Unser Kosmos. Andere Welten.. Ann Druyan
ist eine von vier heiligen Höhlen in den Granithügeln des nordöstlichen Indien. Der elegante Eingang führt in eine schlichte Höhle mit bemerkenswerter Akustik. Ashoka besuchte sie im 3. Jahrhundert v. Chr.
NACHDEM ASHOKA IN HOHEM ALTER GESTORBEN WAR, bestand die Maurya-Dynastie nur noch für 50 Jahre. Die Tempel und Paläste aus seiner Herrschaftszeit und die meisten Säulen, die er errichten ließ, wurden von religiösen Fanatikern der folgenden Generationen zerstört, da sie ihn für gottlos hielten. Für sie gehörte eine Beibehaltung der herrschenden Hierarchie zur Religion. Doch trotz aller Bemühungen seiner Kritiker lebt sein Vermächtnis dank der Wiederentdeckung der Edikte im 18. und 19. Jahrhundert weiter. Als im 20. Jahrhundert das moderne Indien gegründet wurde, wählte es Ashokas Löwen als Staatswappen.
Dass der Buddhismus zu einer der einflussreichsten religiösen Philosophien aufstieg, wird Ashoka zugeschrieben. Einige Jahrhunderte vor der Geburt Jesu wurden Ashokas Edikte in der Sprache Jesu, Aramäisch, und anderen Sprachen in Stein gehauen, um Mitleid, Barmherzigkeit, Demut und Friedensliebe zu lehren. Wir wissen, dass seine Abgesandten nach Alexandria und in andere Städte im Nahen Osten reisten und so womöglich seinen Einfluss noch vergrößerten.
Die Lomas-Rishi-Höhle in den Barabarhügeln in Indien ist einer der wenigen Tempel Ashokas, die noch existieren. Der Tempel ist überraschend schlicht, nur einige Inschriften sind zu finden. Das Besondere an ihm sind die außergewöhnliche Resonanz und das lang nachhallende Echo. Die Schallwellen prallen an den polierten Wänden ab und verklingen dann langsam, bis die Wände sie völlig absorbiert haben – und kein Ton mehr übrig ist. Stille.
Doch Ashokas Traum scheint mir das Gegenteil davon zu sein. Sein Echo wird mit der Zeit immer lauter.
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VERLORENE STADT DES LEBENS
Es gibt ein, man weiß nicht welches, süßes Geheimnis über
dieses Meer, dessen sanfte schreckliche Regungen auf eine
gewisse verborgene Seele in der Tiefe hinzuweisen scheinen …
Und es ist so, dass auf diesen Meeresweiden, diesen sanft
wogenden nassen Prärien und Blutäckern aller vier Kontinente,
die Wellen unaufhörlich steigen und fallen wie Ebbe und Flut;
denn hier mischen sich Millionen Schattierungen und Schatten,
ertrunkene Träume, Schlafwandlereien, Tagträumereien;
alles, was wir Leben und Seele nennen, liegt träumend,
träumend still; wälzt sich wie die Schläfer in ihren Betten;
schafft mit seiner Unrast die ewig rollenden Wellen.
HERMAN MELVILLE, MOBY-DICK
Der amerikanische Maler Elihu Vedder verlieh dem Geheimnis des Meeres im Gemälde »Memory« von 1870 Gestalt.
Für diese Aufnahme von NGC 602 kombinierten Astronomen die Daten von drei Teleskopen. Der Sternenhaufen liegt etwa 200 000 Lichtjahre entfernt in der Zwerggalaxie Kleine Magellansche Wolke (KMW), die um unsere Milchstraße kreist. Da diese Region der KMW weniger Metalle, Gase, Staub und Sterne enthält, könnte sie als Modell für die Geburt von Sternen im frühen Universum dienen.
Als unsere Galaxie, die Milchstraße, jung war, gerade einige Milliarden Jahre alt, war sie weitaus produktiver als heute. Damals, vor etwa sieben Milliarden Jahren, gebar sie dreißigmal mehr Sterne: ein Feuersturm der Sternenschöpfung. Unser Stern entstand später, vielleicht gibt es uns deshalb. Ältere, massivere Sterne starben und vermachten uns im Verlauf weiterer fünf Milliarden Jahre ihre schwereren Elemente. Diese verdichteten sich und lieferten das Material für die Planeten und Monde in unserem Sonnensystem. Auch wir bestehen aus diesem Sternenstoff.
