Unser Kosmos. Andere Welten.. Ann Druyan

Unser Kosmos. Andere Welten. - Ann Druyan


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gemacht hätten.

      Ihr Dekret von Juli 1656 war eine Umkehrung der Aufforderung im 5. Buch Mose, 6:4,6–7, die ihnen und ihren Vorfahren befiehlt, den Herrn mit allem zu lieben, was sie haben. Ich lernte diese Worte als Kind und erinnere mich noch immer daran.

      Höre, o Israel: Der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr:

      . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

      Und diese Worte, die ich dir an diesem Tag befehle, sollen in deinem Herzen sein:

      Und du sollst sie gewissenhaft deinen Kindern lehren, und von ihnen sprechen, wenn du in deinem Haus sitzt und wenn du unterwegs bist und wenn du dich hinlegst und wenn du aufstehst.

      Die Rabbiner der jüdischen Gemeinde in Amsterdam wendeten in ihrem Urteil eine Variation dieser Glaubensformel an, um ihre Wut auf Spinozas »teuflische Ansicht« und »abscheuliche Häresie« auszudrücken: »Verflucht sei er am Tag und verflucht sei er bei Nacht; verflucht sei er, wenn er sich hinlegt, und verflucht sei er, wenn er aufsteht. Verflucht sei er, wenn er hinausgeht, und verflucht sei er, wenn er hereinkommt.«

      Die Ängste der Gemeinde sind verständlich. Sie hatte auf der iberischen Halbinsel erlebt, wie sich ihre Welt in einen Albtraum verwandelte, und sehnte sich nach Frieden und Akzeptanz. Trotzdem liegt darin eine gewisse Ironie. Die Thora lehrt uns, dass Gott in jeder einfachen Handlung unseres Alltags gegenwärtig ist. Und ist es nicht genau das, was Spinoza meinte, indem er Gott überall sah, in allem – in der gesamten Natur?

      Deshalb hegte Spinoza einen Widerwillen gegen Wunder. Im sechsten Kapitel des Theologisch-politischen Traktats von 1670 erläutert er ausführlich, warum er ihre angebliche Bedeutung nicht ertrug. Suche nicht in den Wundern nach Gott, sagt Spinoza. Wunder verstoßen gegen die Naturgesetze. Wenn Gott der Verfasser der Naturgesetze ist, sollte Gott dann nicht am besten darin erkannt werden? Wunder sind Fehldeutungen von Naturereignissen. Erdbeben, Überflutungen, Dürren dürfen nicht persönlich genommen werden. Gott spiegelt nicht die Hoffnungen und Ängste der Menschen wider, sondern ist die schöpferische Kraft hinter dem Universum, der man am besten in der Erforschung der Naturgesetze begegnet.

      Tausende Jahre lang, bereits bald nach der Erfindung der Landwirtschaft, war das Heilige für uns von der Natur getrennt. Wir lernten, dass wir isoliert vom Rest des Lebens geschaffen wurden und dass Gott verlangt, unsere Natur zu leugnen und zu überwinden, die in dieser Weltsicht voller Sünde ist. Spinozas Gott zu huldigen, hieß dagegen, die Naturgesetze zu studieren und zu ehren.

      Die Bestrafung und Ausstoßung aus der jüdischen Gemeinde ertrug Spinoza gelassen. Wie heute gab es auch damals Menschen, die durch religiöse Vorstellungen bedroht wurden. Jemand griff Spinoza mit dem Messer an, doch dem Angreifer gelang es nur, den Umhang seines Opfers aufzuschlitzen, ehe er floh. Spinoza ließ das Kleidungsstück nie flicken und trug es als Ehrenzeichen. Er zog schließlich nach Den Haag, wo er weiterhin Linsen für Mikroskope und Teleskope schliff.

      Sein Traktat enthielt aber noch Brisanteres als die Ablehnung von Wundern. Spinoza schrieb, nicht Gott habe die Bibel diktiert, sondern sie sei das Werk von Menschen. Für Spinoza war eine offizielle Staatsreligion mehr als spiritueller Zwang. Die übernatürlichen Ereignisse, die zentral für die großen religiösen Traditionen waren, hielt Spinoza für nicht mehr als organisierten Aberglauben. Er glaubte, dass dieser Wunderglaube für eine freie Gesellschaft der Bürger eine Gefahr darstelle.

      Niemand hatte so etwas zuvor laut ausgesprochen. Spinoza wusste, dass er selbst für die Freidenker Hollands zu weit ging. Das Theologisch-politische Traktat führte Ideen ein, die für die amerikanische und viele andere Revolutionen grundlegend waren, wie die elementare Notwendigkeit, in einer demokratischen Gesellschaft Staat und Kirche zu trennen. Das Traktat erschien anonym, mit fiktivem Erscheinungsort und Verlag. Trotzdem machte das Buch Spinoza in ganz Europa bekannt. Er starb 1677 mit 44 Jahren, vermutlich weil er beim Linsenschleifen jahrelang Glasstaub eingeatmet hatte.

