Unser Kosmos. Andere Welten.. Ann Druyan
unsere kleine Heimat zu schützen und sicher durch den Ozean der Raumzeit zu reisen – nicht länger von Erde, Meer oder Himmel beschränkt.
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O MÄCHTIGER KÖNIG
Die Herzen werden aber nicht durch Waffen,
sondern durch Liebe und Edelmut gewonnen.
BARUCH DE SPINOZA, ETHIK, 1677
Halte nicht das Korn zurück und warte auf höhere Preise,
wenn die Menschen hungrig sind.
ZARATHUSTRA ZUGESCHRIEBEN
Der Eingang zur Pir-e Sabz, einer heiligen Tropfsteinhöhle der Zoroastrier im heutigen Zentraliran. Der Sage nach hat Nikbanu, die Tochter des letzten Sassanidenkönigs, hier Zuflucht gesucht. Die Tropfen in der Höhle sollen ihre kummervollen Tränen sein. Die Tropfen gaben dem Schrein seinen Namen: Tschak Tschak.
Drei Schädel aus einer Epoche, als drei verschiedene Arten unserer Vorfahren zur gleichen Zeit am selben Ort lebten: Homo habilis, Homo erectus und Australopithecus robustus (v. l. n. r.). Sie wurden von den Expeditionsteams Richard Leakeys gefunden und lebten alle vor etwa 1,5 Millionen Jahren.
Fast 10 000 Jahre nach der Erfindung der Landwirtschaft machen wir unsere ersten Trippelschritte, um den Kosmos zu erkunden, gerade jetzt, wo unser Kurzzeitdenken und unsere Gier drohen, unsere Zivilisation zu Fall zu bringen. Wir wissen, dass wir uns ändern müssen, um das zu vermeiden. Aber ist das möglich? Ist unsere Spezies in der Lage, sich zu verändern? Oder treibt uns etwas zur Selbstzerstörung an?
Diese Frage quälte Carl Sagan und mich. Wir beschlossen, den Beweisen zu folgen, wohin sie uns auch führen würden. Nach Jahren des Forschens und Nachdenkens entstand das Buch Schöpfung auf Raten (1993), aus dem Teile für dieses Kapitel übernommen wurden. Die Frage von damals wirkt heute dringlicher denn je.
Wenn unser Gedächtnis bis zum Beginn des Lebens zurückreichen würde, dann wäre das Rätsel kleiner. Doch wir stehen erst am Anfang, die Erfahrungen unserer Spezies vor unseren bewussten Erinnerungen zu rekonstruieren – und was lange vor unserer Existenz als Art zu angeborenen Defiziten geführt haben könnte.
Wir Menschen sind wie eine Familie aus Amnesieopfern, die sich Geschichten über ihre Vergangenheit ausdachten, bis sie Mittel fanden, diese zu rekonstruieren – die Wissenschaften. Wir schaufeln noch immer Erde in ein Sieb, um nach Stücken aus Feuerstein und Tierknochen zu suchen, also den wenigen dauerhaften Artefakten unserer menschlichen Ursprünge.
In der Wonderwerk-Höhle in Südafrika wurde eine der ältesten Feuerstellen gefunden. Um sie versammelten sich vor bis zu einer Million Jahre unsere Vorfahren und entwickelten die Sozialstrukturen, die wir noch heute bei uns sehen.
WENN ES AUF DER ERDE HEILIGE ORTE für unsere Spezies gibt, dann gehört die Wonderwerk-Höhle in den Kurumanheuwels in der südafrikanischen Provinz Nordkap sicher dazu. Sie ist die älteste bekannte Fundstelle, an der Menschen das Feuer für ihre Zwecke bändigten. Dort versammelten sich vor einer Million Jahren unsere Vorfahren, um die menschliche Kultur zu entfachen.
Die Höhle hat die Ausmaße eines Ballsaals. Selbst groß Gewachsene gehen hier aufrecht mehr als 120 Meter bis in den hintersten Winkel hinein. Wissenschaftler vieler Disziplinen sind bereits hier gewesen, um die Höhle mit Lasern zu scannen, jeden Millimeter Pollen und Sediment mit Lumineszenz-Verfahren und Technik zur Isotopen-Datierung zu untersuchen. Alles in dem Bemühen, die Puzzleteile der Geschichte dieses Orts zusammenzusetzen und herauszufinden, wer wir einst waren.
