Butler Parker Staffel 11 – Kriminalroman. Günter Dönges
was man ihm nicht verdenken konnte. »Abhauen, Paul …«
Unter Blinden ist der Einäugige bekanntlich der König. Diese Königsrolle mußte nun Paul übernehmen. Er nahm seinen Begleiter bei der Hand und lotste ihn vor das Haus. Es dauerte einige Zeit, bis sie den VW end-lich richtig angesteuert hatten. Paul übernahm das Steuer und rauschte verhalten los.
Er sah nicht besonders viel und hätte um ein Haar einen Hydranten mitgenommen. Er konnte den Zusam-menstoß zwar gerade noch vermeiden, knallte dafür aber mit dem linken Kotflügel gegen ein Straßenschild, demolierte die Wagentür und schlingerte anschließend in einem gewagten Slalom hangab die Straße hinun-ter.
*
Butler Parkers Einkauf hatte sich verzögert.
In Falmouth gab es nicht alle Dinge, die er für notwendig hielt. Parker, Lady Simpson und Kathy Porter waren also bis nach Plymouth gefahren, eine Strecke, die der hochbeinige Wagen mit Leichtigkeit geschafft hatte.
In Plymouth konnte Parker seine Vorräte endgültig ergänzen. Er sah sich sehr gründlich in einem Scherzar-tikelwarengeschäft um und kaufte in einem Spielwarengeschäft ein. Im Kofferraum seines Wagens lagen einige Pakete und eine kleine Stahlflasche, in der sich Wasserstoff befand. Diesen Artikel hatte er sich in einem Fachgeschäft für Industriebedarf besorgt.
Es dämmerte bereits, als Parker zurück nach Falmouth fuhr. Die Lichtverhältnisse entsprachen genau sei-nen Plänen. Es mußte vollkommen dunkel sein, wenn er vor dem Castle eintraf.
Als das hügelige Küstengelände in Sicht kam, schaltete der Butler die Scheinwerfer seines hochbeinigen Wagens aus. Er wollte vom Castle aus nicht gesehen werden. Stephan Waters sollte überrascht werden.
Diskret weckte er Agatha Simpson, die während der Rückfahrt ein kleines Nickerchen gemacht hatte. Sie war sofort da und sah sich unternehmungslustig um.
»Das Castle, Mylady«, meldete der Butler, der augestiegen war und die hintere Wagentür öffnete.
»Was machen wir zuerst?« erkundigte sich die Detektivin.
»Wenn Mylady erlauben, möchte ich mich zuerst mit der Versorgung des Schlosses befassen«, antwortete Parker. »Fehlendes Wasser und Licht erweisen sich stets als ausgesprochen hinderlich.«
»Wie lange werden Sie brauchen, Mister Parker?«
»Mylady sollten sich auf etwa eine halbe Stunde einrichten«, lautete die gemessene Antwort des Butlers, der anschließend den Kofferraum seines hochbeinigen Wagens öffnete und ihm einige wichtige Utensilien entnahm.
Dank seines fotografischen Gedächtnisses wußte er selbst in der Dunkelheit, wo er den Kontrollschacht fand, der von einem schweren, gußeisernen Deckel abgeschlossen wurde. Parker lüftete höflich seine schwarze Melone, bevor er sich auf den Weg machte.
»Kann ich wirklich nicht helfen?« erkundigte sich Agatha Simpson.
»Mylady sollten mir unter Umständen den Rückweg decken«, bat der Butler.
»Hoffentlich gibt es einen netten, kleinen Zwischenfall«, antwortete die Sechzigjährige sehnsüchtig.
»Mylady sollten nicht unbedingt den sprichwörtlichen Teufel an die imaginäre Wand malen«, gab Parker zurück, »wenn Sie erlauben, werde ich mich jetzt empfehlen.«
Parker blieb seitlich neben der schmalen Straße. Er mußte nur knapp hundert Meter gehen, bis er den ge-suchten Kontrollschacht gefunden hatte. Er sah zum Castle hinüber. Eine Reihe der hohen, schmalen Fenster war strahlend hell erleuchtet. Stephan Waters schien die Dunkelheit nicht sonderlich zu schätzen.
Mit einem mitgeführten Eisenhaken öffnete Parker den Kontrollschacht und leuchtete mit seiner Kugel-schreibertaschenlampe nach unten.
Er sah das gußeiserne Wasserrohr, das hier mit einem Hauptventil versehen war. Und zu seiner Freude entdeckte er daneben das sehr gut isolierte Elektrokabel für das Schloß. Besser hätte er es gar nicht antreffen können.