      Im November 1920 pilgerte ein anderer Mann, der sich leidenschaftlich für Licht interessierte, zur bescheidenen Werkstätte nahe Den Haag, die als Zeugnis für den großen Einfluss von Spinozas Philosophie erhalten wurde. Der für sein neues Naturgesetz weltbekannte Wissenschaftler wurde oft gefragt, ob er an Gott glaube. Albert Einstein antwortete darauf, er glaube an Spinozas Gott, der sich in der Harmonie des Seienden zeige, aber nicht an einen Gott, der sich mit Schicksalen und Handlungen der Menschen abgebe.

      UNSER VERSTÄNDNIS DER NATURGESETZE übersteigt Spinozas kühnste Vorstellungen. Doch wie können wir unser gestörtes Verhältnis zur Natur verbessern? Lassen Sie mich hierzu eine Parabel über eine der längsten Symbiosen des Lebens erzählen. Dafür gehen wir im Kosmischen Kalender zum Nachmittag des 29. Dezembers zurück.

      In dieser längst vergangenen Zeit gab es zwei Königreiche. Sie schlossen einen Bund, der ihnen unermessliche Reichtümer einbrachte. Es war über fast 100 Millionen Jahre eine wunderbare Beziehung – dann entwickelte sich in einem der Königreiche eine neue Art von Wesen. Seine Nachfahren plünderten die Reichtümer und brachen den Bund. In ihrer Arroganz wurden sie zur tödlichen Gefahr für beide Königreiche … und sich selbst.

      Dies ist die wahre Geschichte zweier von dem halben Dutzend Reichen der Natur – dem Reich der Pflanzen und dem der Tiere.

      Pflanze zu sein, ist nicht einfach. Für einen Ortsgebundenen ist Sex eine Herausforderung. Verabredungen gibt es nicht. Man wirft seine Samen in den Wind. Man wartet nur darauf, dass dieser weht. Mit viel Glück landen einige der Pollen auf dem weiblichen Reproduktionsteil einer anderen Pflanze – dem Stempel einer Blüte.

      Die Pflanzen spielen dieses Glücksspiel einige 100 Millionen Jahre – bis die Insekten auftauchen und Cupido spielen. Das Ergebnis ist eine der großartigsten Koevolutionen des Lebens. Die Insekten besuchen die Blüten wegen einer proteinreichen Pollenmahlzeit, dabei bleibt unweigerlich etwas Pollen an ihrem Körper haften. Für die nächste Mahlzeit besuchen sie eine andere Blüte und bestäuben wiederum unabsichtlich diese mit dem anhaftenden Pollen und ermöglichen so die Fortpflanzung.

      Eine Holzbiene mit goldenen Pollenkörnchen am Körper

      Dabei gewinnen beide, Blumen und Insekten, und das löst eine Reihe evolutionärer Entwicklungen aus. Pflanzen beginnen neben Pollen auch einen Zuckernektar zu produzieren. Nun kommen die Insekten auch noch zum Nachtisch. Sie werden rundlicher, bekommen pelzige Körper und sogar kleine Pluderhosen an den Füßen, mit denen sie mehr Pollen angeln.

      Daraus zieht noch ein anderes Königreich der Tiere einen Vorteil. Wir. Unsere Vorfahren lieben Honig, wie die Gestalt mit dem Rauchtopf in der spanischen Höhle und viele andere alte Darstellungen zeigen. Sie genießen ihn und finden sogar heraus, wie sie daraus Met herstellen und sich berauschen können.

      Auch die Vögel und Fledermäuse drängen in das Pollengeschäft, aber sie haben nie denselben Erfolg wie die Insekten und besonders die Bienen. Wir haben viele Gründe, den Bienen dankbar zu sein – Schönheit zum Beispiel. In der Konkurrenz um ihre Reproduktionsdienste setzen die Pflanzen neben dem Nektar noch auf weitere Strategien: Aroma und Farbe.

      

      So sieht eine Biene die Blüte einer Pferdeminze. Mittels Ultraviolettfotografie können auch wir das so sehen.

      Bienen besitzen drei Fotorezeptoren, ähnlich unseren Augen, nur sind ihre anders. Wir nehmen Rot, Blau und Grün wahr, sie sehen Ultraviolett, Blau und Grün. Rot sehen sie nur in den Wellenlängen von Orange bis Gelb.

      Wir schulden den Bienen noch wesentlich mehr Dank. Jeder dritte Bissen Essen – und das gilt auch für Fleischesser – wird nur durch sie möglich. Sie vergrößern nicht nur die verfügbare Nahrungsmenge, sie verantworten auch einen Großteil der Biodiversität, die unsere Nahrungsversorgung sicherstellt.

      Und nun kommen wir zum traurigen Teil der Parabel, in dem ein neues Mitglied


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