fanden es aber auch schwierig, geradewegs über unsere individuellen Erfahrungen aus Gender-Perspektive zu schreiben. Manches Mal waren wir versucht, dieses neutrale, univoke »Wir« aufzulösen und den Text hin zu einer internen Meinungsverschiedenheit zu öffnen. (Wir spielten sogar mit dem Gedanken, zwei unterschiedliche Schriftarten zu verwenden, hielten das dann aber doch nur für eine derridaeske Masche.)

      Dies ist kein allumfassendes Buch. Dazu springen wir zu sehr in Zeit und Raum herum, um Gedankengänge, Themen, Traditionen, Eigenschaften, Metaphern und Obsessionen nachzuzeichnen. Wir ignorieren viele bedeutende Figuren und lenken das Scheinwerferlicht dafür auf ein paar unbekannte Künstlerinnen und Künstler, weil sie bestimmte Tendenzen auf die Spitze treiben und damit mehr offenlegen. Ältere Bücher über »Gender und Rock« beschäftigten sich größtenteils mit dem Kampf gegen Chauvinismus oder routiniertere Formen von Sexismus in der Musikindustrie (wie im Heavy Metal oder Gangsta Rap). Derart unverfrorene Fälle von Misogynie sind unserer Meinung nach selbsterklärend, also haben wir uns stattdessen auf das konzentriert, was nicht so offensichtlich ist: den misogynen Subtext, die unsichtbare Komplizenschaft bei der Aufrechterhaltung patriarchaler Werte – beide oft unter dem scheinbar Subversiven und Progressiven verborgen. Wir sind davon fasziniert, wie das, was nach »Freiheit« klingt und sich auch so anfühlt – zum Beispiel die Musik der Rolling Stones, der Stooges oder der Sex Pistols –, die Saat der Herrschaft in sich tragen kann.

      Iggy Pop sagte einmal über die Frauen in seinem Leben: »Wie nah sie auch kommen, ich ziehe ihnen immer den Boden unter den Füßen weg. Dort wird meine Musik gemacht.« Das ist Rock ’n’ Roll in excelsis: Diese männliche Ungezähmtheit, Feindseligkeit, Stärke ist seine ESSENZ. Eines unserer Ziele war es, herauszufinden, ob es möglich ist, sich einen Rock ’n’ Roll vorzustellen, der nicht von dieser gewaltsamen Leidenschaftlichkeit angetrieben wird.

      Sex Revolts ist kein Versuch, diese Rockrebellen vor ein sexualpolitisches Tribunal zu bringen – es ist mehr eine Vernehmung als eine Gerichtsverhandlung. Wir mögen fast alle Künstler in diesem Buch – was auch immer das aussagen mag. Manche der »schlimmsten Fälle« – Stones, Stooges, Nick Cave etc. – gehören zu unseren absoluten Favoriten. Unsere These ist schlicht, dass das Hochgefühl, das diese Künstler in uns auslösen, nicht von ihrer Verwurzelung in »problematischer« Gender-Politik zu trennen ist. Was diese Rebellen so eindrucksvoll macht, ist die psychosexuelle Dynamik des Ausbrechens.

      Natürlich ist es möglich, der Energie der Rockmusik zu verfallen, ohne mit ihrem antiweiblichen Impetus übereinzustimmen oder sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Jahrzehntelang haben Frauen Befreiung in Musik gefunden, die – im kalten, leidenschaftslosen Licht der Kulturanalyse – ganz klar repressiv erscheint (z. B. Led Zeppelin, Guns N’ Roses). Es ist ein bisschen so, wie vom Flug einer Rakete gefesselt zu sein und dabei ihren Treibstoff (Misogynie) und ihr Ziel (du!) zu ignorieren. Oder voller Ehrfurcht vor den Pyramiden zu stehen und dabei das endlose Leid der Sklaven, die sie erbauen mussten, zu vergessen.


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