Parker brauchte nicht zu befürchten, über Waters hinaus andere Menschen zu schädigen. Außer dem Cast-le gab es hier weit und breit kein anderes Haus. Er durfte also recht ungeniert Vorgehen, was er auch sofort tat.
Parker wartete sicherheitshalber ein wenig, bevor er nach unten in den Kontrollschacht stieg. Bis zum Vorwerk, von dem aus die Kabelbrücke dann hinüber zum eigentlichen Castle führte, war es nicht besonders weit. Und daß dieses Vorwerk bewacht wurde, hatte er ja bereits beim ersten Besuch feststellen können.
Im Vorwerk rührte sich nichts. Wer dort auch immer Wache hielt, dachte sicher an nichts Böses. Parker beeilte sich, die Ruhe dieser Wache jäh zu beenden.
Ohne Hast oder Eile bemühte Parker sich nach unten in den Schacht und holte eine kleine Pappschachtel aus der mitgeführten Ledertasche. Er öffnete sie und stellte den etwas groß geratenen Wecker neben sich. Dieser Wecker sah harmlos und sehr poppig aus, doch er enthielt eine veritable Sprengladung, die mittels des Uhrwerks beliebig gezündet werden konnte. Im Zusammenbasteln solcher Geräte hatte der Butler eigentlich schon immer viel Geschick bewiesen.
Er sah sich das Hauptventil und die Elektroleitung genau an, Verbaute dann den Wecker und zog das Uhrwerk auf. Als er nach oben stieg, Hörte er plötzlich Schritte und leise Stimmen.
Parker zog es verständlicherweise vor, schleunigst den Kopf einzuziehen.
Die Schritte und Stimmen kamen näher.
»… reiner Humbug, hier durch die Gegend zu laufen«, sagte die erste Stimme verdrießlich.
»Man kann nie wissen«, meinte die zweite Stimme. »Ich weiß nicht, diesem Butler traue ich eigentlich al-les zu.«
»Butler … Butler! Wenn ich das schon höre! Der Chef tut ja gerade so, als hätten wir’s mit ’nem Wunder-knaben zu tun.«
Ein Streichholz wurde angerissen. Parker schnupperte den Rauch einer Zigarette. Die beiden Männer schienen sich in unmittelbarer Nähe des Kontrollschachts zu befinden.
Der Butler hatte plötzlich die Zwangsvorstellung, daß der Wecker ungewöhnlich laut tickte.
Wieviel Minuten mochten verstrichen sein? Die Zeit drängte. Die Frist bis zur Zündung der Sprengladung verkürzte sich immer mehr. Hoffentlich wanderten die beiden Männer endlich weiter, die hier offensichtlich eine Art Außenwache darstellten.
Die Schritte entfernten sich, aber die Stimmen waren nach wie vor zu hören. Und selbst, als die Schritte nicht mehr zu hören waren, ließen die Stimmen sich noch sehr gut unterscheiden. Parker riskierte einen Blick über den Rand des Schachts und sah es gar nicht gern, daß die Wachen es sich äußerst bequem gemacht hat-ten.
Sie nutzten eine kleine Bodenwelle, um eine Rast einzulegen. Vom Castle aus konnten sie nicht eingese-hen werden, also ungeniert rauchen. Sie hielten sich damit in unmittelbarer Nähe einer Sprengladung auf, die es wahrlich in sich hatte.
Der Butler sah sich außerstande, die beiden Herren freundlich aufzufordern, das Weite zu suchen. Sie hät-ten wohl mit tödlicher Sicherheit auf ihn geschossen. Zum anderen hatte er auch keine Lust, noch weiter in dem Schacht zu bleiben.
Doch Parker wäre eben nicht Parker gewesen, wenn er sich nicht zu helfen gewußt hätte.
Die Gabelschleuder, die er stets bei sich führte, weil sie eine einzigartige, geräuschlose Waffe war, half ihm aus seiner Verlegenheit. Parker steckte die beiden Hälften der zusammenlegbaren Zwille zusammen und legte eine Stahlkugel in die starke Lederschlaufe. Er strammte die beiden Gummistränge und schoß die Stahlkugel hinüber und hinunter auf das Vorwerk.
Der Erfolg war frappierend.
Die Stahlkugel klatschte klirrend gegen das Gemäuer des ersten Torbogens.
Die beiden Wachen schossen förmlich aus ihrer Deckung hoch und rannten dann in langen Sätzen hinunter zum Vorwerk. Sie mußten schließlich fest annehmen, daß dort Gefahr drohte …
*
Stephan Waters saß