Lodernde rosafarbene Wasserstoffwolken umhüllten die neugeborenen Sterne. Die Gravitation formte sie um. Hellblaue Haufen älterer Geschwistersterne und amorphe Gas- und Staubansammlungen verschmolzen mit den rosa Wolken und wurden zu der Galaxie, die wir heute unser Zuhause nennen.
Das Universum bildet Galaxien. Galaxien bilden Sterne.
Einer dieser Sterne wird zur Supernova, deren Schockwellen aus Materie die Wolke aus Gas und Staub verwirbeln. Sie beginnt, sich zu verdichten und zu drehen, sie flacht sich zu einer Scheibe ab. Die Beule in ihrer Mitte blitzt plötzlich auf, im gleißend hellen Licht einer Fusionsreaktion. Unsere Sonne ist geboren.
Funkelnde grüne Jets schießen aus der Sonne und regnen wie Smaragdflitter auf die umliegende Scheibe. Unser Stern spendet seinen Welten kostbare Mineralien – glitzernde Diamanten und grünen Olivin, ein wichtiger Stoff in unserer Geschichte.
Die Scheibe dreht sich weiter und gliedert sich in konzentrische Ringe. Einer der Ringe fängt an sich zu verklumpen und wächst, bis er eine kugelrunde Welt ist. Das ist Jupiter, der erste Planet der Sonne.
Sterne bilden Planeten, Monde und Kometen.
Gas und Staub verklumpen, weitere Welten beginnen zu wachsen und stoßen zusammen. Planeten formen sich, kollidieren mit Brocken auf ihrem Weg, wachsen zu immer größeren Welten und fegen ihre Bahn um die Sonne frei. Diese zukünftigen Planeten und Monde sind voller organischer Moleküle – den chemischen Bausteinen des Lebens. Sie sind die Erbschaft aus dem Tod anderer Sterne.
BRINGT DER KOSMOS LEBEN SO NATÜRLICH HERVOR, wie er Sterne und Welten bildet? Um das zu erfahren, tauchen wir jetzt immer tiefer in die Vergangenheit ein, durch eisenreiches, blutrotes Wasser hindurch auf den Boden eines Meeres.
Vor langer Zeit, vor über vier Milliarden Jahren, als unsere Welt jung war, gab es eine Stadt aus Türmen, die 15 bis 30 Meter hoch aufragten. Ihre Fundamente waren tief im Meeresboden verankert. Es dauerte Zehntausende Jahre, um diese Stadt zu bauen. Doch in dieser Welt gab es noch kein Leben. Wer errichtete diese unterseeischen Hochhäuser? Die Natur. Sie baute sie aus Kohlendioxid und Calciumcarbonat, demselben Mineral, das in Muschelschalen und Perlen steckt.
Eine wieder aufgetauchte verlorene Stadt des Lebens? Türme aus porösem Kalkstein, dem Tuff, ragen aus der Landschaft Kaliforniens. Sie sind keine 1000 Jahre alt und kamen zum Vorschein, als der Wasserspiegel des umgebenden Sees sich absenkte.
Unsere ruhelose Erde brach auf, kaltes Meerwasser strömte in den heißen, felsigen Erdmantel, reicherte sich mit organischen Molekülen und Mineralien wie dem grünen Olivin an. Diese Mischung erhitzte sich, schoss mit großer Kraft wieder heraus und wurde in den Poren des Carbonatgesteins eingeschlossen, aus dem die Türme wuchsen. Die Poren waren Brutschränke, sichere Orte, an denen sich die organischen Moleküle anreicherten. Auf diese Weise wurden die Felsen zum ersten Heim des Lebens. Es war der Anfang, zumindest in unserer Ecke des Kosmos, einer andauernden Zusammenarbeit zwischen den Mineralien der Erde – den Felsen – und dem Leben.
Als sich Wasser und Kohlendioxid zu organischen Molekülen verbanden, die zum Ursprung des Lebens führten, wurden Wasserstoff und Methan freigesetzt. Dieser Prozess hinterließ Risse im Gestein. Wissenschaftler suchen Wasser, wenn sie auf anderen Welten nach Leben suchen, denn es ist die Grundvoraussetzung für Leben. Heute suchen sie auch nach Anzeichen der Serpentinisierung, die mit dem Prozess, der Leben ermöglicht, eng verbunden ist.
Und findet die Wissenschaft ein so schönes Bild für den Ursprung des Lebens wie Michelangelos Gotteshand, die Adam zum Leben erweckt?