Die mikroskopisch kleinen Aschestückchen sagen uns, welche Feuer natürlich und welche absichtlich entstanden sind. Die Überreste der vor Hunderttausenden von Jahren erloschenen Feuer tief in der Höhle zeigen, dass unsere Vorfahren an diesen Feuern kochten und sich wärmten. Jeder von uns gehört zur Gattung Homo. Wir sind Homo sapiens – sogenannte »weise Menschen«. Unsere Urahnen, die sich in der Wonderwerk-Höhle versammelten, waren Homo erectus – »aufgerichtete Menschen«. Sie waren noch nicht »wir«, doch wir tragen ihr Erbe in uns. Wir wissen nicht viel über sie. Wir vermuten aber, dass sie sich im Alter oder bei Krankheit umeinander kümmerten. Wir wissen, dass sie geschickte Werkzeugmacher waren.
Besuchen Sie alle Welten des Sonnensystems – jeden Kometen, Asteroiden, Mond und Planeten. Sie werden nur in einer davon ein Feuer entzünden können – in unserer. Das ist nur möglich, weil es in der Atmosphäre genügend Sauerstoff gibt – erst seit den letzten 400 Millionen Jahren oder den letzten zehn Tagen des Kosmischen Jahres. In der Wonderwerk-Höhle zähmten unsere Ahnen die Macht des Feuers und wurden für ihr Geschick reich belohnt. Damals fingen wir an, unsere Nahrung weich zu kochen, was unserem Körper mehr Energie lieferte, als wir für das endlose Kauen des ungekochten und daher viel zäheren rohen Fleisches verbrauchten. Das Feuer wärmte uns und vertrieb die Raubtiere. Wir versammelten uns nachts um die Feuer, aßen zusammen und erzählten uns die Geschichten, die uns und unserer Sippe eine geteilte, angelernte Identität gaben und die Kinder mit den Älteren verband.
VON ALLEN LEBEWESEN ZÄHMTE NUR DER MENSCH DAS FEUER. (Auch Pflanzen entwickelten Überlebensstrategien, um sich bei Bränden gegen Konkurrenten durchzusetzen, aber sie können Brände weder entzünden noch löschen.) Die zentrale Rolle des Feuers für das Denken und die Kultur des Menschen erreicht ihre höchste Anerkennung im Glauben und den Riten einer der ältesten Religionen.
Zur Zeit des biblischen Propheten Abraham, vor vermutlich 4000 Jahren, gab es auch im Land der Perser, dem heutigen Iran, einen Propheten. Die körperliche Manifestation von Zarathustra war das Feuer. Jeder zoroastrische Tempel ist dem Feuer geweiht, und eine der wenigen rituellen Verpflichtungen besteht darin, über die Jahrhunderte hinweg eine ewige Flamme zu hüten. Das Feuer symbolisiert die Reinheit Gottes und das Licht des erleuchteten Geistes.
Der Gott der Zoroastrier, Ahura Mazda, fordert nicht viel, weder rituelle Opfer noch Geld. Er fordert von den Menschen lediglich eine hell leuchtende Flamme, reine Gedanken sowie gute Worte und Taten. Doch die meisten Menschen können selbst diese einfachen Anforderungen nicht erfüllen, haben schlechte Gedanken und sagen schlechte Dinge. Manche verüben Verbrechen. Warum?
Wir haben noch keine befriedigende Antwort auf diese Frage. Die Zoroastrier gehörten zu den ersten, die sie zu beantworten versuchten. Alles Schlechte der Welt – die von Menschen verübten Verbrechen genauso wie Naturkatastrophen und Krankheiten – werden durch Ahura Mazdas Gegenspieler verursacht, seinen bösen Zwilling Ahriman. Ahura Mazda zählt auf die Hilfe der Menschen, um Ahriman zu besiegen. Jeder Mensch kann durch seine Taten entscheiden, ob sich in der Zukunft des Universums die Waage zum Guten oder zum Schlechten neigt.
Dieses Teilrelief aus dem antiken Persepolis zeigt Ahriman, bei den Zoroastriern das Urbild des Bösen, wie er einen Stier anfällt.
In Persepolis ist ein plastisches Flachrelief mit einer Darstellung Ahrimans zu sehen. Die persischen Könige erbauten die prächtige Anlage im 6. Jahrhundert v. Chr., als sie die einzige Supermacht der Erde waren. Ahriman hat kleine, kurze Hörner, einen langen spitzen Schwanz und gespaltene Hufe. Erinnert das an unsere Vorstellungen vom Teufel? Über 1000 Jahre war der Zoroastrismus von Griechenland bis Indien die vorherrschende Religion. Kein Wunder, dass er die nachfolgenden Religionen beeinflusste.