Unser Kosmos. Andere Welten.. Ann Druyan

Unser Kosmos. Andere Welten. - Ann Druyan


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Sonne ist lediglich der nächste Stern. Mit 60 000 Stundenkilometern würde Voyager 1 fast 80 000 Jahre bis zum zweitnächsten Stern Proxima Centauri benötigen. Das ist nur eine Spritztour in der Milchstraße, eine durch die Gravitation zusammengehaltene Ansammlung von Hunderten von Milliarden Sternen. Und sie ist nur eine von einer Billion Galaxien – zwei Billionen, wenn wir alle Zwerggalaxien mitzählen, die inzwischen mit größeren Galaxien wie der unseren verschmolzen sind. Der Kosmos besteht aus Milliarden von Billionen Sternen und vermutlich einem tausendfachen Mehr an anderen Welten.

      Und das ist nur der sichtbare Teil des Universums. Der Kosmos ist größtenteils hinter einem Schleier aus Zeit und Entfernung verborgen. In der frühen, hyperlichtschnellen Expansion des Raumzeitgefüges verschwanden riesige Massen des Universums aus der Reichweite unserer Teleskope. Vielleicht ist das unermessliche Universum auch nur ein winziger Teil eines Multiversums, jenseits unserer Erkenntnis oder Vorstellung. Kein Wunder, dass wir uns ängstlich an den Irrglauben klammern, im Zentrum zu stehen, das einzige Kind des Schöpfers zu sein. Wie können sich winzige Wesen, die sich regelmäßig auf einem Punkt verirren, angesichts dieser überwältigenden Realität im Universum zu Hause fühlen?

      Seit es uns Menschen gibt, erzählen wir uns Geschichten, die uns die Furcht vor der Dunkelheit nehmen sollen. »Dunkelheit« ist eine Eigenschaft, keine Größe. In einem Kinderzimmer ist die Nacht ein eigener Kosmos. Unsere Spezies geht ihren Weg, indem sie die Dunkelheit durch Erzählungen zähmt. Wir konnten diese nicht anhand der Realität überprüfen, bevor es die Wissenschaft gab. Wir trieben im Ozean der Raumzeit, ohne zu wissen wo und wann, bis die Wissenschaft anfing, unsere Koordinaten zu bestimmen.

      Die neueste Erkenntnis über das Alter des Universums lieferte das Weltraumteleskop Planck der Europäischen Weltraumorganisation. Es suchte über ein Jahr lang den gesamten Himmel ab und vermaß akribisch das Licht, das das junge Universum 380 000 Jahre nach dem Urknall ausstrahlte. Planck zeigt den Kosmos, wie er vor 13,82 Milliarden Jahren aussah – hundert Millionen Jahre älter, als die Wissenschaft vor Kurzem noch annahm.

      Das liebe ich an der Wissenschaft. Kein Wissenschaftler versuchte, die Entdeckung, dass das Universum wohl älter war als angenommen, zu vertuschen. Sobald die neuen Daten überprüft waren, wurde diese Korrektur von der gesamten Wissenschaftsgemeinde sofort angenommen. Diese fortschrittliche Haltung, die Offenheit für den Wandel, bildet den Kern der Wissenschaft und macht sie so wirksam.

      DIE ANFÄNGE DER WISSENSCHAFTLICHEN GESCHICHTE der Zeit liegen so weit zurück, dass wir sie auf menschliche Kategorien herunterbrechen müssen. Der Kosmische Kalender bringt ihre 13,82 Milliarden Jahre in eine für uns begreifbare Bezugsgröße, ein einziges Erdjahr. Die Zeit beginnt oben links mit dem Urknall am 1. Januar und endet um Mitternacht des 31. Dezember unten rechts. In diesem Maßstab steht jeder Monat für etwas mehr als eine Milliarde Jahre. Jeder Tag repräsentiert 38 Millionen Jahre. Jede Stunde 1,6 Millionen Jahre. Eine kosmische Minute entspricht 26 000 Jahren. Eine kosmische Sekunde umfasst 438 Jahre, kaum mehr Zeit, als seit Galileos erstem Blick durch ein Teleskop verstrichen ist.

      Daher ist der Kosmische Kalender für mich so bedeutungsvoll. In den ersten neun Milliarden Jahren der Zeit gab es keinen Planeten Erde. Erst nach zwei Dritteln des kosmischen Jahres, am 31. August, ballt sich aus der Gas- und Staubscheibe um unseren Stern die winzige Erde zusammen. Der größte Teil der Geschichte des Universums findet ohne uns statt. Da ist Demut angesagt.

      Während der ersten Milliarde Jahre musste unser Planet ziemlich viel einstecken. Am Anfang prallten viele Trümmer auf die neuen Welten, als sie ihre Umlaufbahnen freiräumten. Als später Jupiter und Saturn auf andere Umlaufbahnen wanderten, verursachte ihre Größe im Sonnensystem vermutlich ein Chaos, das Asteroiden aus der Bahn warf und sie mit Planeten und Monden kollidieren ließ.

      Das Große Bombardement war noch nicht vorbei, als sich am Meeresgrund Leben zu entwickeln begann. Das ermutigt alle, die Leben anderswo im Universum zu finden hoffen. Die Geschichte unserer Sonne und ihrer Welten ist im Kosmos vermutlich ein häufiger Vorgang. Die Körper, die auf unsere Erde trafen, könnten die notwendigen Zutaten für das Leben und sogar die notwendige Energie mitgebracht haben, um das Leben in Gang zu bringen.

      Alles Leben auf der Erde scheint einen gemeinsamen Ursprung zu haben. Vermutlich begann es am 2. September tief im Ozean, in einer Stadt aus Steintürmen am Meeresboden. Darauf gehen wir später genau ein. Das erste Leben besaß einen Kopiermechanismus, der mehr Leben herstellte. Es war ein Molekül, geformt wie eine verdrehte Leiter – DNS. Eine seiner Stärken war seine Unvollkommenheit. Gelegentlich machte es Kopierfehler oder wurde von kosmischen Strahlen beschädigt. Einige dieser zufälligen Mutationen führten zu erfolgreicheren Lebensformen – wir nennen das Evolution durch natürliche Selektion. Die Leiter legte um einige Sprossen zu.

      

      Bei Ebbe tauchen in der Shark Bay in Australien ähnliche Mikrobenkolonien auf wie vor über drei Milliarden Jahren.

      Es erforderte drei weitere Milliarden Jahre Evolution, bis aus einzelligen Organismen komplexe Pflanzen entstanden, die wir mit bloßem Auge sehen können. Es gab zwar noch keine Augen, aber der einzellige Organismus, der weiß: »Dich esse ich, meinesgleichen nicht«, zeugt wohl von einem gewissen Bewusstsein.

      DIE GESCHICHTE DES MENSCHLICHEN LEBENS ist Teil dieses Kontinuums. Doch in der letzten Woche des kosmischen Jahres gab es eine dramatische Entwicklung. Hätte der Kosmische Kalender Feiertage, wäre der 26. Dezember einer davon. Denn irgendwann an diesem Tag vor 200 Millionen Jahren erschienen die Säugetiere.

      Die ersten Säugetiere waren winzige spitzmausähnliche Wesen. »Winzig« heißt wirklich klein – nicht viel größer als eine Büroklammer. Sie wagten sich nur bei Nacht hinaus, denn ihre Jäger, wie die Dinosaurier, beherrschten den Tag. In der Trias standen die Chancen der kleinen Säuger gegenüber den monströsen Reptilien nicht besonders gut. Aber eines Tages sollten sie das Erdreich besitzen.

      Die Säugetiere besaßen einen neuen Hirnbereich: den Neocortex. Wie der Rest ihres Körperbaus war dieser Bereich anfangs klein, doch er wuchs schnell – und ermöglichte es ihnen, sich in größeren Gruppen sozial zu organisieren. Neu an den Plazentatieren war auch, dass sie ihre Jungen säugten und aufzogen. Im Kosmischen Kalender fällt der Muttertag auf den 26. Dezember.

      Evolution durch natürliche Selektion bedeutet, dass besser an ihre Umwelt angepasste Lebewesen vermutlich eher überleben und Nachwuchs hinterlassen. Intelligenz wirkt dabei als starker Selektionsvorteil. Der Neocortex faltete sich in mehrere Lagen, was mehr Oberfläche für die Informationsverarbeitung bot. Die Gehirnlappen bildeten Furchen aus, was zusätzliche Fläche für Rechenleistungen brachte.

      Das Gehirn veränderte die Form, wurde größer und bekam mehr Falten. Am 31. Dezember gegen 19 Uhr spaltete sich unser Evolutionsweg von dem unserer nächsten Verwandten, den Schimpansen, ab. Sie entwickelten sich zu Waldtieren, die sich gegenseitig pflegen, den Verlust von Freunden und Verwandten beklagen, mit Schilf als Werkzeug nach Ameisen als Futter angeln, ihre Jungen darin unterrichten und zusammen den Sonnenuntergang bewundern. Doch wir wissen fast nichts darüber, wie sie zur Zeit unseres letzten gemeinsamen Vorfahren waren.

      Ein 2011 in China gefundenes, 160 Millionen Jahre altes Fossil lässt vermuten, dass die ersten Säugetiere wie Spitzmäuse aussahen.

      Was unterscheidet uns Menschen, die 99 Prozent der Gene mit den Schimpansen teilen, so stark von ihnen? Warum haben wir als Einzige der fünf Milliarden Arten, die jemals auf der Erde lebten, eine Lebensform entwickelt, die Zivilisationen hervorbringt, die Welt verändert und Raumfahrt betreibt? Vor nicht allzu langer Zeit verblüffte uns das Feuer. Irgendwie verwandelten wir uns in Wesen, die in Lichtgeschwindigkeit kommunizieren, die in Partikel, Atome und Zellen blicken, die die Ursprünge der Zeit erforschen und die das Licht von Milliarden von Lichtjahren entfernten Galaxien am


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